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Vom Arbeitstier zum Edel-SUV
Der Land Rover Defender gilt seit 1948 als die grosse Ikone unter den Geländewagen. Fast 70 Jahre lang wurde der «Defi» mehr oder weniger unverändert produziert. Bei der Neuauflage des Defenders scheiden sich nun die Geister – wie zu erwarten, sind sich auch die STREETLIFE-Tester Aellig und Bartholdi nicht ganz einig.
Aellig: Einer der treusten Anhänger des alten Land Rover Defender war der 2021 verstorbene Prinz Philip. Seine Treue zum Defender war dermassen gross, dass er bereits zu seinen Lebzeiten einen olivgrünen TD5 zum stilvollen Sargtransporter umbauen liess. Zwei Jahre vor seinem Tode liess er noch letzte Anpassungen vornehmen. Als er dann mit fast 100 Jahren das Zeitliche segnete, trat er seine letzte Reise tatsächlich mit diesem Defender an. Trauer herrschte auch unter den vielen Land Rover Defender Fans, als der alte, robuste «Defi» durch einen neuen Edel-SUV ersetzt wurde.
Konnte bisher jeder afrikanische Dorfschmied einen Defender notdürftig wieder zusammenhämmern, benötigt die neue Generation ein ganzes Team von Diagnostikern und Spezialisten, welche sich um den edlen Nachfolger kümmern. Der neue Land Rover Defender 130 D250, welcher STREETLIFE testete, ist ein stilvolles Designmonument, welches Blicke auf sich zieht und einen Teil der Robustheit seines Vorgängers erhalten konnte. Ich habe als SUV-Freund den Zündschlüssel dieses «Defi» nur ungern wieder abgegeben. Ich gehe davon aus, dass mein Arbeitskollege und SUV-Dauerkritiker Bartholdi auch am Defender herummeckern wird.
Bartholdi: Ich müsste am Defender nicht herummeckern, wenn es denn noch ein Defender wäre. Der Ur-Defi war ein echter Geländewagen ohne irgendwelche SUV-Allüren. Er hat sich seine Kultstatus im wahrsten Sinne des Wortes mit ehrlicher Drecksarbeit abseits der Strassen, über Stock und Stein herausgefahren. Von 1948 bis 2016 hat Land Rover dieses Arbeitstier praktisch unverändert verkauft – vor allem die Raumausnutzung blieb unangetastet. Die Person am Lenkrad sass 2016 immer noch gleich nah an die Fahrertür gequetscht wie fast 70 Jahre zuvor und konnte deswegen kaum lenken. Das ist im neuen Defender nicht mehr der Fall.
Vielleicht hätte Land Rover ihn schon früher modernisieren sollen, aber es scheint, die Engländer fürchteten sich lange davor, Hand an ihre Ikone zu legen. Bis sie mussten, weil der Ur-Defi die Anforderungen an den Fussgängerschutz nicht mehr erfüllte. Das hätte sich sicher lösen lassen, ohne gleich den Kern des Modells zu verraten. Aber so ist der neue Defender zwar noch ein Land Rover, aber kein Geländewagen mehr, sondern nur noch ein Lifestyle-SUV.
Der Defi mit drei Sitzreihen
Aellig: Mir persönlich gefällt der neue Defender deutlich besser als alle seine Range-Rover-Brüder. Die massive, wunderschöne Front und die saubere Linienführung sind äusserst gelungen. Das Designpodest der aktuell schönsten drei SUVs teilt sich der Defender mit dem soeben lancierten Toyota Land Cruiser und dem Ford Bronco. Bei knapper Garagenlänge sollte man beim 5,35 Meter langen Defender auf das mächtige 22-Zoll-Ersatzrad achten, bevor man das Tor schliesst. Auch die Breite von 2,10 Meter (mit Rückspiegel) und die Höhe von 1,97 Meter verlangt vom Fahrer ein selbstbewusstes Manövrieren. Herrliches Detail ist der hochwertige Klang beim Türenschliessen. Und auch das Lichtsignet lässt sich sehen. Beim Ein- und Aussteigen wird die einprägsame Defender-Front auf den Boden projiziert.
