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Härtetest für Mensch und Maschine
Vergangenes Wochenende fand eines der legendärsten Autorennen der Welt zum 100. Mal statt: Das 24-Stunden-Rennen von Le Mans. Seine Geschichte prägte nicht nur den Motorsport, sondern auch die Schweiz.
Gestelltes Fotofinish, wahnwitziges Startprozedere, technischer Defekt in der letzten Runde oder tragische Unfälle. Das sind nur einige Stichworte, die das 24-Stunden-Rennen von Le Mans umschreiben. Im Osten Frankreichs findet eines der härtesten Autorennen der Welt statt – und dies nun schon seit 100 Jahren.
Schon der Anfang war spektakulär: Am 26. Mai 1923 starten 33 Teams mit je zwei Fahrern, darunter mit Edouard Probst auch ein Schweizer, zu einem Härtetest für Mensch und Maschine. 17 Hersteller wollen die Haltbarkeit, Zuverlässigkeit, Qualität und Leistung ihrer Fahrzeuge unter Beweis stellen. Während 24 Stunden drehen ihre Automobile Runde um Runde auf einer 17,262 Kilometer langen Strecke, welche die Orte Le Mans, Mulsanne und Arnage verbindet.
Kurios von Beginn an
Schon das erste Rennen bot Drama. Am Sonntagmorgen durchschlägt ein Stein den Benzintank des einzigen Bentleys im Rennen. Zu jenem Zeitpunkt fährt der Kanadier John Duff und bleibt drei Kilometer vor der Start-Ziel-Linie ohne Sprit liegen. Er läuft zum nächsten Fernsprecher und ruft seinen Partner Frank Clement in den Boxen an, damals fuhren immer zwei Fahrer zusammen und wechselten sich ab. Nach dem Okay der Rennleitung packt Clement zwei Benzinkanister auf ein Velo und radelt zu seinem gestrandeten Kollegen. Der Sprit reicht trotz Leck geradeso zurück an die Box – mit Velo auf dem Rücksitz. Die beiden reparieren den Tank und beendeten das Rennen auf Platz 4. Ohne das Malheur wäre vielleicht sogar ein Podestplatz möglich gewesen.

Damals wie heute findet ein Grossteil des Rennens auf öffentlichen Strassen statt. Einer der grössten Unterschiede zu heute war allerdings, dass Strassenautos das Rennen fuhren. Das Reglement verlangte explizit, dass die Autos in der Version starten mussten, in welcher die Hersteller sie auslieferten. Zudem sollten bis zum Rennstart mindestens 30 Stück produziert worden sein.
Der kuriose Start
Zur Legende des 24-Stunden-Rennens von Le Mans hat auch der 1925 eingeführte Start beigetragen. Die Fahrer sassen nicht etwa schon im Auto, sondern musste zuerst über die Rennstrecke zu ihrem Boliden rennen. Das ist der Grund, wieso heute noch in allen Porsche das Zündschloss (oder der Startknopf) links vom Lenkrad ist. So konnten die Piloten schon beim Einsteigen den Schlüssel einstecken und Motor starten, ohne um das Lenkrad greifen zu müssen. 1970 wurde der Start aus Sicherheitsgründen abgeschafft. Heute wird nur noch vereinzelt bei Oldtimer-Rennen so gestartet.

Das 24-Stunden-Rennen in Le Mans ist ein Tag voller Dramen und Tragödien. Zur 100-jährigen Geschichte gehört leider auch die grösste Katastrophe im Motorsport. 1955 kollidiert ein Mercedes auf Höhe der Boxeneinfahrt mit hoher Geschwindigkeit mit einem langsameren Fahrzeug. Mehre Fahrzeugteile, darunter der Motorblock, flogen in die Zuschauermenge. 83 Zuschauer und der Fahrer des Mercedes Pierre Levegh starben bei dem Unglück. In der Folge wurden in Frankreich, Deutschland und Spanien Rennen abgesagt. In anderen Ländern liessen die Verantwortlichen Strecken umbauen und verbesserten die Sicherheitsvorkehrungen. Die Schweiz ging noch einen Schritt weiter und verbot Rundstreckenrennen ganz. Das Verbot wurde erst letztes Jahr nach mehreren erfolglosen politischen Vorstössen aufgehoben.
