Zum Hauptinhalt springen

Werbung

Politik & Wirtschaft •
Streit um Parkplätze eskaliert

«So kommt niemand mehr nach St. Gallen»

Die Stadt St. Gallen steht in der Kritik. Hohe Parkgebühren und der Parkplatzabbau sorgen dafür, dass Läden und Lokalen die Kundschaft fehlt, sagen Bürgerinnen und Bürger. Der Preisüberwacher gibt ihnen recht. Ein Bevölkerungsvorstoss soll nun offenlegen, ob die aktuellen Gebühren gerechtfertigt sind.

Die Parkplatzsituation in St. Gallen sorgt für dicke Luft. Seit dem 1. November 2024 gelten in der Ostschweizer Hauptstadt nicht nur höhere Parkplatzgebühren. Es werden auch schleichend immer mehr Parkplätze in der Innenstadt abgebaut. Dadurch leiden Geschäfte und Gastronomie. «Niemand will mehr nach St. Gallen kommen und einkaufen. Man fördert das Lädelisterben und macht die Stadt für Auswärtige völlig unattraktiv», kritisiert Eveline Ketterer, Gründerin der Vereinigung «Stadtstrasse»

Parkkosten steigen spürbar an

Nicht nur die hohen Gebühren sind der 46-Jährigen ein Dorn im Auge. Gemäss dem Entscheid der Stadtregierung sind die Parkplätze in der gesamten Stadt seit dem 1. November rund um die Uhr gebührenpflichtig. Bereits 2022 wurden 24-Stunden-Tarife im Zentrum eingeführt. So bezahlt man im Stadtzentrum ab Mitternacht bis 7 Uhr morgens wie auch an Sonn- und Feiertagen 1.50 Franken pro Stunde und neu im übrigen Stadtgebiet 1 Franken pro Stunde. Zudem wurden auch die Tagestarife von 2 auf 2.50 Franken erhöht, und die blaue Zone ist nachts bewilligungspflichtig.

Preisüberwacher wird beigezogen

Nun setzt sich Ketterer zur Wehr und schaltet den Preisüberwacher ein. Dieser stellt klar: Ohne gesetzliche Grundlage dürfen die Gebühren nicht erhöht werden. Er sagt: «Für die Einführung einer Lenkungsabgabe wie beispielsweise erhöhte Parkgebühren ist eine spezifische gesetzliche Grundlage erforderlich. Abgaben müssen klar im Gesetz verankert sein, um dem Legalitätsprinzip zu entsprechen.»

Laut Recherchen von Ketterer soll ein solches Gesetz im städtischen Reglement aber nicht existieren. Stattdessen werde das Mobilitätskonzept 2040 vorgeschoben, welches 2015 erarbeitet wurde. Darin werden die strategischen Ziele der zukünftigen Verkehrsentwicklung definiert.

Der Preisüberwacher betont jedoch: «Das Mobilitätskonzept 2040 bietet eine strategische Orientierung. Es dient jedoch nicht als ausreichende gesetzliche Grundlage für die Einführung von Lenkungsabgaben wie etwa für höhere Parkgebühren.» Hierfür seien spezifische gesetzliche Regelungen wie das Parkreglement notwendig. «Ohne eine solche gesetzliche Grundlage könnten die Gebühren potenziell ohne transparente Kriterien angepasst werden, was zu Bedenken hinsichtlich der Willkür führen könnte», so der Preisüberwacher gegenüber STREETLIFE.

Bereits im Juli 2024 gab der Preisüberwacher die Empfehlung, die Gebühren der Parkplätze um 37 Prozent (Blaue Zonen) beziehungsweise um 59 Prozent (Weisse Zonen) zu senken. Diesem Rat ist der Stadtrat gemäss Communiqué nicht gefolgt.

Mit einem Bevölkerungsvorstoss, den Ketterer gemeinsam mit 23 weiteren Personen eingereicht hat, fordert die 46-Jährige nun die Offenlegung der gesetzlichen Grundlage für Lenkungsmassnahmen durch Parkgebühren. «Ich will wissen, welches Gesetz der Stadt eine Verhaltenslenkung der Bevölkerung erlaubt und wofür das Geld gebraucht wird.»

Der Bevölkerungsvorstoss ist derzeit bei der Kommission für Soziales und Sicherheit hängig. Sollte die Forderung der Gebührenoffenlegung abgelehnt werden oder sich herausstellen, dass die Höhe der Gebühren nicht gerechtfertigt ist, so erwägt Ketterer, bei der Kantonsregierung eine Aufsichtsbeschwerde einzureichen. Damit können Privatpersonen Missstände bei Behörden anzeigen.

Auch eine Strassenumfrage von STREETLIFE zeigt: Die Ortsansässigen sind sauer.

