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Nach Kollision mit Mädchen weitergefahren

Berufschauffeur wegen Fahrerflucht vor Gericht

Ein Berufschauffeur hat eine Velofahrerin angefahren. Das 12-jährige Mädchen stürzte zwar, stand aber wieder auf. Beide fuhren weiter. Gestern musste sich der 59-Jährige wegen Fahrerflucht vor dem Bezirksgericht Arbon verantworten.

Es ist ein Horrormoment für jeden Autofahrenden. Man hält an einer Kreuzung, schaut in beide Richtungen, fährt vorsichtig an und plötzlich saust ein Velo vor einem vorbei. Oftmals geht es glimpflich aus und die beiden Fahrzeuge berühren einander nicht. Ende 2023 hatten ein 12-jähriges Mädchen und ein 59-jähriger Berufschauffeur in Arbon TG nicht so viel Glück.

Der Unfall

Es ist ein regnerischer und düsterer Dezemberabend. Der Berufschauffeur hatte gerade einen Fahrgast im Altersheim Sonnhalden abgesetzt und verliess es über die Seilerstrasse – eine Tempo-30-Zone im Quartier. An der Sonnenhügelstrasse muss er an einem Stopp anhalten, um rechts abzubiegen. Die Stelle ist unübersichtlich. Nach dem Stopp müssen die Autofahrenden noch das Trottoir überqueren, bevor sie in die Sonnenhügelstrasse einbiegen können. Die Sicht auf die von links kommenden Fahrzeuge nimmt ein Busch. Dieser sei inzwischen zurückgeschnitten worden, sagte der 59-jährigen Beschuldigten gestern vor Gericht aus.

Der Chauffeur schaute also nach rechts und links, fuhr los. In dem Moment kreuzte das 12-jährige Mädchen mit ihrem Velo ohne Licht auf dem Trottoir den Weg des Beschuldigten. Es kam zur Kollision, das Mädchen stürzte und das Fahrzeug hielt an. Autolenker und Velofahrerin waren geschockt. Dem Beschuldigten entfuhr: «Das kommt davon, wenn man ohne Licht fährt!» Das Mädchen stand auf und fuhr weiter. Als der Mann ausgestiegen war und sich umsah, war sie schon verschwunden und er konnte sie nach eigenen Aussagen nicht mehr sehen. Daraufhin fuhr er weiter.  Am nächsten Tag meldet sich das Mädchen bei der Polizei. Laut Anklageschrift, die STREETLIFE vorliegt, hatte es sich Prellungen an der rechten Körperseite zugezogen.

Die Sicht des Berufschauffeurs

Gestern musste sich der Beschuldigte wegen Fahrerflucht und Vereitelung der Kontrolle zur Fahreignung vor dem Bezirksgericht Arbon verantworten. In seiner Aussage stritt der Berufschauffeur den Unfall nicht ab. Aber er konnte sich im Gegensatz zu seiner ersten Aussage nicht mehr daran erinnern, dass das Mädchen gestürzt war. Das Velo soll geschlingert sein, die 12-Jährige abgesprungen und auf den Füssen gelandet und nur das Fahrrad umgefallen sein, sagte er gestern aus. Weiter sagte er aus, angehalten zu haben und die Unfallstelle inspiziert zu haben. Er habe das Mädchen nicht mehr gesehen sowie sonst keine Anzeichen eines Unfalls. Namentlich nannte er Blut am Boden, Teile des Fahrrads oder Spuren auf dem Asphalt.

Die Aussage, das Mädchen sei selber schuld, habe er nicht an die 12-Jährige gerichtet, sondern am Lenkrad im ersten Schockmoment zu sich selbst gesagt. Das Mädchen habe es nur gehört, weil er das Fenster einen Spalt breit geöffnet hatte.

Die Standpunkte der Anwälte

Die Staatsanwältin war nicht vor Ort, um dem Fall zu vertreten. Sie fordert in der Anklageschrift eine bedingte Geldstrafe von 60 Tagessätzen à 40 Franken (total 2400 Fr.) und eine Busse von 1000 Franken.

Der Anwalt des Beschuldigten forderte einen Freispruch in Bezug. Sein Mandat sei seiner Sorgfaltspflicht nachgekommen und hätte nicht davon ausgehen müssen, dass das Mädchen sich verletzt habe, weil sie ja weitergegangen sei. Damit habe auch sie sich pflichtwidrig von der Unfallstelle entfernt, führte der Verteidiger weiter aus. Er bezweifelte zudem die Glaubwürdigkeit der 12-Jährigen und sagte, ihre Aussagen seien von Ihren Eltern beeinflusst worden. Weitere gäbe es keine Beweise für die Prellungen, da die Polizei die Verletzungen nicht fotografisch dokumentiert habe.

Das Urteil und seine Folgen

Die Richterin folgte der Argumentation des Verteidigers nicht. Für sie war die Aussage des Mädchens glaubwürdig, weil es immer zugegeben hatte, ohne Licht gefahren zu sein. Vor allem aber hätte der Beschuldigte länger nach dem Mädchen suchen müssen und nicht so schnell weiterfahren sollen. «Im Schockzustand ziehen sich verletzte Menschen in die Dunkelheit zurück», sagte die Richterin bei der Urteilsverkündung. Der Beschuldigte habe in Kauf genommen, dass das Mädchen schwer verletzt irgendwo im Dunkeln liege. Das sei dieses Mal glücklicherweise nicht der Fall gewesen.

Gerade weil das Mädchen verschwunden war, hätte der Beschuldigte die Polizei rufen sollen. Denn er und die 12-Jährige hatten nach dem Unfall nie miteinander gesprochen. Er konnte nicht wissen, wie es ihr ging. Aus diesem Grund sprach das Bezirksgericht Arbon den 59-jährigen Berufschauffeur schuldig. Es hielt an der bedingten Geldstrafe von total 2400 Franken fest, reduzierte aber die Busse auf 500 Franken.

Der Beschuldigte zeigte sich nach dem Urteilsspruch ausserhalb des Gerichtssaals enttäuscht, sah aber ein, dass es sein Fehler war und er die Polizei hätte rufen sollen. Trotzdem sei eine Berufung noch nicht vom Tisch. Er würde die schriftliche Begründung mit seinem Anwalt prüfen. Denn als Berufschauffeur ist er auf den Führerschein angewiesen und diesen wird ihm Strassenverkehrsamt als Folge der Verurteilung für mindestens drei Monate entziehen.

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