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Wer will das Steuer aus der Hand geben?
Ab 1. März 2025 hält das automatisierte Fahren in der Schweiz Einzug. Ab dann gilt: Auf Autobahnen darf der Autobahnpilot eingesetzt werden und führerlose Fahrzeuge können auf genehmigten Strecken verkehren. Was Tech-Fans feiern, löst bei Kritikern ungute Gefühle aus. Ein Pro und Contra aus der STREETLIFE-Redaktion.
Es ist ein zukunftsweisender Entscheid, den der Bundesrat Mitte Dezember fällte. Er verabschiedete die Vorlage, die das automatisierte Fahren in der Schweiz legalisiert. Schon in wenigen Wochen tritt das neue Gesetz in Kraft.
Und es macht das möglich, was in den USA und in China bereits Teil des Verkehrs ist. So betreibt Googles Schwesterfirma Waymo in Kalifornien und Arizona eine Flotte von über 250 Robotaxis. Kundinnen und Kunden können per App einen hochgerüsteten Jaguar i-Pace ordern und sich auf dem Rücksitz zum Zielort chauffieren lassen. Und auch in China unterhält das Software-Unternehmen Baidu über die Tochterfirma Apollo Go einen Fuhrpark von etwa 100 vollautonomen Taxis.
Pannenfrei ist das nicht immer, wie ein kürzlich veröffentlichtes Video zeigt, das weltweit viral ging. «Können Sie dieses Auto anhalten?», fragte Fahrgast Mike Johns. Der Amerikaner filmte sich auf dem Rücksitz eines autonomen Waymo Taxis, als dieses auf einem Parkplatz nur noch Kreise drehte. «Mir wird schwindelig», teilt er dem Kundeservice über eine Fernsprechanlage mit. Es dauerte allerdings noch einige Runden, bis Waymo das Problem in den Griff bekam und Johns doch noch an seinem Zielort ankam.
Es sind Fälle wie diese, die auch in der Schweiz Unsicherheiten auslösen. So warnte die Beratungsstelle für Unfallverhütung BFU erst diese Woche: «Automatisiertes Fahren ist eine grosse Herausforderung für die Verkehrssicherheit». Es sei deshalb wichtig, dass «diese Veränderungen durch die Fahrausbildung eng begleitet werden – damit der Übergang zu stärker automatisierten Fahrzeugen der Sicherheit der Verkehrsteilnehmenden zugutekommt».
Sind also autonome Fahrzeuge die Zukunft, wenn es um unsere Mobilität geht? Muss ich hinter dem Steuer wirklich in einem Buch blättern können und will ich die Aufsicht über die Fahrt tatsächlich an eine Künstliche Intelligenz abtreten? Es sind Fragen, die auch auf der STREETLIFE-Redaktion heiss diskutiert werden.
Contra: «Passiv zuschauen? Nein, danke. Ich behalte lieber die Kontrolle»
Ich bin kein Kontrollfreak und technologische Entwicklungen machen mir keine Angst. Im Gegenteil: In der voranschreitenden Digitalisierung sehe ich grosse Chancen für unsere Gesellschaft. Denke ich aber ans autonome Fahren, stellen sich bei mir gleich alle Nackenhaare.
Passiv in einem führerlosen Auto zu sitzen und sich von einer Künstlichen Intelligenz durch die Stadt fahren zu lassen, ist für mich einfach ein gruseliger Gedanke. In der Konsequenz gebe ich damit die Kontrolle über meine Mobilität und – noch schlimmer – über meine Sicherheit aus der Hand.
Fans von autonomen Fahrzeugen kontern jetzt sicher: «Das Flugzeug fliegt ja auch mit Autopiloten!» Richtig, aber genau deshalb fliege ich nicht gerne. Kommt dazu: Das Unfallrisiko auf Schweizer Strassen ist ungleich höher als in der Luft. Kinder, die auf die Strasse rennen, Velofahrer, die durch die Kolonnen kurven – Sekundenbruchteile entscheiden über Sicherheit oder Gefahr. Da braucht es Instinkte, schnelle Reaktion und Erfahrungswerte. Ist die KI hier wirklich schon so weit? Ich glaube nicht. Ein einziger Fehler in der Software, wie im Fall des Waymo-Taxis, führt zu unkontrollierbaren Situationen. Will ich dann wirklich in diesem Taxi sitzen und dem Operator in der Leitung zuhören, wie er sagt: «Ich verstehe ihre Besorgnis. Aber leider kann ich auch nicht auf das Auto zugreifen.»
Sorgen bereitet mir auch dieser Aspekt: Erst diese Woche haben russische Hacker Webseiten von Banken und Gemeinden in der Schweiz lahmgelegt. Ein autonomes Auto, das ununterbrochen online ist, bietet ebenfalls eine Angriffsfläche. Welche Folgen das haben könnte, zeigte der Film «Leave The World Behind» 2023 eindrücklich. Da crashten führerlose Teslas ungebremst ineinander, weil sie so programmiert wurden.