St. Galler Stadträtin hält an Entscheid fest

Zur Kritik äussert sich Stadträtin Sonja Lüthi auf Anfrage von STREETLIFE wie folgt: «Der Stadtrat erachtet die Gebühren für die Beanspruchung eines Parkplatzes – nicht zuletzt auch mit Blick auf die Tarifstruktur anderer Städte und Gemeinden – als angemessen und rechtmässig.»  Die Einschätzung des Preisüberwachers teilt  die Stadträtin nicht:  «Nach Ansicht des Stadtrats trägt der Preisüberwacher den übergeordneten Interessen der Stadt St. Gallen hinsichtlich des Richtplans, dem Mobilitätskonzept 2040, dem städtischen Energiekonzept 2025 und dem Reglement für eine nachhaltige Verkehrsentwicklung, keine Rechnung.»

Lüthi verteidigt deshalb auch die Gebührenerhöhung: «Der Stadtrat ist überzeugt, dass die Anpassung der Parkgebühren dazu beiträgt, die Mobilität im Sinne einer Lenkungswirkung in die verkehrspolitisch gewünschte Richtung zu steuern. Das städtische Mobilitätskonzept sieht hierfür explizit eine Gebührenerhöhung als eine entsprechende Massnahme vor.»

Gastro und Detailhandel leiden

Nicht nur Ketterer ist über das Parkplatz-Chaos verärgert. Der Frust ist auch unter den Ladenbetreibern vor Ort und in der Bevölkerung stark spürbar. Einer der Betroffenen ist Roland Wagner. Der 64-Jährige führt die «Alpstein – Drogerie, Parfümerie und Kosmetik» beim Marktplatz. «Vor meinem Laden gab es zwischen 20 und 25 Kurzzeit-Parkplätze. Auch wenn sie nur 30 Minuten Parkzeit erlaubt haben, belebten sie die Stadt und zogen viele Leute für Restaurants und Geschäfte an.» Durch den Abbau der Parkfelder und die Erhöhung der Parkgebühren sei dies nicht mehr der Fall. «Besonders für die Gastronomie ist es fatal. Trinkst du ein Glas mehr, kannst du das Auto nicht mehr über Nacht stehen lassen. Die Leute kommen so nicht mehr nach St. Gallen.»

Auch Kaspar Oesch (49), Betreiber der Leu-Boutique in der Marktgasse, trauert den Parkmöglichkeiten in der Innenstadt nach. «Die Parkplatz-Situation beeinflusst unser Geschäft stark. Die Kundschaft kann nicht mehr kurz hineinschauen oder etwas abholen.»

Neues Parkhaus soll Parkplätze kompensieren

Seit 2010 wurden in der Stadt St. Gallen 414 öffentliche Parkplätze ohne Kompensation abgebaut. Um dies nun nachzuholen, soll am 20. März, nach sechs Jahren Bauphase, das Parkhaus Central in der Nähe der Innenstadt eröffnet werden. Darin werden auf 1000 Quadratmetern 614 Parkplätze zur Verfügung stehen, wovon 404 öffentlich sein werden.

Der Haken: Für den Bau mussten weitere 145 oberirdische Parkfelder weichen. Zusammengerechnet fehlen also der Stadt noch immer 135 Parkplätze. Zudem fordern Umweltpolitiker die Aufhebung von weiteren 155 Parkplätzen beim Spelteriniplatz. Dieser wird für die Jahrmärkte an Olma und Offa gebraucht. Auch der Circus Knie gastiert seit Jahren auf dem Spelterini.

Ein Kampf «gegen die Mobilität»

Der Streit um die Parkplatz-Situation in St. Gallen sei nur die Spitze des Eisbergs, kritisiert Ketterer: «Überall werden 30er und 20er-Zonen eingeführt, Bodenschwellen errichtet, Strassen verengt und sogar Bushaltestellen aus angeblichen Spargründen abgebaut. Staus werden so künstlich erzeugt und fördern den CO₂-Ausstoss.» Mit diesem Verkehrsregime würden Personen diskriminiert, die beispielsweise aus gesundheitlichen Gründen, Schichtarbeit, familiären Umständen oder einfach nur wegen schlechten ÖV-Anbindungen auf das Auto angewiesen sind.

Ketterer abschliessend: «Dies ist kein Kampf gegen das Auto mehr, sondern einer gegen die Mobilität. Daran muss sich etwas ändern. St. Gallen ist nicht so wichtig, dass man nicht darauf verzichten kann.»

Leserreporter

Hast du etwas beobachtet?

Schicke uns deine Bilder und Videos! Bei unseren Lesern ist immer etwas los, doch unsere Reporterinnen und Reporter können nicht überall sein. Und hier kommst du ins Spiel: Hast du etwas beobachtet oder möchtest du uns etwas mitteilen, das nur du weisst? Schicke uns deine Bilder und Videos per WhatsApp unter 077 279 72 56 direkt in unsere Redaktion.

Werbung