Hauptmerkmal des Neuen 130 D250 ist die auf Wunsch erhältliche, dritte Sitzreihe. Betreffend Beinfreiheit würden dort hinten drei Bartholdis locker Platz finden – wobei in der Breite würden kaum zwei Bartholdis hineinpassen. Ein längeres Glasdach habe ich bisher noch nie gesehen – sogar von der dritten Sitzreihe aus kann man die Wolken bestaunen. Die Verarbeitung innen ist hochwertig und dem hohen Verkaufspreis angemessen. Der edelrobuste, geräumige Land Rover Defender eignet sich auch für einfache Jäger oder Waldbesitzer, welche überraschend einen grösseren Betrag im Lotto gewonnen haben – der Grundpreis unseres Testwagens beträgt CHF 105'100.
Pentti Aellig
Schon als Kind begeisterte ich mich für Autos. Mit 12 fuhr ich (unerlaubterweise) bereits mit dem elterlichen Citroën 2CV herum. Mit 15 reiste ich alleine an ein Formel-1-Rennen in Monza. Und mit 22 kaufte ich mir einen Peugeot 205 GTI. Die Liebe zu dynamischen Hot Hatches ist geblieben: Als jahrelanger Porsche 911-Fahrer bin ich im Zeitalter der Klimaproteste auf einen unauffälligen Toyota GR Yaris umgestiegen. Die vielen neu erscheinenden Steckerautos verfolge ich neugierig, aber die Entwicklung ökologisch verbesserter Verbrennermotoren schreibe ich noch nicht ab.
Bartholdi: Aellig scheint neidisch auf meine breiten Schultern zu sein. Aber für die dritte Sitzreihe im Defender sind sie definitiv zu breit. Ich bin ehrlich gesagt etwas enttäuscht, wie wenig Platz die hintersten Sitze für ein so grosses Auto bieten. Ich würde diese Plätze nicht einmal meinen eigenen Kindern zumuten. Aber Aellig darf gerne seine Enkel in Reihe drei platzieren. Auf den vorderen Reihen entsprechen die Platzverhältnisse hingegen den von aussen erweckten Erwartungen. Cool finde ich die Ablagefläche im Armaturenbrett, die sogar hinter dem Touchscreen durchführt und auf beiden Seiten in festen Haltegriffen endet. Zugegeben, Aellig, ich brauchte sie, um die 21,8 Zentimeter Bodenfreiheit zu überwinden und mich hinter das Lenkrad hochzuziehen
Immerhin beim Design kann ich Aellig zustimmen. Der neue Defender sieht gut aus. Nachdem die Designer von Land Rover gezwungen wurden, ihr Urgestein zu erneuern, trauten sie sich optisch weiter weg vom Original als andere Marken. Der neue Defender kommt progressiver daher als die Konkurrenten Ford Bronco, Jeep Wrangler und Mercedes G-Klasse. Damit bieten die Engländer als Einzige eine moderne Neuinterpretation, womit aber der Wandel vom Geländewagen zum SUV eingeleitet wurde.
Sehr präsenter Diesel
Aellig: Das Fahrwerk mit Luftfederung fühlt sich von Autobahnverhältnissen bis zum Gelände immer sehr angemessen an. Ich bin mit dem Defender auf einer steilen, unebenen Forststrasse unterwegs gewesen – als kleiner Vorgeschmack auf die Geländegängigkeit, welche dieses Auto bieten könnte. Auf normalen Überlandstrassen hätte ich das Abrollgeräusche noch etwas ruhiger erwartet.
Und grösster Negativpunkt für mich ist der Antrieb. Beim D250 sind die 249 PS des 3,0 Liter-Dieseltriebwerkes für das 2'822 Kilogramm schwere Fahrzeug schlicht zu schwach. Verlangt man vom Defi etwas Dynamik, wirkt die Lautstärke aus dem Motorraum für einen SUV oberhalb der 100’000-Franken-Preisklasse eine Spur zu rustikal. Bartholdi werden diese Motorengeräusche vermutlich weniger stören, denn bei jedem Testauto, welches ich von ihm übernehme, muss ich als Erstes die Soundanlage um rund 50 Dezibel nach unten schrauben.
