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Stress im Stau: «Wir leben in einer Burn-out-Gesellschaft»
Für viele ist Autofahren ein grosser Stressfaktor. Besonders im Stau tendieren wir zu Wutausbrüchen und unkorrektem Fahren. Welche Folgen Stress haben kann und wie du ihn abbaust, verrät dir STREETLIFE.
Wer Auto fährt, kennt folgende Situation: Du musst zur Arbeit oder zu einem Arzttermin, doch du gerätst mit dem Auto in einen Stau und kommst nicht vom Fleck. Du wirst ungeduldig und die Nerven liegen blank. Der Puls rast und die Stimmung ist am Boden. Nicht selten schlagen uns Stresssituationen – besonders im Strassenverkehr – stark aufs Gemüt. Dies äussert sich zuletzt mit aggressivem und rücksichtslosem Verhalten beim Autofahren. Doch wie geraten wir in diese Stresssituation?
«Stresssituationen entstehen dann, wenn man eine Situation nicht mehr unter Kontrolle hat», erklärt Dr. Charlotte Wunsch, Psychotherapeutin und Verkehrspsychologin aus Baden AG und Zürich. «Man ist dann überfordert und wechselt zu Kampf, Flucht oder Starre. Im Strassenverkehr tendiert man eher zum Kampfmodus.» Dies äussert sich laut der Verkehrspsychologin in aggressivem Fahren, Provokation anderer, Fluchen oder unangebrachten Fingerzeichen, wie etwa einem anderen Autolenker den Stinkefinger zeigen. «Solche Eskalationen sind wenig hilfreich, wenn dich ein anderer am Vorankommen hindert», betont Wunsch.
Doch was verursacht einen solchen Kontrollverlust? «Gestresste Menschen verlassen schon ihr zuhause zu spät, weil sie oft auch zu knapp aufstehen. In der Folge versuchen sie die verlorene Zeit im Auto aufzuholen», erklärt Wunsch. «Wenn sie dann in den Stau geraten, verhindert dies, dass sie diese verlorene Zeit aufholen können. Dies kann eine extreme Aggression auslösen.» Dieses Gefühl werde immer stärker, je näher man dem Ziel kommt, erklärt Wunsch weiter. «Wenn man eine Handlung macht, baut sich ein Spannungsbogen auf und wenn dieser unterbrochen wird, kommt es zu Wutausbrüchen. Man kann dies ähnlich auch beim Spielen eines Videogames beobachten.»
Zeitmanagement ist das A und O
Die Lösung scheint simpel: «Zeitmanagement ist das A und O. Wer keinen Stress haben möchte, muss mehr Zeit in seine Routine einplanen, auch mal früher aufstehen und früher zu Bett gehen. Besonders, wenn einem die Pünktlichkeit wichtig ist.» Denn wer bereits beim Autofahren gestresst ist, bleibt es auch während des ganzen Tages. «Die Menschen heute sind im Dauerstress. Wir leben in einer Burn-out-Gesellschaft.»
Abhilfe für diesen Stress sei, laut Wunsch, viel Bewegung und Sport. «Ich höre in meinen Therapiesitzungen oft, dass die Leute auf das Gas drücken und dann das Gefühl haben, Stress abzubauen. Allerdings hilft intensive Bewegung wie etwa Joggen viel besser.» Damit baue man effizienter Stress ab und «der Körper gibt einem mit einem Endorphin-Ausstoss ein gutes Gefühl als Belohnung zurück.»
Öffentlicher Verkehr ist keine Stress-Alternative
Ein weiterer Weg, den Stress abzubauen oder gar vorzubeugen, sei das Entstressen an sich. «Kommt man in einen Stau oder ein vorheriger Termin hat länger gedauert, hilft einfach ein Telefonat, um Bescheid zu geben, dass man sich verspätet. Die meisten Leute haben kein Problem damit, solange sie informiert sind.» Weitere Soforthilfsmittel gegen Stress seien Atemübungen oder auch beruhigende Musik. «Mit Musik kann man sehr schnell die Gefühle verändern und sich selbst beruhigen.»
Zum Thema öffentliche Verkehrsmittel als Alternative äussert sich Charlotte Wunsch allerdings kritisch. «Der ÖV ist natürlich eine Alternative, jedoch mögen viele Leute das enge Aufeinandersitzen oder Stehen im Zug oder das holprige Fahren im Bus nicht.» Weiter sei der Faktor Zeitmanagement auch beim öffentlichen Verkehr ausschlaggebend. «Bus und Zug fahren zu einer gewissen Uhrzeit einfach ab und nach diesem Fahrplan muss man sich nun mal richten.» Dennoch sei die Fahrt an sich etwas entspannter, da der Fokus auf den Strassenverkehr wegfällt und man anderes tun könne. Trotzdem warnt Frau Dr. Wunsch: «Auch im ÖV kann man Stress haben. Der sieht nur anders aus.»
Langfristige gesundheitliche Folgen soll das gestresste und aggressive Autofahren allein allerdings keine haben. Dafür seien viele weitere Stressfaktoren im Alltag mitverantwortlich. Deshalb empfiehlt Dr. Wunsch, erstmal tief durchzuatmen und sich Zeit zu lassen, egal mit welchem Verkehrsmittel man unterwegs ist.
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