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Politik & Wirtschaft •
EU-Rechnungshof warnt und stellt die Frage

Zukunft des Autos: Kriegen wir noch die Kurve?

Ab 2035 gilt in der EU faktisch ein Verkaufsverbot von Neufahrzeugen mit Verbrennungsmotor. Für den Europäischen Rechnungshof EuRH ist klar: Die entstehende Lücke kann nur mit E-Autos gefüllt werden. Doch schaffen wir das überhaupt? Die Behörde warnt: Machen wir so weiter, schädigt das die europäische Autoindustrie.

Das gab es beim Europäischen Rechnungshof noch nie. Die unabhängige Rechnungsprüfungskommission der Staatengemeinschaft lud am Montag zur länderübergreifenden Pressekonferenz ein. Provokant der Titel der Einladung: «Die Zukunft des Autos: Kriegen wir die Kurve?» Noch nie zuvor hatte die Behörde, die sich für die Interessen der europäischen Steuerzahlerinnen und -zahler einsetzt, zu einer vergleichbaren Information geladen.

Die Botschaft, die sie den zahlreichen im virtuellen Raum anwesenden Journalisten mitzuteilen hatte, war dann auch äusserst spannend und brisant: «Unsere Aufgabe ist es, auf Missstände hinzuweisen», erklärt Nikolaos Milionis, Griechenlands Vertreter im Rechnungshof. Er und seine belgische Amtskollegin, Annemie Turtelboom, sprachen eine deutliche Warnung aus: «Wir werden die E-Auto-Ziele nicht erreichen und wenn wir das doch wollen, sind wir auf Importe angewiesen. Aber genau das wird die europäische Autoindustrie schwächen.» 

Es ist eine Aussage, die auch in der Schweiz aufhorchen lässt. Die Schweizer Automobilzulieferer setzen jährlich rund 12,3 Milliarden Franken um und beschäftigen etwa 34'000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Schwächelt die europäische, insbesondere die deutsche Autoindustrie, spürt man das hierzulande überdeutlich. 

Unsere Aufgabe ist es, auf Missstände hinzuweisen

Nikolaos Milionis, Mitglied EU-Rechnungshof

Doch warum schlägt der EU-Rechnungshof gerade jetzt Alarm? Die Begründung: Die EU sei mit ihrer Strategie rund um die Mobilitätswende Green Deal schlicht nicht auf Kurs. Die ehemalige belgische Justizministerin Turtelboom malt ein düsteres Bild der Lage: «Die 27 Mitgliedstaaten tun sich schwer damit, die Umstellung auf Elektrofahrzeuge zu beschleunigen. Der Weg dorthin ist voller Schlaglöcher. Kurz gesagt, Europa steht vor einem Dilemma: Wie kann der Green Deal erreicht werden, ohne unsere Industrie zu schädigen und die Kosten für die europäischen Verbraucher deutlich erhöhen zu müssen?»

Achillesferse Rohstoffe

Die Einschätzung des EU-Rechnungshofes beziehe sich vor allem auf die Batterien. Bei der Produktion eines E-Autos ein massiver Kostenfresser. Müssen diese importiert werden, treibt das die Kosten zusätzlich massiv in die Höhe. «Aber die europäische Batterie-Produktion hinkt im weltweiten Vergleich hinterher. China beherrscht den Markt mit mehr als drei Vierteln der weltweiten Kapazitäten. Europas Achillesferse sind die für die Herstellung benötigten Rohstoffe: Lithium, Mangan, Kobalt und natürliche Graphit», so die Expertin. Turtelboom zitiert damit aus einem Sonderbericht des EU-Rechnungshofes. Und sie warnt weiter: «Das erinnert stark an die Erfahrung, die wir mit russischem Gas gemacht haben. Das kann nach hinten losgehen.»

Da würde es gemäss Turtelboom auch nicht helfen, dass Europa über unerschlossene Mineralienreserven verfüge. Um diese zu fördern, rechnet sie mit einem Zeitrahmen von mindestens 16 Jahren. «Zeit, die Europa nicht hat. Es ist also wichtig, dass die EU den Green Deal mit ihrer Industriepolitik und der wirtschaftlichen Souveränität in Einklang bringt.»

Es ist zu befürchten, dass E-Autos für die breite Öffentlichkeit schlicht unerschwinglich werden.

Annemie Turtelboom, Mitglied EU-Rechungshof

Gelingt das nicht, dann drohen nicht nur Stellenabbau und finanzielle Engpässe in der Autoindustrie; treffen dürfte es dann auch die Konsumenten. «Für den Massenmarkt braucht es erschwingliche E-Autos», so die Vertreterin des Rechnungshofes. «Die Entwicklung geht aber eher in die andere Richtung. Es ist zu befürchten, dass E-Autos für die breite Öffentlichkeit schlicht unerschwinglich werden.»

Wie geht es jetzt weiter? Der EU-Rechnungshof kann keine Weisungen erteilen. Aber Turtelboom ruft einen wichtigen Punkt ins Gedächtnis. «2026 wird die Europäische Kommission das Verkaufsverbot für Benzin- und Dieselfahrzeuge neu beurteilen. Das ist so im Verfahren vorgeschrieben», erklärt sie. «Es wird geprüft, ob das Ziel von 13 Millionen E-Autos bis 2025 erreicht werden konnte.» Bleibt die Frage: Was, wenn nicht? Hält die EU dann noch am Verbrennerverbot fest?

Das ist der EU-Rechnungshof

Als unabhängige externe Rechnungsprüfungsstelle der EU vertritt der Europäische Rechnungshof die Interessen der europäischen Steuerzahler/innen. Er selbst hat keine rechtlichen Befugnisse, setzt sich jedoch für eine bessere Verwaltung des EU-Haushalts durch die Europäische Kommission ein und berichtet über die Finanzlage der EU.

  • Aufgabe: Kontrolle der ordnungsgemäßen Erhebung und Verwendung der EU-Mittel und Beitrag zur Verbesserung des Finanzmanagements der EU
  • Präsident: Tony Murphy
  • Mitglieder: Ein Mitglied aus jedem EU-Land
  • Gründung: 1977
  • Sitz: Luxemburg
  • InternetpräsenzEuropäischer Rechnungshof

 

 

Das sieht der Green Deal vor

Der European Green Deal, Europäischer Grüner Deal, ist ein von der Europäischen Kommission unter Ursula von der Leyen am 11. Dezember 2019 vorgestelltes Konzept mit dem Ziel, bis 2050 in der Europäischen Union die Netto-Emissionen von Treibhausgasen auf null zu reduzieren und somit als erster Kontinent klimaneutral zu werden. Der Green Deal soll zentraler Bestandteil der Klimapolitik der Europäischen Union werden.

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