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Verkehr •
STREETLIFE macht den Test

Schafft es das E-Töffli auf den Gotthard?

Das Töffli ist Kult in der Schweiz. Aber auch dieser Kult sieht sich wegen der Elektromobilität mit einem Wandel konfrontiert. Immer mehr E-Scooter buhlen mit Easy-Rider-Look um die Gunst der Jugend. Nur schaffen es E-Töffli wie ihre kultigen Brüder auf den Gotthard? STREETLIFE wagt den Selbstversuch.

Weit unter mir liegt Airolo TI und ich schaue die Leventina hinunter. Zwischendurch bricht der Schrei eines Vogels durch die Stille. Den fernen Verkehrslärm der Gotthardpassstrasse habe ich ausgeblendet und geniesse die Aussicht. Plötzlich geht ein leichtes Rumpeln durch meinen Körper und holt mich in die Realität zurück. Die Pflastersteine der Tremola künden die nächste Haarnadelkurve an. Bei einem Tempo von knapp 15 km/h auf einem geräuschlosen Elektroscooter vergesse ich beinahe, dass ich am Fahren bin. So viel Zeit, um die Natur rund um das Gotthardmassiv zu bestaunen, habe ich am Steuer eines Autos nie. Nur schon für diese Erfahrung lohnt sich der Versuch, mit dem 500 Watt (0,7 PS) starken Ridelec Ghostbiker den Pass im Herzen der Schweiz zu erklimmen.

Faszination Gotthard

Seit um 1230 die Teufelsbrücke in der Schöllenschlucht über die Reuss gebaut wurde, ist die Gotthardachse eine der wichtigsten Nord-Südpassagen überhaupt. Die Passstrasse selbst hat mit der Eröffnung von Eisenbahn- und Strassentunnel zwar an Bedeutung verloren, nicht aber an Faszination. Egal, ob mit dem Auto, dem Motorrad, dem Velo oder zu Fuss: die Überquerung der 2107 Meter hohen Verkehrsverbindung durch die Zentralalpen begeistert.

Begeistert von der einzigartigen Alpenüberquering sind auch die Töffli-Meitli und -Bueben mit ihren Mofas (bis 25 km/h) und Mopeds (Bis 45 km/h). Unter den Alpenpässen haben Ausfahrten über den Gotthard einen besonderen Stellenwert. So gibt es auch verschiedene Anbieter von Töffli-Trips von Andermatt UR nach Airolo. Einer davon ist töffli-touren.ch von Willy Wermelinger. Für ihn ist das Töffli ein Schweizer Kulturgut! «Im Jahr 1970 gab es 500'000 Töffli in der Schweiz und das bei rund sechs Millionen Einwohnern. Es war das Fahrzeug schlechthin», erzählt Wermelinger. «Früher machte jeder mit 14 Jahren die Töffliprüfung und lernte damit eine neue Unabhängigkeit kennen. Viele gingen später sogar damit arbeiten, weil sie sich noch kein Auto leisten konnten.» Für viele dieser Menschen ist das Töffli heute mehr als ein schlichtes Fortbewegungsmittel, sondern es ist ein Teil ihrer Geschichte. «Viele unsere Kunden fühlen sich schon nach wenigen Metern wieder in ihre Jugend zurückversetzt.»

Die E-Mobilität holt das Töffli ein

Gegen diese starke Bindung müssen nun elektrische Alternativen antreten und versuchen einen neuen Kult zu schaffen. Keine leichte Aufgabe räumt Willy Wermelinger ein: «Bei einem E-Töffli ist das Herz nicht dabei. Mir fehlt schon der typische Sound…» Damit stellt er sich allerdings nicht gegen elektrische Alternativen. «Das Töffli bedeutete viel Arbeit. Es ist heute für die meisten kein eigentliches Fortbewegungsmittel mehr, sondern ein Hobby, ähnlich wie Oldtimer.» Deshalb sieht Wermelinger im Alltag eher den E-Scooter. «Den muss man nur einstecken und kann ein paar Stunden später wieder fahren. Die junge Generation von heute wird später ähnliche Erinnerungen mit den E-Töffli verbinden wie die Töffli-Meitli und – Bueben mit ihren Ponys, Puchs, Sachs, etc.»

