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Politik & Wirtschaft •
Schweizer Autozulieferer

Kostet die VW-Krise bei uns Jobs?

Die Stimmung in der deutschen Autoindustrie ist mies: Die E-Mobilität kostet, hakt aber ebenso wie das China-Geschäft und die Kauflust. Nicht nur, aber allen voran VW muss sparen. Müssen Schweizer Zulieferer um ihr Business und Jobs bangen? Wir fragen Professorin Anja Schulze von Swiss Car.

Manchmal sind kleine Gesten kräftiger als grosse Zahlen: Volkswagen muss sparen und verweigert darum 200 Führungskräften deren Porsche-Dienstwagen. Buchhalterisch ist’s nur ein Spartropfen auf den heissen Kostenstein; dieses Jahr sollen vier, bis 2025 sieben, bis 2026 zehn Milliarden Euro im Jahr gespart werden. Aber die Geste sitzt, soll sicher auch die Börse beruhigen und die Belegschaft einstimmen, dass es zur Sache geht. Gestern setzte CEO Oliver Blume noch einen drauf und drohte via Statement, dass Werkschliessungen und Entlassungen auch in Deutschland nicht auszuschliessen seien. Zudem kündigte er an, die seit 1994 wirkenden Verträge mit den Gewerkschaften auflösen zu wollen. Die europäische Autoindustrie befinde sich «in einer sehr anspruchsvollen und ernsten Lage», so Blume.

Tatsächlich steckt die deutsche Autoindustrie in der Krise, auch Daimler und Co. müssen sparen. Am Ende landet der Rotstift bei Zulieferern. Jüngste Hiobsbotschaft: Der deutsche Getriebegigant ZF will von 54'000 deutschen Jobs bis zu 14'000 streichen. Schlägt das zu uns durch? Oft übersehen: Fast 600 Firmen mit 32'000 Mitarbeitenden erwirtschaften in der Schweiz 13 Milliarden Franken Umsatz im Jahr als Autozulieferer. Das ist so viel Umsatz wie die halbe Uhrenindustrie oder der ganze Online-Versandhandel der Schweiz!

Elektromobilität kostet, aber stagniert

Wir fragen Anja Schulze, Professorin für Mobilität und digitales Innovationsmanagement an der Uni Zürich sowie Direktorin von Swiss Car (Swiss Center of Automotive Research), nach den Gründen der Krise. Schulze nennt zuvorderst die E-Mobilität und China: «Die Hersteller verfolgen sehr verschiedene Strategien bei den Elektrofahrzeugen: BMW zum Beispiel entwickelt gemeinsame Plattformen für Verbrenner und E-Modelle, VW dagegen jeweils eigene. Letzteres erhöht die Kosten, während Kaufkraft und Kauflust gesunken sind und der Neuwagen-Marktanteil der Elektroautos stagniert. Die Überkapazitäten drücken auf den Preis, es wird auf Halde produziert: VW musste die Produktion drosseln. Hinzu kommt: Der Absatz in China stockt, zugleich schnappen chinesische Hersteller nun in Europa Marktanteile weg. Das ist schon eine kritische Situation.»

Auch für die Schweizer Zulieferer. «Hustet Deutschland, hustet die Schweiz», sagt Schulze, die aufgrund ihrer Studien zur Schweizer Autoindustrie – seit 2008 im Fünfjahres-Rhythmus – als profundeste Kennerin unserer Zulieferer gilt. Laut der jüngsten Studie (siehe Box) nimmt zwar die Bedeutung der deutschen Marken für Schweizer Zulieferer jüngst etwas ab. So sank der Anteil Unternehmen, die VW beliefern, von über auf unter die Hälfte. Neue Marken wie BYD tauchen auf: Noch vor fünf Jahren lieferten Schweizer Firmen an zehn Marken im Schnitt; heute sind es 18. Aber: Die Top Acht der belieferten Automarken bleiben Mercedes und VW vor Audi, BMW, Volvo, Renault, Porsche und Fiat. «Der Fokus liegt also weiterhin stark auf Europa und vor allem auf Deutschland. Und geht es um die Kosten, ist die Autoindustrie wenig tolerant», betont Schulze.

Schweizer Zulieferer sind weniger abhängig

Zwar könne man die Situation nicht mit jener zum Beispiel bei ZF vergleichen. «Bei uns gibt es wenige rein aufs Auto getrimmte Zulieferer», so Schulze: Fast 70 Prozent sind KMU und fast alle in diversen Branchen aktiv. «Die Abhängigkeit ist also geringer.» Zudem sind Schweizer Zulieferer, gepeinigt durch den starken, also Exporte verteuernden Franken und durch hohe Löhne, Sparen gewohnt und effizient und stabil – auch wenn es noch Potenzial zum Beispiel bei der Automatisierung gibt. Also nur ein Sturm im Wasserglas? Das leider doch nicht. Beispiel Feintool, Experte für Metallbearbeitung. Am Hauptsitz des global tätigen Unternehmens in Lyss BE sollen 70 von 200 Stellen wegfallen: Verlagerung nach Tschechien wegen des starken Frankens. Doch umgekehrt wird betont: Feintool sei breit aufgestellt und diversifiziere ausserhalb des Autobaus. Ebenfalls positiv: Zwar liefern Schweizer Zulieferer bereits zur Hälfte für E-Autos zu, aber vier Fünftel für Verbrenner.

«Könnte auch Schweizer Jobs kosten»

Sind Schweizer Firmen also auf den Sparkurs von VW und Co. vorbereitet? «Sie sind nicht unvorbereitet», sagt Professorin Schulze diplomatisch. «Der kritische Faktor ist, ob es im Fall des Falles gelingt, auf andere Branchen auszuweichen: Kundengruppen zu erschliessen und Produkte zu entwickeln, ist herausfordernd. Aber das muss man individuell pro Unternehmen anschauen, für Pauschalurteile ist die Lage zu komplex. Ja, die Situation könnte Schweizer Jobs kosten. Aber: Ich sehe nicht, dass morgen alle auf der Strasse stehen.»

 

Die Schweizer Autoindustrie

Die nach 2008, 2013 und 2018 jüngste 2023er-Studie von Swiss Car zur Schweizer Autozulieferindustrie zählt 578 Schweizer Unternehmen auf, die allein im Inland mit rund 32'000 Mitarbeitenden jährlich 13 Milliarden Franken Umsatz machen. Typisch für die Schweiz: 69 Prozent der Firmen sind KMU. Und generell ist die Schweiz bei Forschung und Entwicklung sehr stark. Die Hauptabnehmer sind deutsche Automarken. Bei den Unternehmen spannt sich der Bogen von Fahrzeugherstellern wie Busbauer Carrosserie Hess aus Bellach SO über viele Teile- und Komponentenhersteller wie Autoneum (Weltmarktführer Wärme-/Akustikdämmung) aus Winterthur ZH oder Ems-Chemie (Domat/Ems) bis hin zu Maschinen-/Anlagenbauern wie Reishauer aus Wallisellen ZH (Zahnradschleifmaschinen) und solche Spezialisten wie etwa Sika aus Baar ZG (Klebstoffe).

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