Entscheidung in der letzten Runde
Eher in die Kategorie Drama gehören die 50 Jahre auseinanderliegenden Zieleinläufe von 1966 und 2016. Das Rennen 1966 endete in einem Fotofinish. Die Fahrerpaarungen Bruce McLaren und Chris Amon sowie Ken Miles und Denis Hulme lagen überlegen auf den Plätzen 1 und 2. Beide Paarungen fuhren für Ford auf einem GT40. Henry Ford II wollte kein Risiko eingehen und wies die Fahrer an, dass es ein sogenanntes «Totes Rennen» gebe. Sprich: Sie sollten gemeinsam über die Ziellinie fahren und beide gewinnen. Nur hatte Ford die Rechnung ohne den organisierenden Automobil Club de l’Ouest (ACO) gemacht. Weil Bruce McLaren und Chris Amon von weiter hinten gestartet waren, galten sie mit einem Vorsprung von 22,9 Meter (25 Yards) als Sieger, obwohl Ken Miles und Denis Hulme ebenfalls 360 Runden und 4843,067 Kilometer zurückgelegt hatten.
Für Ford hatte das nichts geändert. Der Hersteller belegte die Plätze 1 bis 3. Und in Le Mans wird eher von den Teams als von den Fahrern gesprochen. Nur echte Motorsport-Fans wissen, dass der Däne Tom Kristensen neunmal gewonnen hat und damit Rekordsieger ist. Schon bekannter ist, dass Porsche mit 19 Siegen der erfolgreichste Hersteller in Le Mans ist. Einen davon bekam der deutsche Sportwagenbauer 2016 von Toyota geschenkt. Die Japaner führten bis zur letzten Runde, doch dann wurde der Hybrid-Rennwagen immer langsamer und blieb schlussendlich stehen. Der Zweitplatzierte Porsche zog vorbei und gewann das Rennen in einem Herzschlagfinale überraschend. Zu den glücklichen Siegern gehörte auch der Schweizer Neel Jani. Es war bisher sein einziger Sieg.
Le Mans und die Schweiz
Jani war damals der zweite Schweizer, der das legendäre 24-Stunden-Rennen gewinnen konnte. Zuvor war schon Marcel Fässler 2012 und 2014 erfolgreich. Auf Fässler und Jani folgte Sébastien Buemi. Mit vier Siegen (2018, 2019, 2020, 2022) ist er Schweizer Rekordsieger. Er gehörte mit Toyota auch dieses Jahr zu den Favoriten für den Gesamtsieg. Wegen einer Reglementsänderung starteten so viele Hersteller wie schon lange nicht mehr in der höchsten Kategorie LMDh (Prototypen-Rennwagen mit Einheitshybridantrieb). Mit Audi, Cadillac, Ferrari und Porsche kehrten gleich vier Hersteller nach längerer Abwesenheit nach Le Mans zurück, um die fünf Jahre anhaltende Siegesserie von Toyota zu stoppen.
Neben Sébastien Buemi starteten dieses Jahr sieben weitere Schweizer und mit Rahel Frey eine Schweizerin in Le Mans. Frey fuhr in einem reinen Damen-Team. Zudem traten mit Cool Racing und Kessel Racing auch zwei Schweizer Teams an.
