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Mit Verweis, ohne Führerschein – Franzose flüchtet mit geklautem Mercedes vor Polizei
Ein junger Mann klaute einen Mercedes und floh vor der Polizei, als diese ihn auf der A1 bei Bern kontrollieren wollte. Darauf folgte eine filmreife Verfolgungsjagd. Gestern musste sich der Mann vor Gericht verantworten.
Begleitet von zwei Polizisten betritt der Beschuldigte die Wartezone vor dem Gerichtsaal im Regionalgericht Bern-Mittelland im Amthaus Bern. Der junge Mann trägt Tattoos, ist eher kleingewachsen. Spricht er mit seinem Anwalt, schaut er fast schüchtern und hält die Hände zusammengefaltet. Was hat dieser Mann verbrochen?
Am 22. Mai 2024 verschaffte sich der Franzose in Küssnacht am Rigi Zugang zu einem Mercedes, um mit diesem nach Lausanne zu fahren – ohne Fahrausweis. So steht es in der Anklageschrift, die STREETLIFE vorliegt. Anschliessend fuhr er nach Bern. Kurz vor der Raststätte Grauholz auf der A1 um zirka 20.45 Uhr wurde er von einem Polizeiauto überholt. Die Polizei forderte ihn mit der Matrix «POLICE, BITTE FOLGEN» auf, auf den Rastplatz zu fahren. Dieser Aufforderung schien der Franzose zunächst Folge zu leisten. Am Ende des Verzögerungsstreifens jedoch drückte er aufs Gaspedal und floh in Richtung Bern. Er fuhr durch eine Baustelle mit verengten Fahrbahnen und viel Verkehr. Zwischen Raststätte Grauholz und Ausfahrt Wankdorf erreichte er zwischenzeitlich eine Geschwindigkeit von mindestens 145 km/h – 60 Stundenkilometer mehr als erlaubt.
Schwerverletzte in Kauf genommen
Mit diesem Tempo fuhr der Beschuldigte von der Überholspur über die mittlere Spur auf den rechten Streifen, mit minimalem Abstand zu den Fahrzeugen vor ihm und einem weiteren Fahrzeug rechts neben ihm. Nach diesem Manöver überholte er einen Lastwagen rechts. Dabei geriet der Mercedes ins Schleudern. Kurz vor dem Fahrbahnteiler der Autobahn lenkte er seinen Wagen auf die Fahrbahn direkt vor den Lastwagen. Aufnahmen dieser Fahrt lagen dem Gericht als Videobeweise vor.
«Durch seine Fahrweise und seiner Absicht, um jeden Preis der polizeilichen Kontrolle zu entkommen, drohte mehrfach die Verursachung eines schweren Unfalls, bei dem ohne weiteres mit schwer verletzten, unbeteiligten Verkehrsteilnehmern gerechnet werden musste», so die Anklageschrift. Dabei sei dem Beschuldigten das hohe Risiko solcher Verletzungen egal gewesen. Auf seiner Fahrt habe der junge Mann auf dem Pannenstreifen überholt und mehrere Sperrflächen überfahren. Als er die Autobahn auf Höhe Bern-Wankdorf verliess, ignorierte er eine rote Ampel und ein «Geradeausfahren»-Signal. Die wilde Fahrt endete beim Feusi Bildungszentrum in Bern.
Vorbestraft und mit Verweis
Wie sich herausstellte, hätte der junge Franzose überhaupt nicht in der Schweiz sein dürfen. Es war vorbestraft, gegen ihn lag ein Verweis vor. Ferner wurde ihm Marihuana- und Kokain-Konsum nachgewiesen. Am Prozess redete deshalb vor allem die Staatsanwältin. Sie fasste die Delikte kurz zusammen und forderte eine Freiheitsstrafe von 32 Monaten, eine Geldstrafe von 42 Tagessätzen an 30 Franken, eine Busse von 900 Franken oder neun Tage Gefängnis sowie einen Landesverweis von acht Jahren. «Wegen der Gefährlichkeit der Raserfahrt ist die fakultative Landesverweisung gerechtfertigt», sagte die Staatsanwältin.
«Der Beschuldigte ist seit der ersten Minute gegenüber der Polizei geständig und hat dadurch die Aufklärung erheblich vereinfacht», betonte der Anwalt. Das sei der Grund dafür, dass der Prozess im verkürzten Verfahren durchgeführt werden konnte. Ansonsten bestätigten er und sein Klient die Ausführungen der Staatsanwältin.
Mit «Dummheiten» aufhören
Nach einer kurzen Beratung beschloss das Gericht: Die Forderung der Anklage wird zum Urteil. Der Vorsitz klärte darüber auf, dass in der Schweiz eine bedingte Entlassung erst nach 2/3 der Freiheitsstrafe möglich sei, die Fristen durch die Vollzugsbehörden festlegen würden und gegen das abgekürzte Verfahren im Nachhinein keine Beschwerde möglich sei. «Ich hoffe, dass Sie die nötigen Lehren ziehen und nicht mehr das Gefühl haben, vor der Polizei davon laufen zu müssen», schloss der Richter.
Bleibt die Frage, weshalb ein junger Mann einen gestohlenen Mercedes nach Bern fährt – ohne Fahrausweis, in einem Land, in dem er nicht sein dürfte? Ein Missverständnis zwischen Richter und Übersetzerin liefert einen Erklärungsansatz: Die Übersetzerin fragte den Beschuldigten versehentlich nach seinen Absichten. «Ich habe vor, mit meinen bisherigen Dummheiten aufzuhören», so der junge Franzose. Er plane jetzt, Sprachen zu lernen und sich «mit Finanzen auseinanderzusetzen».

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