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Sass Serbe trotz Führerausweisentzug am Steuer?
Auf den ersten Blick ein scheinbar klarer Fall: Ein Serbe musste sich am Dienstag vor Gericht für eine Fahrt trotz Ausweisentzug verantworten. Die juristische Auslegeordnung wirft dann aber viele Fragen auf. Darf ich ein Auto so überhaupt einlösen? Wer haftet? Und vor allem: Sass der Mann wirklich am Steuer? STREETLIFE hat die Fakten.
Der Fall nimmt im Sommer 2017 seinen Anfang. Der heute 29-jährige Serbe zieht kurz zuvor in der Schweiz. Im Besitz eines ausländischen Führerscheins will er diesen – wie vorgeschrieben – innerhalb eines Jahres in einen schweizerischen umwandeln.
Er meldet sich beim zuständigen Strassenverkehrsamt in Luzern und wird zu einer Kontrollfahrt aufgeboten. Die Schweiz kennt je nach Herkunftsland unterschiedliche Bestimmungen. So gilt für Führerausweise aus den meisten Ländern ausserhalb der EU: Der Antragssteller muss seine Fahrfähigkeit beweisen. «Diese Kontrollfahrt ist ähnlich wie eine Fahrprüfung», heisst es dazu auf der Webseite der Zürcher Strassenverkehrsämter. Und weiter: «Sie zeigen damit, dass Sie die Verkehrsregeln kennen und ein Auto sicher fahren können.»
1300 Fälle pro Jahr
Kurz darauf tritt der Serbe zu seiner Kontrollfahrt an. Vielleicht hatte er einfach einen schlechten Tag oder sich schlicht zu wenig vorbereitet. Jedenfalls war für den Fahrexperten nach absolvierter Fahrt klar: Das reicht nicht. Die Folge: Mit Verfügung vom 22. September 2017 wird dem Mann der ausländische Führerausweis auf unbestimmte Zeit aberkannt. So steht es in der Anklageschrift der Staatsanwaltschaft Zürich-Limmat, die STREETLIFE vorliegt. Kurz: Der Mann darf sich in der Schweiz nicht mehr hinters Steuer eines Autos setzen.
Am 3. Juni 2023, gegen 22.20 Uhr, wird die Polizei auf den Serben aufmerksam. Eine Patrouille klärt in Kloten ZH das Kontrollschild eines fahrenden BMWs ab. Das Ergebnis: Der Halter des Wagens ist der 29-Jährige. Sie stellen zudem fest, dass er über keine Fahrerlaubnis verfügt. Die Staatsanwaltschaft klagt ihn darauf wegen Führen eines Motorfahrzeugs trotz Verweigerung, Entzug oder Aberkennung des Ausweises an und forderte eine Geldstrafe von 120 Tagessätzen à 50 Franken. Total also 6000 Franken.
Tatsächlich kommt es in der Schweiz immer wieder vor, dass Personen ohne das nötige Billet am Steuer sitzen. Ein Blick in die Statistik zeigt: Jährlich werden 1300 Autolenkende erwischt, denen der Ausweis zuvor entzogen wurde. Die Behörden sind sich bewusst, dass die Dunkelziffer deutlich höher liegt. So äusserte sich Thomas Rohrbach, Pressesprecher des Bundesamt für Strassen ASTRA gegenüber dem Beobachter: «Erwischt werden ja vorwiegend die, die zufällig in eine Polizeikontrolle geraten.» Bei den fehlbaren Lenkenden handelt es sich mehrheitlich um junge Männer zwischen 18 und 30 Jahren.
Versicherungen nehmen Regress
Doch was passiert, wenn einer dieser Autolenker einen Unfall verursacht? Auch das kommt gar nicht so selten vor. Gemäss ASTRA-Statistik waren es alleine 2021 592 solcher Fälle. STREETLIFE hat bei AXA-Versicherungsexperte Marc Gfeller nachgefragt: «Ist diese Person ohne Führerschein gefahren, wird ihre Haftpflicht auf sie zurückgreifen und den vollen Betrag von ihr fordern», erklärt der Teamleiter Schaden Motorfahrzeuge. «Hat die geschädigte Person eine Vollkaskoversicherung, so wird diese den Schaden bezahlen.» Doch auch hier wird die Kaskoversicherung den Betrag bei der obligatorischen Haftpflichtversicherung der Person einholen, die den Unfall verursacht hat.
Hinzu komme der eigene Schaden: «Fahrten ohne Führererlaubnis sind nicht bewilligte Fahrten. Eine etwaige Vollkaskoversicherung wird ihr nichts bezahlen», führt Gfeller aus.
Selbst wenn die Person ohne gültigen Führerausweis am Steuer den Unfall nicht verursacht hat, kann eine Teilschuld dazu führen, dass die Versicherungen einen Teil der Kosten einfordern. Schnell kostet das mehrere zehntausend Franken. Kommen zudem Menschen zu Schaden, steigt der Betrag schnell auf ein paar hunderttausend Franken.
Beschuldigter bestreitet Fahrt
Von einer illegalen Fahrt wollte der Serbe am Dienstag vor dem Bezirksgericht in Bülach aber nichts wissen. Er bestreitet, am Steuer des Fahrzeugs gesessen zu haben. «Es war viel zu dunkel, dass die Polizisten ihn hätten erkennen können», führt seine Anwältin vor dem Richter aus.
Die Personenkontrolle habe dann auch nicht gleich im Auto stattgefunden, sondern erst anschliessend am vermeintlichen Wohnort des Beschuldigten. Im Auto sassen zudem zwei Zeugen, die zugusten des Serben aussagten. So sei ein gewisser Paul* gefahren und der Beschuldigte sei lediglich auf dem Beifahrersitz gesessen. Die Polizisten seien voreingenommen gewesen, als sie von seiner fehlenden Fahrerlaubnis wussten, wirft ihnen die Verteidigung vor. Vor Gericht bestätigte der Beschuldigte, dass er der eingetragene Fahrzeughalter des BMWs sei. Das Auto werde aber ausschliesslich von seiner Frau oder eben Freunden gefahren.
Für den Richter waren am Schluss nicht alle Aussagen des Beschuldigten schlüssig und nachvollziehbar. Den Untersuchungsbehörden sei es in diesem Fall aber nicht gelungen, dem Beschuldigten die Schuld nachzuweisen. «Und in einem solchen Fall gilt: Im Zweifel für den Angeklagten», so der Richter. Das Urteil lautete deshalb: Freispruch.
* Name der Redaktion bekannt
Kann ich ein Auto ohne Fahrerlaubnis einlösen?
Die AXA zum Beispiel prüft nicht, ob der Versicherungsnehmer oder der häufigste Lenker des Fahrzeugs einen gültigen Führerausweis besitzt. Somit ist der Abschluss einer Motorfahrzeugversicherung bei der AXA theoretisch auch ohne gültigen Führerausweis möglich. Allerdings ist das Fahren eines Autos ohne gültigen Führerschein von Gesetzes wegen verboten. Besitzt der Lenker den gesetzlich erforderlichen Ausweis nicht, sind Schäden folglich nicht versichert.
Gemäss AXA mache das Einlösen eines Fahrzeugs ohne Fahrerlaubnis besonders in diesen Fällen Sinn: Wenn eine junge Person kurz vor dem 18. Geburtstag und dem Abschluss der Fahrzeugprüfung steht, sich bereits ein Auto gekauft hat und dieses versichern möchte. Oder wenn eine ältere Person, die den Führerausweis abgegeben hat, das Auto aber noch besitzt und den Kindern oder Enkelkindern zur Verfügung stellen will.
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