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«Viele argumentieren völlig einseitig und dumm pro Velo und ÖV»
Wirtschaftsprofessor Reiner Eichenberger spricht im STREETLIFE-Interview über den Graben in der Schweizer Verkehrspolitik, die Macht linker Narrative – und warum nur echte Kostenwahrheit die Schweiz aus der Sackgasse führen kann.
Jagd auf Parksünder mit Hightech, Verkehrsschikane in den Städten: Herr Professor Eichenberger, können Sie die hochgehenden Emotionen beim Thema Verkehr nachvollziehen? Spüren Sie sie selbst?
Ja klar. Die Agressivität insbesondere zwischen Velofahrern sowie Autofahrer und Fussgänger wächst. Das zeigt sich nicht nur auf den Strassen, Wanderwegen und Trottoirs, sondern insbesondere in den Leserkommentaren in elektronischen Medien. Einzig in manchen linken Medien herrscht noch die alte, völlig verschlafene Lobpreisung von ÖV und Velo als unsere Erlöser von dem bösen Auto.
Warum verschlafen?
Viele, die sich als «woke» sehen – was ja wach und aufgeweckt heisst – sind leider das Gegenteil: verschlafen. Sie argumentieren völlig einseitig und oft dümmlich pro ÖV und Velo und ignorieren komplexere Zusammenhänge. Sie reduzieren Mobilität fast ausschliesslich auf das Schlagwort «Klima». Nachhaltigkeit wird nur noch in diesem Kontext gedacht. Dabei ist Nachhaltigkeit – auch gemäss Definition der UNO – so etwas wie die ausgewogene und andauernde positive Entwicklung von Gesellschaft, Wirtschaft und Umwelt. Klima ist also nur eine Unterabteilung einer Unterabteilung von Nachhaltigkeit. Wir sollten dringend aufhören, Klima ideologisch und moralisch zu überhöhen.
Sind die Fronten beim Thema Verkehr deshalb so verhärtet?
Verkehr ist ein enorm konfliktträchtiges Feld. Ökonomen sprechen hier von Externalitäten – Kosten, die andere tragen müssen. Beim Auto sind das vor allem Abgase, Lärm und Unfallfolgekosten. Beim ÖV Subventionen für Infrastruktur und Betrieb sowie Lärm, und beim Velo Subventionen und Unfallfolgekosten. Die externen Kosten pro Personenkilometer sind – richtig gerechnet – beim Auto kleiner als beim hochsubventionierten ÖV und Velo. Dass dies fast völlig ausgeblendet wird, ist erstaunlich. Die Moralisierung und Ideologisierung verhindert eine nüchterne Debatte über Vor- und Nachteile respektive Nutzen und Kosten.
Woher kommt der aktuelle Hass aufs Auto?
Früher hat man ihn verstanden. Autos waren vielfach gefährlicher, lauter und umweltschädlicher als heute. Je sicherer, leiser, umweltschonender und zugleich besser und komfortabler sie werden, desto grösser wird der Hass auf sie bei manchen Bürgern und Politikern. Das zeigt: Es geht halt nicht um Fakten, sondern um Ideologie – und um den Dünkel moralischer Überlegenheit. Das einzig vernünftige Gegenargument wäre dieses: Die Verkehrsprobleme haben trotz der enormen Verbesserung des Autos zugenommen. Weshalb? Aha, die Schweizer Bevölkerung ist in den letzten 20 Jahren infolge Personenfreizügigkeit um 20 Prozent gewachsen, macht etwa 20 Prozent mehr Verkehr, und das macht weit überproporzional mehr Probleme.
Die Polarisierung in der Gesellschaft zeigt sich nicht nur bei Verkehrsfragen. Dort aber besonders stark. Warum?
Social Media verstärkt die Spaltung massiv. Algorithmen spielen uns oft nur das zu, was wir gerne sehen. Wer sich für Verkehrspolitik interessiert, bekommt irgendwann den Eindruck, die ganze Welt drehe sich darum – positiv oder negativ. So tauchen viele in eine eigene Welt ab. Parteien und Politiker müssten eigentlich gegensteuern. Stattdessen bewirtschaften sie die Lagerbildung und Konflikte allzuoft.
Massnahmen wie Bussenoffensiven sind aber Tatsachen, kein individuelles Empfinden.
