Zum Hauptinhalt springen

Werbung

News •
Er stieg in Autos ein

«Fälleler»-Prozess: 19-jähriger Algerier klaute sich durch die Schweiz

Diese Diebstahl-Masche hält die Strafbehörden auf Trab: Sogenannte «Fälleler» schleichen schweizweit durch die Quartiere und suchen nach unverschlossenen Autos. Der Schaden ist gross – über 18'000 Fälle zählten die Polizeikorps 2023. Jetzt kommt ein 19-jähriger Algerier als Beschuldigter vor Gericht.

Seit dem 21. Juli 2023 sitzt Ridah B.* in Haft. Seit längerer Zeit in Sicherheitshaft. «Sollte er in Freiheit entlassen werden, besteht die Gefahr, er entzieht sich dem weiteren Strafverfahren durch Flucht ins Ausland oder dem Untertauchen im Inland», heisst es in der Anklageschrift der Zürcher Staatsanwaltschaft See / Oberland, die STREETLIFE vorliegt. Mindestens zehn Vermögensdelikte wirft die Anklagebehörde dem 19-jährigen Algerier vor. Und nicht nur das: «Der Beschuldigte hat sich bereits als verschiedene Personen ausgegeben und könnte weiter versuchen, sich der Strafverfolgung durch eine neue Alias-Identität zu entziehen.»

Jetzt muss sich der junge Mann vor dem Bezirksgericht in Meilen verantworten. Der Fall ist spannend, da der ihm vorgeworfene Modus Operandi im März schweizweit für Schlagzeilen sorgte. Damals veröffentlichten Bund und Kantone die Kriminalstatistik 2023. Und die verzeichnete einen massiven Anstieg bei den Vermögensdelikten (+ 17,6 %). Der Anstieg war vor allem mit Diebstählen aus und ab Fahrzeugen zu erklären. Mit über 18'000 Fällen hielt die neue Diebstahl-Masche die Strafverfolgung dermassen auf Trab, dass sogar eine neue Täterbezeichnung kreiert wurde. Die Polizei spricht von «Fällelern», von Tätern also, die in Quartieren gezielt nach unverschlossenen Autos suchen.

Was die Kriminalstatistik ebenfalls zeigt: Bei den Beschuldigten handelt es sich vor allem um junge asylsuchende Männer aus den Maghreb-Staaten. Besonders auffallend seien dabei algerische Staatsangehörige, wie Mario Fehr, Zürcher Sicherheitsvorsteher, an einer Medienkonferenz sagte (STREETLIFE berichtete). Im Kanton Zürich würden sie mit einer Kriminalitätsrate von 91 Prozent hervorstechen, ergänzte er. Und weiter: «Es handelt sich dabei fast ausschliesslich um abgewiesene Asylsuchende.»

10 Delikte in zwei Monaten

Ridah B. ist ein solcher «Fälleler». Davon ist die zuständige Staatsanwaltschaft überzeugt. In ihrer Anklageschrift führt sie die ihm vorgeworfenen Straftatbestände akribisch auf und gewährt so einen Einblick in das Milieu der mutmasslichen Täter. So ist auch Ridah B. als Asylsuchender in die Schweiz eingereist. Ihm wird kurz darauf ein Platz im Bundesasylzentrum Zürich zugewiesen. Doch oft habe er sich dort nicht aufgehalten, schreibt die Anklagebehörde, «wobei nicht bekannt ist, wo er sich umgetrieben hatte», heisst es weiter. Die Zeit vor seiner Verhaftung zeige aber: «Der Beschuldigte ist oft in der Schweiz herumgereist.»