Die Resultate
Rang | Team | Kategorie (Rang) | Fahrer | Runden | Differenz |
1. | Ferrari Corse AF (I) | LMDh | Alessandro Pier Guidi (I), James Calado (UK), Antonio Giovinazzi (I) | 342 | -- |
2. | Toyota Gazoo Racing (JPN) | LMDh | Sébastien Buemi (CH), Brendon Hartley (NZ), Ryo Hirakawa (JPN) | 342 | + 1:21.793 min |
3. | Cadillac Racing (USA) | LMDh | Earl Bamber (NZ), Alex Lynn (UK), Richard Westbrook (UK) | 341 | + 1 Runde |
4. | Cadillac Racing (USA) | LMDh | Sébastien Bourdais (F), Renger van der Zande (NL), Scott Dixon (NZ) | 340 | + 2 Runden |
5. | Ferrari Corse AF (I) | LMDh | Antonio Fuoco (I), Miguel Molina (E), Nicklas Nielsen (DK) | 337 | + 5 Runden |
6. | Glickenhaus Racing (USA) | LMDh | Romain Dumas (F), Olivier Pla (F), Ryan Briscoe (AUS) | 335 | + 7 Runden |
7. | Glickenhaus Racing (USA) | LMDh | Franck Mailleux (F), Nathanaël Berthon (F), Esteban Gutiéerrez (MEX) | 333 | + 9 Runden |
8. | Peugeot TotalEnergies (F) | LMDh | Paul di Resta (UK), Mikkel Jensen (DK), Jean-Éric Vergne (F) | 330 | + 12 Runden |
9. | Porsche Penske Motorsport (D) | LMDh | Dane Cameron (USA), Michael Christensen (DK), Frédéric Makowiecki (F) | 329 | + 13 Runden |
10. | Inter Europol Competition (PL) | LMP2 (1.) | Fabio Scherer (CH), Jakub Śmiechowski (PL), Albert Costa (E) | 328 | + 14 Runden |
11. | Team WRT (B) | LMP2 (2.) | Louis Delétraz (CH), Rui Andrade (P), Robert Kubica (PL) | 328 | + 21.015 s |
12. | Duqueine Team (F) | LMP2 (3.) | Neel Jani (CH), René Binder (A), Nico Pino (CHL) | 327 | + 15 Runden |
23. | Cool Racing (CH) | LMP2 (12.) | Alexandre Coigny (CH), Nicolas Lapierre (CH), Malthe Jakobsen (DK) | 317 | + 25 Runden |
27. | Peugeot TotalEnergies (F) | LMDh (12.) | Nico Müller (CH), Loïc Duval (F), Gustavo Menezes (USA) | 312 | + 30 Runden |
30. | Iron Dames (I) | LMGTE Am (4.) | Rahel Frey (CH), Sarah Bovy (B), Michelle Gatting (DK) | 312 | + 1:26.906 min |
31. | AF Corse (I) | LMGTE Am (5.) | Thomas Flohr (CH), Francesco Castellacci (I), Davide Rigon (I) | 312 | + 3:00.737 min |
38. | Kessel Racing (CH) | LMGTE Am (9.) | Kei Cozzolino (JPN), Yorikatsu Tsujiko (JPN), Naoki Yokomizo (JPN) | 303 | + 1:41.443 min |
out | Kessel Racing (CH) | LMGTE Am | Takeshi Kimura (JPN), Scott Huffaker (USA), Daniel Serra (BRA) | 254 | -- |
out | COOL Racing (CH) | LMP2 | Reshad de Gerus (F), Vladislav Lomko (F), Simon Pagenaud (F) | 158 | -- |
out | Nielsen Racing (UK) | LMP2 | Mathias Beche (CH), Rodrigo Sales (USA), Ben Hanley (UK) | 18 | -- |
Die Schweizer in Le Mans 2023
Fahrer
- Sébastien Buemi (Toyota, Hypercar-Kategorie)
- Nico Müller (Peugeot, Hypercar)
- Mathias Beche (Nielsen-Racing, LMP2)
- Neel Jani (Duqueine, LMP2)
- Fabio Scherer (Inter Europol Competition, LMP2)
- Alexandre Coigny (Cool Racing, LMP2)
- Louis Delétraz (Team WRT, LMP2)
- Thomas Flohr (AF Corse, LMGTE Am)
- Rahel Frey (Iron Dames, LMGTE Am)
Teams
- Cool Racing: 2 Autos in der LMP2-Kategorie
- Kessel Racing: 2 Rennwagen Kategorie LMGTE Am
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