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Velodemo Critical Mass kommt vor Gericht
Genau vor einem Jahr erklärte der Zürcher Statthalter unbewilligte Veloumzüge für illegal. Trotz Verbot radelte Critical Mass in Zürich munter weiter. 52 Teilnehmende wurden darauf von der Stadtpolizei kontrolliert und anschliessend gebüsst. Ein Beschuldigter zieht den Fall jetzt vor das Zürcher Bezirksgericht weiter.
Seit es sie gibt, sind sie in Zürich umstritten: die Velodemos von Critical Mass. Genau vor einem Jahr, am 3. Juli 2023, sprach der Zürcher Statthalter Mathis Kläntschi (Grüne) ein Machtwort. Er erklärte Critical Mass zur bewilligungspflichtigen politischen Demonstration. Zuvor waren an jedem letzten Freitag im Monat mehrere Tausende Velofahrende im Konvoi durch Zürich geradelt. Sie blockierten Strassen, sorgten für Verkehrsbehinderungen und nicht alle Teilnehmende hielten sich an die Verkehrsregeln.
Trotz Bewilligungspflicht radelte Critical Mass aber ohne munter weiter. Und das hatte Folgen: An zwei Velodemos im Juli und August schritt die Polizei ein, kontrollierte Velofahrende und eröffnete Strafverfahren. Einer dieser Fälle beschäftigt nun erstmals die Zürcher Gerichte. Ein Beschuldigter will seine Busse nicht zahlen und hat Einsprache erhoben.
Busse von 200 Franken
Der 34-jährige Sozialpädagoge akzeptiert damit den Strafbefehl des Zürcher Stadtrichteramtes vom 12. Dezember 2023 nicht. Darin wird er der mehrfachen vorsätzlichen Teilnahme an einer nicht bewilligten Veranstaltung beschuldigt. Gemeint sind damit die Critical-Mass-Events vom 28. Juli und dem 25. August 2023. An beiden Veranstaltungen wurde der Mann aus Zürich durch die Polizei kontrolliert. Er war Teil einer Velo-Gruppe «die geschlossen ein Rotlicht überfuhr». So steht es im Strafbefehl, der STREETLIFE vorliegt.
Der Stadtrichter verurteilte den Velofahrer zu einer Busse von 200 Franken. Dazu kommt eine Schreibgebühr des Stadtrichteramtes in der Höhe von 250 Franken, die Gesamtrechnung beläuft sich also auf 450 Franken. Die zuständige Stadtrichterin oder der zuständige Stadtrichter bezog sich im Urteil auf die Stadtzürcher Verordnung über die Benutzung des öffentlichen Grundes. Dort steht unter Art. 21 und 26: «Politische und religiöse Umzüge, Mahnwachen und Kundgebungen bedürfen einer Bewilligung» und weiter «nach den Bestimmungen der Allgemeinen Polizeiverordnung wird bestraft: Wer an nicht bewilligten Veranstaltungen teilnimmt, dafür Werbung betreibt oder dazu aufruft.»
Höheres Strafmass befürchtet
Mit einer Busse von 200 Franken kommt der Beschuldigte eigentlich noch gut davon. Im Vorfeld wurde viel über die Bussenhöhe diskutiert. Betroffene befürchteten 500 Franken und mehr und eine weitere Möglichkeit stand im Raum: eine Verzeigung wegen Nötigung im Strassenverkehr. Bei einer solchen Verzeigung ist eine Geldstrafe oder sogar Freiheitsstrafe möglich.
Für das Stadtrichteramt war klar: Nach dem Entscheid des Stattrichteramtes vom 3. Juli 2023 war es aufgrund umfangreicher Medienberichterstattung für alle offensichtlich, dass die Austragung ohne Bewilligung ein Verstoss gegen Richtlinien darstellte. «Die beschuldigte Person nahm bei ihrem Tun denn zumindest in Kauf an unbewilligten Veranstaltungen teilzunehmen», hält das Stadtrichteramt im Strafbefehl fest.
STREETLIFE hat bei der Verkehrsrechts-Expertin und Anwältin Anita Hug nachgefragt. «Schon die Missachtung eines Rotlichts, ob mit Fahrrad oder Auto, ist meines Erachtens in jedem Fall ein Verstoss gegen das Strassenverkehrsgesetz und könnte sogar als grobfahrlässige Verkehrsregelverletzung taxiert werden», führt sie aus, ohne den Fall abschliessend zu kennen. «Mir scheinen die Chancen gering zu sein, dass man da ohne Strafe wegkommt, selbst wenn man geltend machen würde, das Rotlicht übersehen zu haben. Das dies anlässlich einer unbewilligten Demonstration erfolgte, spielt keine Rolle. Man kann sich dabei nicht auf das Recht der Versammlungsfreiheit oder ähnlich berufen.»
Bereits am 17. April 2023 entschied das Bundesgericht über einen ähnlichen Fall betreffend Critical Mass in Genf: Damals wurden die von den Beschuldigten begangenen Verkehrsregelverletzungen bestätigt. Falls es jedoch zu einem Freispruch käme, würde dies nicht nur diesen Beschuldigten betreffen: «Das heutige Urteil kann auch Konsequenzen haben für andere Teilnehmende der damaligen Demo, soweit die Vorwürfe gleich gelagert sind und sie gleichen Sachverhalt betreffen», erklärt Manuel Bader, ebenfalls Verkehrsrechts-Experte und Anwalt, und ergänzt, «Betroffene, die den Strafbefehl damals akzeptiert haben, müssten dann innert 90 Tagen eine Revision veranlassen.»
Zieht der Beschuldigte den Fall deshalb weiter? STREETLIFE versuchte vor der am Dienstag angesetzten Verhandlung mit dem 34-Jährigen zu sprechen, konnte ihn vor Redaktionsschluss am Montag allerdings nicht mehr erreichen. Hoffen die Veranstalter, dass sich die veränderte Ausgangslange in Zürich auf das Urteil niederschlägt? Seit April ist es möglich, eine Bewilligung für Critical-Mass-Velodemos zu bekommen (siehe Box). Ob das Bezirksgericht aber deshalb von einer Verurteilung absieht und damit einen Präzedenzfall schafft, bleibt abzuwarten. Und das über den Dienstag hinaus. Die Verhandlung wurde am Morgen kurzfristig und ohne Angabe von Gründen abgesagt.
Critical Mass mit Bewilligung
Seit April ist die Durchführung von Critical Mass in Zürich legal möglich. Die städtische Velokommission und das Sicherheitsdepartement haben gemeinsam eine Lösung erarbeitet. Unter bestimmten Bedingungen erteilt der Stadtrat der Velodemo eine Bewilligung für die Austragung.
Zu den Bedingungen zählen: Die Abfahrtszeit, die definitive Route und der Endpunkt müssen im Vorfeld festgelegt werden. Um das sicherzustellen, gründeten die Organisatioren das Kollektiv «Zäme Velofahre». Es ist der juristische Träger, der sich künftig um die Bewilligung kümmert, die jeden Monat neu beantragt werden muss.
Was bezweckt Critical Mass? Nach eigenen Angaben wollen die Teilnehmenden mit einer gemeinsamen Velofahrt durch die Stadt eine «kritische Masse» erreichen, um dem motorisierten Verkehr auf Augenhöhe zu begegnen, wie es auf der Homepage von Critical Mass heisst.
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