Für mich gilt deshalb: Beim automatisierten Fahren mache ich noch zu viele Sicherheitslücken aus. Nur, um während der Fahrt in einem Buch blättern oder im Netz surfen zu können, gebe ich die Kontrolle über mein Lenkrad so schnell nicht aus der Hand.
Im Verkehr braucht es Instinkte, schnelle Reaktion und Erfahrungswerte. Ist die KI hier wirklich schon so weit? Ich glaube nicht.
Pro: «In einem autonomen Fahrzeug kann ich die Zeit im Stau sinnvoll nutzen»
Ich liebe es, Auto zu fahren. Selbst bestimmen zu können, wann ich ab- und wo ich durchfahre, gibt mir ein Gefühl von Freiheit. Doch in den letzten fünf Jahren hat meine Begeisterung stark gelitten. Das liegt an der zunehmenden Verkehrsdichte in der Schweiz. In einer Kolonne im Schritttempo zur Arbeit zu fahren, macht einfach keinen Spass – egal in welchem Auto. In dieser Situation gebe ich die Steuerung mit Freude an den Computer ab und lehne mich zurück. Die Zeit kann ich definitiv besser nutzen – mit Schlafen, Lesen oder Arbeiten.
Ja, die Technik funktioniert noch nicht immer einwandfrei. Das merken wir schon bei den Assistenzsystemen. Beunruhigt mich das? Ja. Würde ich deshalb nicht in ein selbstfahrendes Auto einsteigen? Nein. Der Komfortgewinn ist zu gross. Abgesehen davon können sich die Hersteller keinen Shitstorm leisten. Sie werden Himmel und Hölle in Bewegung setzen, damit es zu keinen Unfälle kommt.
Dasselbe gilt für die Regierungen. Ihr Hauptargument für autonomes Fahren ist die Verkehrssicherheit und ihr Ziel, die Zahl der Verkehrstoten auf null zu senken. Also werden sie jedes Fahrzeug auf Herz und Nieren prüfen, bevor sie es fürs autonome Fahren zulassen.
Hinzu kommt eine soziale Komponente. Mit selbstfahrenden Autos können Senioren mobil bleiben. Ich muss es leider ansprechen: Senioren, die im Dunkeln auf einer Autostrasse mit weniger als 60 Stundenkilometern dahintuckern und den Verkehr aufhalten, sollten lieber den Führerschein abgeben. Erst diese Woche ist mir ein solcher Fall begegnet. Sehprobleme kennt ein selbstfahrendes Auto in der Dunkelheit nicht. Das erhöht für alle die Verkehrssicherheit.
Kritiker führen gerne ins Feld, wer autonome Autos will, kann auch gleich den öffentlichen Verkehr nutzen. Aber das ist eben nicht das Gleiche. Das selbstfahrende Auto hat einen entscheidenden Vorteil gegenüber dem Zug oder dem Bus. Es ist an keinen Fahrplan gebunden und ich kann damit von Tür zu Tür fahren. Ich behalte also die Entscheidungsgewalt über das wann und auch über die Strecke. Ich kann mich für eine schnelle oder aber für eine schöne Route entscheiden. Selbstfahrenden Autos verbinden die Vorteile des Individual- aber auch des öffentlichen Verkehrs: Ich bin unabhängig, kann aber die Reisezeit anderweitig nutzen.
Die selbstfahrenden Autos verbinden die Vorteile des Individual- und öffentlichen Verkehrs.
Automatisiertes Fahren in der Schweiz – das gilt ab 1. März 2025
1. Autopilot auf der Autobahn
Hände weg vom Steuer. Mit aktiviertem Autopiloten ist das ab 1. März legal. Gleichzeitig muss der Verkehr und das Fahrzeug nicht mehr dauernd überwacht werden. Rasieren und Zeitungslesen werden im Auto also plötzlich möglich. Mit einer Einschränkung: Autoinsassen müssen jederzeit die Bedienung des Autos wieder übernehmen können, wenn sie durch das System dazu aufgefordert werden.
2. Führerlose Fahrzeuge
Ebenfalls erlaubt ist der Einsatz von führerlosen Fahrzeugen auf Strecken, die zuvor durch die kantonalen Behörden freigegeben wurden. Führerlose Fahrzeuge müssen zwingend von einem Operator in einer Zentrale überwacht werden.
Der Kanton Zürich startet noch diesen Frühling zusammen mit den SBB und dem Verein Swiss Transit Lab STL im Furttal ein entsprechendes Pilotprojekt. Es ist der erste Versuch, der ohne Sicherheitspersonal an Bord durchgeführt wird. Und zwar im regulären Verkehr und im normalen Tempo.
3. Automatisiertes Parkieren
Möglich sind nun auch Parkhäuser, in denen Autos ohne Lenker selbständig parkieren. Die Bewilligung für solche Flächen und Parkfelder werden von Gemeinden und Kantonen überprüft und erteilt.
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