Bartholdi: Ich bitte um Entschuldigung, lieber Kollege. Das Radio musste ich eben auch wegen der Motorgeräusche lauter stellen. Der Diesel ist schon sehr präsent, wie ich es lange nicht mehr gehört habe und leider ist der Klang nicht so schön, wie beim V8-Benziner des F-Types. Hier erinnert der neue Defender am meisten an seinen 70-jährigen Vorgänger, der gerade mit Diesel wie ein Traktor oder LKW wirkte. Immerhin kann sich der Testverbrauch für eine fahrende Schrankwand mit fast drei Tonnen Gewicht mit zehn Litern sehen lassen.
Bei den Fahreigenschaften macht der Defender sicher einen grossen Sprung zum Vorgänger, aber das ist bei einem quasi 70 Jahre alten Auto nicht schwer. Für einen Geländewagen fährt er sich sehr komfortabel und souverän, für einen SUV fehlt mir aber die finale Finesse. Eine Ausnahme ist die leichtgängige Lenkung. Das ist für einen Offroader eher unüblich, macht das Manövrieren aber deutlich angenehmer.
Martin A. Bartholdi
Mit dem Autofieber haben mich die Kult-TV-Serie «Knight Rider» und das Formel-1-Rennen in den Strassenschluchten von Monte Carlo infiziert. Noch heute zaubern mir US-Sportwagen mit langen Motorhauben wie der Ford Mustang und wendige Kurvenkratzer wie der Mazda MX-5 ein Lächeln ins Gesicht. Mit Kombis und vor allem SUVs kann ich allerdings nur wenig anfangen, dann doch lieber echte Geländewagen. Wohl die Schuld des Computerautos K.I.T.T. ist auch, dass ich gerne neue technische Spielereien ausprobiere, seien es Assistenten, Infotainment oder Vernetzung.
Unser Schlusswort
Fazit Aellig: Den Kultstatus, welcher der alte Land Rover Defender erlangte, wird die neue Generation kaum erreichen. Aber der Land Rover Defender 130 D250 wird mit seiner immensen Länge, seiner dritten Sitzreihe, seiner eindrücklichen Erscheinung, seiner unbestrittenen Geländetauglichkeit und seinem Ahnenstatus eine entsprechende Käuferschicht finden. Negativpunkte: Mit dem D250 leicht untermotorisiert, Ladekanten-Höhe von über 80 Zentimeter unpraktisch, langer Bremsweg. Prinz Philip und der alte Defender sind leider für immer von uns gegangen.
Fazit Bartholdi: Eigentlich darf man den neuen Defender nicht mit seinem kultigen Vorgänger vergleichen. Immerhin liegen über 70 Jahre Fortschritt dazwischen. Klar ist, Land Rovers Ikone wandelt sich vom rustikalen Geländewagen zum Lifestyle-SUV. Diese Transformation ist mit dem aktuellen Defender noch nicht abgeschlossen. Komfort und Antrieb entsprechen noch nicht dem Niveau eines SUV. Klar, hat er die Land-Rover-Gene und damit eine unbestrittene Geländetauglichkeit, aber wer einen echten Offroader sucht, wird sich wohl nicht mehr für einen über 100'000 Franken teuren Defender entscheiden.
Land Rover Defender 130 D250 Auto X-Dynamic SE: Fakten
- Dieselmotor: Hubraum (cm³) 2'99
- Leistung: 183 kW (249 PS) / 4000.0 U/min
- Automatikgetriebe: 8-Gang Automatik AWD Auto X-Dynamic SE
- Fahrleistung: 0-100 km/h in 8,9 s, Höchstgeschwindigkeit 188 km/h
- Verbrauch: nach WLTP- l/100km 9.6
- Länge/Breite/Höhe: 5,35 m / 1,97 m / 2,10 m (inkl. Rückspiegel)
- Ladevolumen: Achtsitzer, bei umgelegten Sitzen in Reihe 2 und 3: 2'291 Liter
- Leergewicht: 2822 Kilogramm
- Preis Testwagens ohne Sonderausstattung: CHF 105'100
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