Werbung
Sicherheit oder Strafverfolgung? Autobahnen immer stärker videoüberwacht
Unter dem Deckmantel der Sicherheit werden überall Videokameras aufgestellt. So auch auf Schweizer Autobahnen. Das Bundesamt für Strassen will die Nationalstrassen überwachen, um schnell auf Verkehrsüberlastungen reagieren zu können. Aber auch die Polizei nutzt die Aufnahmen.
«Hoppla!» Fast jeder Autolenkende dürfte beim Blick auf den Tacho schon einmal erschrocken sein, weil er auf der Autobahn zu schnell fuhr. Aber wenn kein Blitzer am Strassenrand steht, hat es ja niemand gesehen – oder? Falsch.
In den vergangenen Jahren hat das Bundesamt für Strassen ASTRA kontinuierlich Kameras entlang der Nationalstrassen aufgestellt. 2008 übernahm es im Rahmen des neuen Finanzausgleichs zwischen Bund und Kantonen die Gesamtverantwortung für die Autobahnen. Damals überwachten ein paar hundert Kameras die Nationalstrassen. Heute, 17 Jahre später, überwachen rund 5000 Kameras das 2258,9 Kilometer lange Netz. Astra-Sprecher Thomas Rohrbach ordnet ein: «Das entspricht rund einem Viertel des gesamten Nationalstrassennetzes.» Dazu gehören alle Autobahntunnel. Sie machen mit 161 Kilometern sieben Prozent des gesamten Netzes aus und sind flächendeckend videoüberwacht. Das heisst, auch ausserhalb der Tunnel haben die Kameras immer noch rund ein Fünftel der Schweizer Autobahnen im Blick.
Kontrolle des Verkehrs
Mit den Kameras würden nicht einzelne Autofahrende, sondern der Verkehr als Ganzes überwacht, betont Rohrbach: «Rund 90 Prozent dienen dem Verkehrsmanagement – etwa für Geschwindigkeitsharmonisierungen, Gefahrenwarnsysteme, Pannenstreifenumnutzungen oder Rampendosierungen – die restlichen sind für betriebliche Zwecke vorgesehen.» Diese würden teilweise nur Türen für Wartungszugänge überwachen.
Weiter hält Rohrbach fest, dass das ASTRA mit keiner Kamera Personendaten erfasst. «Für die Aufgaben des ASTRA werden nur niedrig auflösende Videobilder verwendet, auf denen weder Personen noch Kontrollschilder erkennbar sind. Hochauflösende Bilder werden technisch so bearbeitet, dass keine personenbezogenen Daten angezeigt werden.» Sprich: Die Bildqualität muss aktiv verschlechtert werden, weil heutige Kameras so gute Aufnahmen machen. Dieser Schritt ist nötig, denn: «Für das Verkehrsmanagement sind hochaufgelöste Bilder nicht notwendig», hält Rohrbach fest.
Polizei hat Zugriff
In dieser niedrigen Qualität bleiben die Aufnahmen 72 Stunden gespeichert. Innerhalb dieser Zeit können die Strafverfolgungsbehörden nach einem Ereignis, wie beispielsweise einem Unfall, die Aufnahmen beim ASTRA beantragen. Allerdings benötigen sie dafür eine richterliche Verfügung; und das Bundesamt für Strassen gibt nur die anonymisierten Aufzeichnungen weiter. «Das ASTRA gibt keine datenschutzrelevanten Bilder (personenbezogene Daten) an Polizeibehörden weiter», betont Sprecher Rohrbach. Allerdings können die Kantone und damit die kantonalen Polizeikorps die Infrastruktur, sprich die Kameras, unter Auflagen mitbenutzen. «Eine allfällige Datenbearbeitung muss unabhängig und getrennt zwischen ASTRA und einer Kantonspolizei erfolgen. Und: Eine derartige Nutzung muss in der jeweiligen kantonalen Gesetzgebung verankert und von der kantonalen Datenschutzbehörde positiv beurteilt worden sein.»
Zur Sicherheit, nicht Verfolgung
Die Kantonspolizei Aargau nutzt die Kameras in erster Linie für Sicherheitsaspekte und nicht zur Strafverfolgung, erklärt Sprecher Bernhard Graser: «Die Bilder dienen uns primär dazu, bei Meldungen und Ereignissen die Situation rasch erfassen zu können. Beispielsweise bei Unfällen oder Fahrzeugbränden gewinnt unsere Notrufzentrale sofort einen Überblick über das Ausmass und kann daraus die nötigen Sofortmassnahmen ableiten.» Bei Passanten oder Tieren auf der Fahrbahn leitet die Einsatzzentrale die ausrückende Patrouille zudem anhand der Livebilder an. Die Kantonspolizei Bern kann auch auf die ASTRA-Kameras zugreifen, sofern dies für die Strafverfolgung erforderlich ist. Die Staatsanwaltschaft hat die Erlaubnis zur Datenspeicherung und -Sichtung an die Kantonspolizei delegiert, heisst es auf Anfrage.
Weiter können die Polizeikorps beim ASTRA beantragen, zusätzliche Kameras aufzustellen. Dies ist aber nur möglich, wenn Kameras an jenem Standort auch im Interesse der Nationalstrassen sind. Eine Umfrage bei den kantonalen Polizeikorps von St. Gallen, Zürich, Aargau und Bern zeigt aber, dass diese keine zusätzlichen Kameras installieren liessen und mit der ASTRA-Infrastruktur arbeiten.
Noch mehr Kameras geplant
Die Polizeikorps brauchen auch kaum aktiv zu werden. Die Zahl der Videokameras entlang der Autobahnen soll sich in den kommenden zehn Jahren fast verdoppeln. «Mit jedem neuen Abschnitt, der mit Verkehrsmanagementanlagen ausgerüstet wird, steigt auch die Anzahl der Kameras», sagt ASTRA-Sprecher Rohrbach. «Wir gehen davon aus, dass bis 2035 die Anzahl Kameras auf rund 9'000 steigen wird.» Damit wäre dann knapp die Hälfte des Autobahnnetzes videoüberwacht. Diese Überwachung konzentriert sich vorerst auf die neuralgischen Stellen mit konstanter Verkehrsüberlastung, da dort Verkehrsmanagementsysteme notwendig sind.
Das sind aber eben auch die Orte, wo die meisten Autofahrenden durchfahren und entsprechend täglich gefilmt werden. Der Eidgenössische Datenschutzbeauftragte mahnt entsprechend auch zur Vorsicht und warnt: «Eine flächendeckende Überwachung des öffentlichen Raums mit KI-Technologie wäre in der Schweiz datenschutzrechtlich verboten.»

Hast du etwas beobachtet?
Werbung