Erinnerungen, wie zum Beispiel eine Passtour! Deshalb habe ich mich mit einem Elektroscooter ans Abenteuer gewagt, den Gotthard von Airolo aus zu erklimmen. Die Wahl fällt auf das hippe E-Töffli Ridelec Ghostbiker. Mit seinem hohen und breiten Lenker sowie der tiefen Sitzposition erinnert er an eine Harley-Davidson. Weil ich keinen Motorrad-Führerschein habe, wähle ich die maximal 20 km/h schnelle Version. Alternativ gibt’s den Ghostbiker auch bis 45 km/h, damit sinkt aber auch die Reichweite von 100 auf 60 Kilometer. Seine maximale Steigfähigkeit beträgt 14 Prozent. Damit sollte die alte Gotthardpassstrasse kein Problem für den Ridelec darstellen. Die Tremola hat maximal elf Prozent Steigung, wenn wir auf vier Kilometern und in 24 Kehren 300 Höhenmeter überwinden. Trotzdem übergibt uns der Vertreter vom Schweizer Scooter-Handel E-Move Motors mit einem leicht mulmigen Gefühl in Airolo die Schlüssel für den Ghostbiker. Er ist ebenso gespannt wie ich, ob ich es nach oben schaffe.

Mit 20 km/h auf den Gotthard

Ich schwinge das eine Bein über den Sattel und setze mich. Wie beim Töff habe ich einen Gaszug im rechten Griff. Hier befindet sich auch die Vorderradbremse, während ich fürs Hinterrad links einen Bremshebel habe. Zuerst ziehe ich nur langsam am Gas. Obwohl ich seit meiner Kindheit Velo fahre, habe ich zu Beginn etwas Mühe, die Balance zu halten und traue mich nicht, die Füsse auf die dafür vorgesehen Trittbretter zu stellen. Aber wie beim Velo gilt auch beim Ghostbiker: je schneller ich fahre, desto einfacher ist es, die Balance zu halten. Für mich ist die kritische Grenze bei sieben bis acht km/h. Darunter schwanke ich, darüber kann ich eine gerade Linie fahren. Über einen roten Knopf am rechten Lenker kann ich zwischen drei Fahrmodi wechseln: Schnell, mittel und langsam.

Schon am Ortsausgang von Airolo habe ich Vertrauen in den E-Scooter und düse mit 20 km/h auf die erste Steigung zu. Zu Beginn bleibt der Ghostbiker gleich schnell, fällt dann zwar auf 18 km/h, aber hält dieses Tempo danach konstant. Nur, wenn ich die Fahrmodi wechsle, wird der Ghostbiker spürbar langsamer. Die ersten Kurven sind eine Herausforderung für mich. Ich brauche etwas mehr Platz und muss ausholen. Ich liege sogar wie ein Töff ganz leicht in die Kurve, ohne dies muss ich so stark verzögern, dass es wieder schwierig wird, die Balance zu halten. Aber das ist kein Problem, denn an diesem Donnerstagnachmittag hat es kaum Verkehr auf der Tremola.

Reicht der Akku oder nicht?

Irgendwie bin ich auf dem Ghostbiker in einer eigenen Welt. Zwischen den langsameren Velos und den schnelleren Autos, aber auch kein Töff. Ein cooles Gefühl ist es aber trotzdem, als mich ein entgegenkommender Töfffahrer für einen Gleichgesinnten hält und mich grüsst. Ich traue mich kaum, die Hand vom Lenker zu nehmen, um ihn zurückzugrüssen, weil ich fürchte, die Balance zu verlieren. Es folgen weitere Biker und ich fragen mich, ob sie mich auch grüssen würden, wenn mein E-Scooter mehr wie ein Töffli aussehen würde als der Ghostbiker? Egal.

Ich nähere mich Kurve um Kurve der Passhöhe. Der Ridelec zeigt keinerlei Anzeichen von Ermüdung. Im langsamen Fahrmodus fahre ich mit 13 km/h über die Pflastersteine. Ein Blick auf die Akku-Anzeige zeigt, die Sorgen, dass es der E-Scooter nicht auf den Pass schafft, waren unbegründet. Ich habe erst zwei Balken verloren und die Stromreserve ist noch bei über drei Vierteln. 

Ich kann also unbesorgt mein Handy via Bluetooth verbinden, um noch etwas Musik zu hören. Sogar telefonieren wäre möglich. Am Ende ist die Batterie auf der Passhöhe noch zu zwei Dritteln voll. Damit hat er auf einer Strecke von 14 Kilometern zwar Strom für etwa 33 Kilometer verbraucht, aber es bleiben immer noch rund 66 Kilometer Restreichweite. Zumindest mit dem Ridelec Ghostbiker sind also auch elektrische Töffli-Passtouren möglich, womit auch das Elektrozeitalter seine Töffli-Meitli und -Bueben haben wird.

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