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Raserfahrt brockt Harley-Rocker lange U-Haft ein
Da hat er definitiv zu fest am Gashebel gedreht. Im Juni 2023 brettert ein Harley-Fahrer innerorts mit 62 Stundenkilometern zu viel über die Strasse. Die Raserfahrt war der Anfang eines intensiven Untersuchungsverfahrens.
Rasen ist in der Schweiz kein Kavaliersdelikt. Das ist spätestens seit Einführung des Raserartikels 2013 klar. Seither gilt: Wer innerorts statt der erlaubten 50 km/h mit 100 Stundenkilometern und mehr erwischt wird, dem droht eine Freiheitsstrafe von mindestens 12 Monaten.
Dass es der Gesetzgeber damit ernst meint, spürt jetzt ein in der Region Winterthur wohnhafter 28-jähriger Türke. Die Staatsanwaltschaft Winterthur / Unterland hat den Motorradfahrer wegen qualifizierter grober Verkehrsregelverletzung angeklagt. Am Donnerstag musste er sich vor Gericht verantworten.
«Unfallgefahr mit möglicher Verletzung oder gar Todesfolge»
Im Fokus steht eine laue Sommernacht im Juni 2023. Kurz vor Mitternacht fährt der Beschuldigte mit seiner Harley-Davidson FLHX in Winterthur stadtauswärts. Auf der Frauenfelderstrasse, hier gilt ein Tempolimit von 50 km/h, beschleunigt er seine Street Glide auf satte 118 Stundenkilometern – und wird von einer Radarfalle erfasst. So steht es in der Anklageschrift, die STREETLIFE vorliegt.
Abzüglich der technisch bedingten Sicherheitsmarge von 6 km/h handelt es sich damit um eine Geschwindigkeitsüberschreitung von 62 Stundenkilometern. Gemäss der zuständigen Staatanwaltschaft schuf der Beschuldigte für sich und andere Verkehrsteilnehmende damit «eine hohe abstrakte Unfallgefahr mit möglicher Verletzung oder gar Todesfolge.»
Haftrichter ordnet Untersuchungshaft an
Beim Motorradlenker bleibt das Radargerät nicht unbemerkt. Nur kurz nach dem Vorfall wendet er seine Harley und fährt zurück. Gemäss Anklageschrift «tat dies der Beschuldigte, da er sich vergewissern wollte, ob zuvor eine Geschwindigkeitsmessung stattgefunden hatte.» Der 28-Jährige reduziert bei dieser Fahrt seine Geschwindigkeit zwar massiv, löst aber erneut die Radarfalle aus. Er wird mit 56 statt 50 Stundenkilometern gleich nochmal geblitzt.
Dann geht alles ganz schnell. Der Mann wird von der Polizei verhaftet – und kurz darauf in Untersuchungshaft genommen. Beim mutmasslichen Mitglied eines Motorradclubs MC kommt es zu einer Hausdurchsuchung. Dabei werden mehrere Gegenstände durch die Untersuchungsbehörden sichergestellt und beschlagnahmt. Darunter zwei Jacken mit Patches, den Aufnähern des Motorradclubs, ein Mobiltelefon sowie das Motorrad selbst. Der 28-Jährige bleibt danach 79 Tage in U-Haft. Eine Länge, die im Falle eines Verkehrsdeliktes eher aussergewöhnlich ist.
Gründe für eine U-Haft
Um eine Untersuchungshaft überhaupt anordnen zu können, müssen gemäss Art. 221 der Schweizerischen Strafprozessordnung gewisse Vorgaben erfüllt sein. Neben dem dringenden Tatverdacht braucht es mindestens einen weiteren Haftgrund:
Fluchtgefahr: Person will sich dem Strafverfahren oder den zu erwarteten Sanktionen entziehen
Kollusionsgefahr: Beschuldigte Person beeinflusst Zeugen oder Beweismittel
Wiederholungsgefahr: Es besteht die Gefahr, dass die Straftat wiederholt wird
Welcher Grund beim 28-Jährigen zur langen U-Haft führte, wird in der Anklageschrift nicht weiter ausgeführt. Sicher ist hingegen, welches Strafmass die Staatsanwaltschaft für die Raserfahrt fordert. Eine Freiheitsstrafe von 18 Monaten, wovon der Beschuldigte sechs Monate im Gefängnis effektiv absitzen soll. Die restliche Strafe soll dann bedingt ausgesprochen werden.
Beschuldigter schweigt vor Gericht vehement
Vor Gericht zeigte sich der beschuldigte Motorradfahrer extrem wortkarg. Er beantwortete keine einzige Frage des Richters. Zudem wurde klar, dass in Bezug auf die Fahrt zwei völlig unterschiedliche Versionen vorgebracht wurden. Während für die Staatsanwaltschaft klar ist, dass der 28-Jährige das Motorrad fuhr, wurde das von der Verteidigung bestritten.
Zum einen berief sich die Anwältin auf die Aussagen des Vaters im Untersuchungsverfahren. Der hatte angegeben, dass ein Freund seines Sohnes auf der Harley sass. Zum anderen sei auf dem Radarfoto die Person nicht erkennbar gewesen, weshalb die Anwältin einen Freispruch und eine Entschädigung für die lange U-Haft forderte.
Klar wurde im Verfahren aber auch: Der 28-Jährige, ein gelernter Lastwagenchauffeur, ist bezüglich Verkehrsdelikte kein unbeschriebenes Blatt. Er ist in drei Fällen vorbestraft. Wegen der missbräuchlichen Verwendung von Ausweisen und Kontrollschildern, wegen des Führens eines nicht betriebssicheren Fahrzeuges und der groben Verletzung der Verkehrsregeln sowie wegen Fahrens eines Motorfahrzeuges ohne Führerschein.
Gericht glaubt dem Vater nicht
Um die Mittagszeit kommt es am Bezirksgericht Winterthur schliesslich zum Urteilsspruch. Der 28-Jährige wird der qualifizierten groben und einfachen Verletzung der Verkehrsregeln schuldig gesprochen. Für einen Freispruch waren gemäss Gericht die Aussagen des Vaters zu unglaubwürdig. Der Richter reduziert die von der Staatsanwaltschaft geforderte Strafe um zwei Monate.
Das Urteil lautet somit: 16 Monate bedingt mit einer Probezeit von drei Jahren. Dass der Verurteilte sich beim Verfahren kaum einbrachte, stiess dem Gericht etwas auf. «Es gibt kein Geständnis und auch keine Reue», so der Richter. Dennoch verzichtete er auf eine unbedingt Teilstrafe: «Die fast drei Monate in U-Haft haben ihnen bestimmt genug Eindruck gemacht.»
Spannend ist der Verbleib der Harley-Davidson. Bis zum heutigen Prozess war das Motorrad durch die Behörden beschlagnahmt. Beim auf den Vater eingelösten Töff handelt es sich um ein Leasing-Fahrzeug und die Raten für die letzten 17 Monate mussten weiterbezahlt werden. Die Rechnung dafür beläuft sich auf rund 9000 Franken.
Das Leasing wurde mittlerweile gekündigt und das Fahrzeug wurde heute durch das Gericht freigegeben, es geht zurück an den Leasinggesellschaft.

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