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Politik & Wirtschaft •
Jürg Grossen schlägt Alarm

«Wir werden links und rechts überholt – es ist frustrierend»

Nationalrat Jürg Grossen kämpft für das Recht auf Laden. Doch eine Kommission des Ständerats hat die Motion für die Unverbietbarkeit von Heimladestationen zur Ablehnung empfohlen. Im STREETLIFE-Interview erklärt der GLP-Politiker, warum ihn das frustriert – und weshalb die Verkehrswende so nicht zustande kommt.

Herr Grossen, die zuständige Kommission des Ständerats empfiehlt, die Motion für die Unverbietbarkeit von Heimladestationen abzulehnen. Wie sehr hat Sie dieses Signal enttäuscht? 

Ich bin ehrlich gesagt sehr enttäuscht. Gerade diese Kommission, die sich intensiv mit dem Verkehr und der Energie- und Klimapolitik befasst, hätte die Dringlichkeit erkennen müssen. Es ist unbestritten, dass der Bund hier regulieren darf – das bestätigen Juristen. Es geht nicht um Ideologie, sondern um die Freiheit der Menschen, ihre Mobilität so zu gestalten, wie sie möchten. Heute ist diese Freiheit eingeschränkt. 

Die Motion fordert kein flächendeckendes Pflichtprogramm, sondern nur die Unverbietbarkeit. Warum stösst selbst dieses moderate Anliegen auf Widerstand? 

Es sind oft die gleichen Kreise, die mit Falschinformationen operieren, etwa Kreise aus dem Hauseigentümerverband und nahestehende. Dabei sind viele der angeblich unlösbaren Probleme längst geklärt. Es gibt beispielsweise klare und von allen Verbänden getragene Leitfäden, wie man die Kosten auf Mietende umlegen kann. Aber solche Fakten werden gern ignoriert. Das ist für mich unverständlich – und ärgerlich.

Die Gegner argumentieren mit dem Schutz des Eigentums. Hat das Substanz? 

Ich sehe das anders. Im Fernmeldegesetz ist das Anrecht auf einen Glasfaseranschluss bis in jede Wohnung längst festgeschrieben – das greift genauso ins Eigentum ein, ist aber sinnvoll und breit akzeptiert. Es gibt in vielen Bereichen gesetzliche Verpflichtungen im Gebäudebereich, etwa bei Ölheizungen und Kaminen. Wir sprechen hier nicht von einem Übergriff, sondern von einer Ermöglichung und einem Beitrag zum öffentlichen Interesse – zur Dekarbonisierung des Verkehrs.

Was ist Ihr stärkstes Argument gegenüber den unentschlossenen Ständerätinnen und Ständeräten? 

Ganz einfach: Wenn Menschen zu Hause nicht laden können, kaufen sie kein Elektroauto. Punkt. Auch Auto-Schweiz hat das mittlerweile erkannt und unterstützt das Anliegen, weil sie merken: Ohne Heimladen verkaufen sie zu wenig Fahrzeuge. Der Schlüssel zur E-Mobilität liegt beim Laden – das wissen eigentlich alle, die sich damit auskennen.

Gleichzeitig wird die Schweizer Autoindustrie an den Pranger gestellt, weil sie die Quoten nicht erfüllt und mit CO₂-Strafzahlungen abgemahnt. 

Diese Rechnung geht nicht auf, das ist klar. Der Autoindustrie mache ich dazu auch keinen Vorwurf, im Gegenteil: Wenn sich die E-Mobilität auf breiter Basis durchsetzen soll, müssen die Leute ihre Autos zuhause laden können. Das ist derzeit das Hauptargument, weshalb die Kundschaft zögert. Die Situation heute ist etwa so, wie wenn man den Leuten Waschmaschinen verkaufen würde – ihnen aber verunmöglicht, diese zu Hause an den Strom anzuschliessen. 

Die Schweiz hinkt im internationalen Vergleich hinterher. Wie bewerten Sie diesen Rückstand? 

Wir waren einmal ganz vorne mit dabei. Heute werden wir links und rechts überholt – von Ländern, die ein Recht auf Laden längst gesetzlich verankert haben. Es ist fast absurd, dass wir so tun, als sei unklar, ob sich Elektromobilität überhaupt durchsetzt. Wer Physik versteht, weiss: Die Zukunft fährt elektrisch. Die Frage ist nicht ob, sondern wie schnell. 

Der erste Vorstoss von 2021 ist verjährt. Was sagt dieser zähe Prozess über die Innovationsfähigkeit des Schweizer Gesetzgebers in der Klimapolitik aus? 

Ich bin nicht in die Politik gegangen, weil ich das Gefühl hatte, es gehe schneller als im Unternehmen. (lacht) Aber das hier ist schon ein sehr frustrierendes Beispiel. 

Ein oft gehörter Vorwurf lautet: E-Mobilität ist nur etwas für Besserverdienende. Wie entgegnen Sie dem? 

Alle, die rechnen können, fahren elektrisch – wenn sie dürfen. Ich fahre seit 15 Jahren elektrisch. Die Anschaffung ist aktuell noch etwas teurer, aber die Betriebskosten sind deutlich tiefer. Und mit den neuen, günstigeren E-Autos, die jetzt auf dem Markt sind, wird die Anfangsinvestition in die Elektromobilität endlich auch für die breite Bevölkerung erschwinglich. Aber ohne Ladeinfrastruktur zu Hause funktioniert die Gleichung nicht. 

Trotz allem glauben Sie an ein Ja im Ständerat? 

Ich bleibe optimistisch. Ich bin überzeugt, dass sich noch einige Ständeräte überzeugen lassen – auch mit Unterstützung von Organisationen wie Auto Schweiz. Klar ist: Es wird wohl eine knappe Sache. 

Und wenn die Motion scheitert? 

Dann geben wir nicht auf. Auch das Frauenstimmrecht hat fünf Anläufe gebraucht. Das Problem bleibt ja bestehen. Zudem werden wir aus dem zähen Prozess unsere Lehren gezogen haben und das Anliegen gezielter bei den Kantonen oder in eine laufende nationale Gesetzesrevision einbringen. Zum Beispiel im Stromversorgungsgesetz. So wie das die Internetanbieter beim Glasfaseranschluss erfolgreich gemacht haben – weniger offen formuliert, dafür konkret und praktikabel. 

Am 11. Juni fällt der Entscheid. Was steht für Sie auf dem Spiel? 

Viel. Es geht nicht um Ideologie, sondern um eine ganz praktische Frage: Können alle Menschen in der Schweiz gleichberechtigt an der Verkehrswende teilnehmen? Wenn wir das nicht regeln, wird Elektromobilität ein Privileg für Eigenheimbesitzer bleiben. Das darf nicht sein – nicht in einem Land, das sich gern als demokratisch und zukunftsorientiert sieht. 

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