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Verkehrspsychologin: «Das Auto erhöht das Selbstwertgefühl»
Tankstellen werden immer mehr zum Treffpunkt von jungen Erwachsenen mit ihren Autos. Prominentestes Beispiel ist die Autobahnraststätte Würenlos. Gleichzeitig beklagen sich die Clubs über schwindende Besucherzahlen. Verkehrspsychologin Charlotte Wunsch erklärt das neue Jugend-Phänomen.
Auf Hochglanz polierte Boliden. Silbern glitzernde Felgen. Dröhnende Beats aus Beatboxen und Auspuffen. Was wie eine Szene aus der «Fast and Furious»-Filmreihe wirkt, ist der Wochenend-Alltag auf der Autobahnraststätte Würenlos AG (STREETLIFE berichtete). Um diese Treffen zu unterbinden, hat das Center-Management Zugangskontrollen zu den Parkplätzen beschlossen und die Gemeinde Würenlos die Gratis-Parkdauer von vier auf zwei Stunden halbiert.
Doch die Autobahnraststätte Würenlos ist nur das bekannteste Beispiel für einen weitverbreiteten Trend. Immer mehr Tankstellen werden zu Treffpunkten von jungen Erwachsenen mit ihren, meist getunten Autos. Nicht selten packen sie gar Campingstühle aus, um neben ihren Autos zu chillen.
Beliebt sind vor allem grössere Tankstellen mit einem Shop und vielen Parkplätzen, um sein Schmuckstück auf Rädern zu präsentieren.
Alternative zur Disco?
Gleichzeitig haben die Clubs in den Stadtzentren zu kämpfen. Die Jugendlichen und jungen Erwachsen bleiben fern. In Zürich mussten bekannte Locations wie der Sender, das Hiltl und der Bronx Club ihre Türen für immer schliessen.
Einen direkten Zusammenhang zu ziehen sei schwierig. Verkehrspsychologin Charlotte Wunsch vermutet auch, dass Tankstellen und Clubs verschiedene Leute anziehen. «Im Club können die Männer Frauen treffen, aber in der Autoszene ist der Frauenanteil eher kleiner.»
Die Covid19-Pandemie dürfte aber beide Trends beeinflusst haben, ist sich die Psychologin sicher. Als die Clubs geschlossen waren, brauchte es alternative Treffpunkte im Freien. Für die Autofans wurden es die Tankstelle. Einige von ihnen dürften das Club-Leben wegen Corona gar nie kennengelernt haben, andere dürften nach Corona nicht von den Tankstellen-Treffpunkten zurückgekehrt sein.
Auffallen um jeden Preis
Für die Verkehrspsychologin treffen sich bei den Tankstellen vor allem die Auto-Poser, und das sei vor allem ein männliches Phänomen. «Mit ihrem Auto können sie ihr Selbstwertgefühl erhöhen. Wenn ihr Auto auffällig ist, fallen sie ebenfalls auf», erklärt Wunsch. Denn Männergruppen hätten eine Hackordnung.
Für die Verkehrspsychologin berge der Fokus auf das Auto aber auch eine Gefahr in sich. Dann nämlich, wenn es zu einem Ersatz werde. «Um die Leere im Leben zu füllen, wird dann das Fahrzeug für diese jungen Erwachsenen zum Lebensinhalt und befriedigt ihre Selbstoptimierung.»
Die Verkehrspsychologin erinnert sich an exemplarisches Beispiel aus einer Gruppentherapie. Ein Poser habe davon erzählte, wie er den ganzen Samstag damit verbracht habe, sein Auto zu waschen und zu pflegen. «Daraufhin fragte ihn ein anderer Teilnehmer, wann er denn seine Freundin das letzte Mal gewaschen habe», erzählt Wunsch. «Dieser Junge hat realisiert, dass es noch andere schöne Dinge gibt im Leben. Aber bei anderen dreht sich das ganze Leben nur ums Auto.»
Sicherheitsproblem im Verkehr
Bei der Verkehrspsychologin und ihren Kollegen lässt das immer die Alarmglocken klingeln. «Beim Auto beziehungsweise im Verkehr spielt eben die Sicherheit auch eine wichtige Rolle», erklärt Wunsch. «Sobald es darum geht, ein fehlendes Selbstwertgefühl mit dem Auto aufzupolieren, birgt es die Gefahr, dass sich diese Menschen aggressiver oder provozierender im Verkehr verhalten.» Darauf müsse man ein Auge werfen und die Vorzeichen erkennen, damit es nicht im Rasen oder im illegalen Tuning endet und damit die Verkehrssicherheit gefährdet.
Denn am Ende ist es wohl auch nur eine Phase im Prozess des Erwachsenwerdens. «Es gehört zum Jungsein», ordnet Wunsch ein. «Wenn diese jungen Männer ihre Männlichkeit erst einmal unter Beweis gestellt haben, haben sie diese Angeberei mit dem Auto auch nicht mehr nötig.» Ihre Männlichkeit können sie gemäss Wunsch, passend zu unseren sozialen Werten, durch eine Beziehung, die Vaterschaft oder beruflichen Erfolg erreichen.
Die extremen Fälle betreffen ohnehin nur einen eher kleineren Teil der Jugendlichen und jungen Erwachsenen. Für viele bleibe es ein Hobby und «zur Selbstoptimierung besuchen sie zusätzliche das Fitnessstudio oder machen eine Weiterbildung.»

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