So soll er sich von Mai bis Juli 2023 quer durchs Mittelland geklaut haben. Zum ersten Vorfall kommt es am 15. Mai in Schafisheim AG. Zusammen mit einem Komplizen dringt er in die unverschlossene Garage einer Liegenschaft ein. Der dort abgestellte BMW X3 ist ebenfalls unverschlossen, und so gelangt Ridah B. schnell ins Autoinnere. Die Besitzerin hat Glück im Unglück. Es bleibt beim Diebstahlversuch. Im Auto befinden sich zu diesem Zeitpunkt keine Wertgegenstände. Die jungen Männer ziehen unverrichteter Dinge ab. Doch sie werden bemerkt. In den Morgenstunden des nächsten Tages verhaftet sie die Polizei. Kurz nach 13 Uhr sind sie aber wieder auf freiem Fuss. 

«Da es sich um Bagatelldelikte handelt, nimmt man zwar sehr viele Personen fest, diese werden anschliessend polizeilich abgearbeitet, sind aber nach ein paar Stunden wieder frei», sagt Adrian Gaugler, Sprecher der Konferenz der kantonalen Polizeikommandantinnen und -kommandanten gegenüber 20 Minuten. «Das ist sehr unbefriedigend. Aber die Delikte reichen nicht, um die Personen in Haft zu nehmen. Diesem Umstand sind sich die Täter natürlich aber auch bewusst.»

Luxusuhren und Portemonnaies

So ist es auch bei Ridah B. Die Verhaftung beeindruckt ihn nur wenig. Einen Monat später schlägt er in Zürich erneut zu. Gegen 19 Uhr dringt er in eine Einzelgarage ein und wird in einem unverschlossenen Porsche Cayenne GTS fündig. Er klaut eine Sonnenbrille der Marke Gucci (300 Franken), Bargeld in der Höhe von rund 1000 Franken, ein Feuerzeug der Marke Cartier (1400 Franken) sowie diverse Bankkarten. Die Deliktsumme beläuft sich auf rund 3000 Franken. Das reicht dem 19-Jährige offenbar noch nicht. Ein paar Strassen weiter und zwei Stunden später entdeckt er einen unverschlossenen Dacia Duster und stiehlt auch aus diesem Wagen 430 Franken. 

Der Algerier beschränkt sich aber nicht nur auf Autos. Er steigt auch in Wohnungen ein. Zweimal in Zürich und einmal im Däniken im Kanton Solothurn. Er hat es vor allem auf teure Uhren und Portemonnaies abgesehen. Dazu kommen noch zwei gestohlene E-Bikes, eines in Zürich und eines in Meilen. In nur zwei Monaten kommt so eine Deliktsumme von über 21'000 Franken zusammen. In dieser Zeit wird Ridah B. fünfmal verhaftet. Viermal müssen ihn die Beamten wieder gehen lassen, beim fünften Mal reicht die Aktenlage dem Zwangsmassnahmengericht schliesslich für die Sicherheitshaft. 

Die Staatsanwaltschaft hat den 19-Jährigen wegen gewerbsmässigem Diebstahl, mehrfachem Hausfriedensbruch, Missachtung der Aus- oder Eingrenzung, der geringfügigen Sachbeschädigung und des mehrfachen geringfügigen betrügerischen Missbrauchs einer Datenverarbeitungsanlage angeklagt. Sie fordert eine unbedingte Freiheitsstrafe von 36 Monaten sowie einer Busse von 400 Franken. Nach der Haftstrafe soll Ridah B. für zehn Jahre des Landes verwiesen werden. Ob der Richter der Staatsanwaltschaft in allen Punkten folgt, muss sich zeigen. Der Prozess war für Donnerstag angesetzt, musste aufgrund eines Krankheitsfalls allerdings verschoben werden. STREETLIFE bleibt an dem Fall dran.

* Name der Redaktion bekannt.

Leserreporter

Hast du etwas beobachtet?

Schicke uns deine Bilder und Videos! Bei unseren Lesern ist immer etwas los, doch unsere Reporterinnen und Reporter können nicht überall sein. Und hier kommst du ins Spiel: Hast du etwas beobachtet oder möchtest du uns etwas mitteilen, das nur du weisst? Schicke uns deine Bilder und Videos per WhatsApp unter 077 279 72 56 direkt in unsere Redaktion.

Werbung