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Politik & Wirtschaft •
EU plant Führerschein-Anpassungen

Spezialprüfungen für Alte, Tempolimiten für Junge und Sonderzulassungen für SUVs

Die Europäische Union will die Führerschein-Richtlinien verschärfen. Von den neuen Regeln wären alle Autofahrerinnen und Autofahrer betroffen: vom Neulenker bis zum Senior. STREETLIFE hat die Pläne der EU zusammengefasst und nachgefragt, was das für Schweizer Autofahrende für Folgen hat.

«Achtung, in der EU geht etwas!» So hat Michael Gehrken, Präsident von L-drive, dem Schweizer Dachverband der Fahrlehrerinnen und Fahrlehrern, auf die geplanten Führerschein-Richtlinien reagiert. Mit strengeren Regeln will der Ausschuss für Verkehr und Tourismus des EU-Parlamentes die Verkehrssicherheit erhöhen und so das ambitionierte Ziel von 0 Verkehrstoten bis 2050 zu erreichen.

Damit kommen auf die europäischen Autofahrenden gravierende Änderungen beim Führerausweis zu und es ist nicht ausgeschlossen, dass die Schweiz diese Änderungen früher oder später übernehmen wird. Für Diskussionen dürften drei drastische Massnahmen sorgen, welche die französischen Ausschuss-Vorsitzende Karima Delli von den Grünen vorschlägt. Sie will die Jungen ausbremsen, die Alten ausgrenzen und SUV ausbooten.

Neulenker

Für Fahranfängerinnen ist im jüngsten Entwurf mit Dellis Vorschlag ein Tempolimit von 90 km/h vorgesehen. Damit würden Junglenker auf der Autobahn so schnell wie LKW fahren und könnten nicht mehr überholen.

L-drive findet zwar auch, dass ein Tempolimit die Verkehrssicherheit erhöht. Präsident Gehrken sagt aber, nicht die Autobahnen seien das Problem, sondern Überlandstrassen. «Dort besteht bereits ein Tempolimit von 80 km/h. Das heisst: Wer mit übermässiger Geschwindigkeit einen Unfall verursacht, macht dies zumeist voll bewusst.»

Offen bleibt vorerst die Frage, wie das Tempolimit für Junglenker umgesetzt werden soll. Denn die meisten haben noch kein eigenes Auto und nutzen jenes der Eltern. Und diese dürfen schneller als 90 km/h fahren.

Für Neulenkerinnen sieht der Vorschlag zudem eine Probezeit für den Führerschein vor, wie die Schweiz dies schon kennt. Neu im EU-Plan ist aber: Junglenker müssen in der EU nach Ablauf der Probezeit nochmals eine Fahrprüfung ablegen. Weiter ermöglicht der vorliegende Entwurf Nachtfahrverbote von Mitternacht bis 6 Uhr für Fahranfänger.

Senioren

Auch für ältere Autofahrende plant Delli eine Verschärfung. Der erste Entwurf der EU sah vor, den Führerschein von Seniorinnen und Senioren ab einem Alter von 70 Jahren auf fünf Jahre zu beschränken. Die Grünen-Politikerin will den Ausweis schon ab 60 Jahren auf sieben Jahre beschränken und die Gültigkeitsdauer ab einem Alter von 80 Jahren auf zwei Jahre reduzieren.  Um den Ausweis kostenpflichtig zu erneuern, sind zudem medizinische und psychologische Untersuchungen notwendig. Was die Bevölkerung von Auffrischungskursen hält, liest du hier.

L-drive steht einem zeitlich befristeten Führerausweis eher offen gegenüber, auch wenn sich Gehrken bewusst ist, dass dies nicht sehr populär ist. «Aber Berufs-Chauffeure haben schon befristet Ausweise. Diese sind zudem an eine Weiterbildungspflicht gekoppelt.» Der Präsident des Fahrerlehrer-Dachverbandes fände dies für alle Autofahrenden sinnvoll – und zwar nicht erst ab 60 Jahren. 

«Leider steht die Schweiz diesen internationalen Bestrebungen in den letzten Jahren diametral entgegen: Die Weiterbildungspflicht für Neulenkende ist von zwei auf einen Tag reduziert worden. Und die Altersgrenze für verkehrsmedizinische Kontrolluntersuchungen sind erhöht worden.» Gehrken befürchtet: «Das wird sich irgendwann einmal negativ auf die Verkehrssicherheit auswirken.»

Neue Ausweiskategorie

Zudem sieht Dellis Vorschlag vor, die Führerausweiskategorie B aufzusplitten. B soll nur noch für Fahrzeuge bis zu einem Gesamtgewicht von 1,8 Tonnen gelten. Darüber bis zur heutigen Grenze von 3,5 Tonnen wäre eine Zusatzprüfung nötig. Die neue Kategorie B+ sollen Junglenkerinnen aber erst ab 21 Jahren ablegen können.

Diese Änderung zielt zwar gegen die beliebten und schweren SUV, würde aber auch einen herben Rückschlag für die Elektromobilität bedeuten. Denn E-Autos sind wegen der Batterie tendenziell schwerer als vergleichbare Benzin- und Dieselfahrzeuge. Autofahrenden könnten beispielsweise schon die kompakten Stromer Kia e-Soul oder VW ID.3 nicht mehr mit dem Führerausweis B fahren, weil ihr Leergewicht schon über 1,8 Tonnen liegt.

Auch der Schweizer Dachverband der Schweizer Fahrerlehrerinnen steht diesem Vorschlag des EU-Ausschusses skeptisch gegenüber und will sich nicht an einem SUV-Bashing beteiligen. Gehrken sieht vielmehr eine andere Gefahrenquelle: Wenn das Gewicht mit mehr Leistung gekoppelt wird. «Wichtiger und zielführender scheint es mir zu sein, wenn man gewisse Einschränkungen an den Motorenleistungen (also PS/Kilowatt) festmacht. Hier besteht akuter Handlungsbedarf, vor allem bei gewissen Gruppen von Neulenkenden.»

Wie geht es weiter?

Der Ausschuss für Verkehr und Tourismus des EU-Parlamentes wird im Dezember über den Entwurf der neuen Führerschein-Richtlinien beraten. Ob die radikalen Anträge der Grünen-Politikerin Delli eine Mehrheit finden, wird sich zeigen. Politischer Widerstand hat sich EU-Parlament aber bereits angekündigt. Ohnehin wird der Rat erst über das Paket abstimmen müssen, danach müssen es die Mitgliedsstaaten umsetzen. Ab wann die Richtlinien gelten, ist also noch offen.

Schweizer Umsetzung noch offen

Und die Schweiz? L-drive-Präsident Michael Gehrken sieht zwei Möglichkeiten. «Wenn es dem Bund ins Konzept passt, wird man dies als «autonomen Nachvollzug» abbuchen. Wenn nicht – und das kann ich mir vorstellen – wird man den Schweizer Sonderweg suchen.» Er steht den EU-Plänen eher offen gegenüber, um die Verkehrssicherheit zu erhöhen.

Noch etwas zurückhaltender äusserte sich das Bundesamt für Strassen Astra gegenüber STREETLIFE. Es will erst die definitive Entscheidung der EU abwarten, bevor es mögliche Auswirkungen auf die Schweiz bewertet. Welche Richtlinien der EU die Schweiz übernimmt, entscheidet das Parlament als Gesetzgeber oder allenfalls das Volk in einer Abstimmung. Bei solch gravierenden Änderung wie der vorliegenden Führerausweis-Richtlinien ist es durchaus möglich, dass jemand das Referendum ergreifen wird.

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