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Senioren am Steuer: Was nützt gegen das steigende Unfallrisiko?
Gleich drei Senioren am Steuer sorgten in den letzten Tagen für Schlagzeilen. Ein Rentner fuhr auf der Autobahn auf drei Rädern, ein weiterer durchbrach die Parkhauswand und ein dritter blieb auf dem Waldweg stecken. Gemäss Studien steigt das Unfallrisiko ab 75 Jahren um das Fünffache. Die Diskussion um medizinische Checks ist neu entbrannt.
Dieser Fall erstaunt selbst die erfahrenen Verkehrspolizisten der Kantonspolizei St. Gallen. Am letzten Dienstag gegen 23 Uhr entdeckt eine Patrouille auf der A3 in Richtung Chur ein Auto, das nur noch auf drei Rädern unterwegs ist. Die Polizisten versuchten den Wagen sofort zu stoppen, scheiterten aber zunächst.
Die Person am Steuer setzte die Fahrt – trotz Blaulicht und Sirenen – stoisch fort und ignorierte konsequent den Polizeiwagen im Rückspiegel. Fast zehn Kilometer weit. Dann endlich stoppte der Wagen.
Wie sich später herausstellte, hatte der 79-jährige Fahrzeuglenker kurz vor der Einfahrt in den Fratten-Tunnel eine Kollision mit der Leitplanke. Dabei riss das linke Vorderrad ab. Noch vor Ort nahmen die die Polizisten dem Mann den Führerausweis ab.
Es ist längst nicht der einzige Vorfall, bei dem ein über 75-Jähriger einen Polizeieinsatz auslöste. In einem Parkhaus in der Stadt Zug rammte Ende Mai ein 77-jähriger Autofahrer zunächst die Stütze des Garagentors und knallte dann mit voller Wucht in die Parkhauswand. Der Crash war so heftig, dass er die Mauer durchbrach und im Technikraum der Anlage landete.
Letzten Sonntag schliesslich blieb in Zofingen AG ein 86-jähriger Autolenker auf einem Waldweg stecken. Als die ausgerückten Rettungskräfte eintrafen, gab der Mann an, dass er sich nicht mehr erinnern könne, wie er überhaupt in den Wald gelangt sei. Eigentlich habe er zu einem privaten Termin fahren wollen. Der Rentner wurde zur Kontrolle ins Spital gebracht.

Wie kann das Risiko minimiert werden?
Wie Studien zeigen, verursachen Seniorinnen und Senioren am Steuer überdurchschnittlich viele Unfälle. So schreibt die Beratungsstelle für Unfallverhütung (BFU) auf ihrer Webseite: «Bei Personen ab 75 Jahren steigt das Unfallrisiko um das Fünffache. Gründe dafür sind beispielsweise Leistungseinschränkungen und Erkrankungen, die mit zunehmendem Alter auftreten.»
Heute gilt in der Schweiz: Ab 75 Jahren müssen Fahrzeuglenkerinnen und Fahrzeuglenker alle zwei Jahre zum medizinischen Check. Wer dem Aufgebot nicht folgt, dem wird der Führerausweis aberkannt. Die Kontrolle führen dafür zugelassene Ärzte oder der Hausarzt durch. Erst 2019 hatte der Bundesrat die Alterslimite von 70 Jahren angeboten. Das nach einem Vorstoss des alt Stände- und Nationalrat Maximilian Reimann (SVP).
Doch sorgen diese Checks effektiv für mehr Sicherheit auf Schweizer Strassen? Ausgerechnet die BFU zweifelt das an. So warnt sie: «Mit dem soziodemografischen Wandel dürften die Unfallzahlen weiter steigen. Um nicht mehr fahrgeeignete ältere Personen zu identifizieren, erachtet die BFU andere Massnahmen als zielführender.»
Politik ist sich nicht einig
Die BFU-Kritik macht die medizinischen Checks erneut zum Politikum. So kündigte SVP-Nationalrat Benjamin Giezendanner an, dass er den ganzen Prozess reformieren will. «Es braucht dringend eine neue Regelung», sagt er. Ganz abschaffen will er die Checks nicht, aber so wie sie heute stattfinden, seien sie ein Behördenwahnsinn, der unter dem Strich auch zu viel koste. Ein entsprechender Vorstoss im Parlament ist in Planung: «Damit dieser ausgereift ist, muss die Erfahrung von Medizinnerinnen und Medizinern miteinfliessen. Dieser Prozess dauert noch an. Aber der Vorstoss kommt.»
Verschärfen statt abschaffen, das forderte die Grünen-Nationalrätin Marionna Schlatter. Sie wollte nicht nur die medizinischen Checks beibehalten, sondern regelmässige Fahrstunden für Senioren einführen. Von dieser Idee hielt der Bundesrat aber nur wenig, den entsprechenden Vorstoss empfahl er am 26. April zur Ablehnung. In der Antwort schreibt die Landesregierung: «Das geltende Recht sieht bereits vor, dass die kantonale Behörde im Rahmen der verkehrsmedizinischen Untersuchung von Seniorinnen und Senioren eine Kontrollfahrt zur Überprüfung der Fahreignung anordnen kann, wenn ein unklares Untersuchungsergebnis vorliegt.»
Und auch die BFU, welche die Diskussion ins Rollen brachte, bleibt bei den Lösungsansätzen schwammig. Sie schlägt vor:
- Vorgäng ein alternatives Unterschungssystem aufzubauen. Konkret: Bei Personen mit Auffälligkeiten regelmässige Abklärung durchführen
- Förderung der richtigen Benützung von Sicherheitsassistenten im Auto
- Bau von weniger komplexen Strassen
- Vermehrte Einführung von Tempo-30-Zonen
Die Fachstelle räumt ein, dass diese Massnahmen nicht zeitnah umgesetzt werden können. Immerhin in einem Punkt sind sich also Expertinnen und Politiker einig: Eine schnelle Lösungen ist nicht in Sicht.
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