Ja – die Kontrollintensität nimmt laufend zu. Es gibt immer mehr Radargeräte. Für Neuanschaffungen gibt’s jährliche Budgets, aber die Alten gehen selten kaputt und werden kaum ausgemustert. Die Wahrscheinlichkeit, erwischt zu werden, steigt also ständig. Ursprünglich waren die Bussen so hoch angesetzt, dass die erwarteten Bussen für Übertretungen, also Busse mal Strafwahrscheinlichkeit, einigermassen vernünftig waren. Wenn sich aber die Kontrollquote vervielfacht, müssten die Bussen eigentlich sinken. Doch genau das passiert nicht. Stattdessen wachsen die Busseneinnahmen.
Sind wir dieser Spirale machtlos ausgesetzt?
Nein. Aber wir müssen das System neu denken. Solange Menschen die tatsächlichen Kosten ihres Tuns nicht tragen, entstehen absurde Fehlanreize. Nehmen wir das Velo: Wer fährt, bezahlt weder Infrastruktur noch Unfallfolgen. Also fordert er hemmungslos neue Schnellrouten. Ähnlich beim ÖV: Die Nutzer decken höchstens die Hälfte der Kosten, also gibt es ständig neue Subventionsforderungen. Autofahrer haben das früher auch gemacht – bis sie den Grossteil der Kosten selbst tragen mussten. Dann wurden die Forderungen automatisch bescheidener. Das Verhalten ist nicht moralisch, sondern rational: Jeder will mehr, solange er nicht selbst zahlen muss.
Was wäre die ökonomische Antwort auf dieses Dilemma?
Konsequente, echte Kostenwahrheit. Das bedeutet, sämtliche Umwelt- und Infrastrukturkosten ehrlich zu bilanzieren – ohne ideologische Scheuklappen. Auch beim Velo. Wer mehr fährt, braucht mehr Energie, mehr Nahrung, produziert also auch mehr CO₂. Ich komme auf 60 Gramm pro Kilometer. Das passt nicht ins Bild der «grünen» Mobilität, ist aber eine Tatsache. Das Velo ist kein effizientes Verkehrsmittel, sondern ein Freizeit- und Spassmittel. Wer es nutzen will, soll es selbst finanzieren, nicht die Allgemeinheit.
Sie sprechen von «echter Kostenwahrheit». Was genau meinen Sie damit?
Erstens: Jeder Verkehrsteilnehmer soll seine realen Kosten tragen – für Lärm, Unfälle, Infrastruktur. Durch dieses «Verursacherprinzip» entstehen marktwirtschaftliche Anreize für vernünftiges Verhalten, ganz ohne Verbote und Subventionen. Zweitens: Die Einnahmen dürfen nicht im Staat versickern. Heute werden sie von linksgrüner Seite genutzt, um Autofahrer stärker zu belasten und gleichzeitig ihre Lieblingsprojekte wie Velo, ÖV oder Sozialprogramme zu finanzieren. Das ist keine echte Kostenwahrheit, sondern ein Missbrauch des Verursacherprinzips und nur Kostenscheinwahrheit“.
Und wohin soll das Geld fliessen?
Zurück an die Bürger – in Form von Steuersenkungen. Nur so lässt sich verhindern, dass Politik und Ideologen die Kosten künstlich aufblasen, um mehr Geld abzuschöpfen. Erst wenn die Bevölkerung spürt, dass sie belastet, aber gleichzeitig entlastet wird, entsteht Vertrauen in das System und wird das Verursacherprinzip akzeptiert.
Ist es nicht illusorisch zu fordern, dass das Geld an die Bürgerinnen und Bürger zurückfliesst?
Das ist genau der Punkt. In Deutschland wollte die Regierung mal Ökosteuern einführen und dafür andere Steuern senken. Natürlich hat ihr letzteres niemand geglaubt. Deshalb ist das Projekt gestorben. In der Schweiz ist die Situation besser. Wir können solche Regeln in die Verfassung schreiben und damit den Zugriff der Politik blockieren. Das ist unsere grosse Chance, international als Vorbild zu wirken – wie damals beim Katalysator. Aber dafür braucht es Mut und Eigenständigkeit, nicht das Schielen ins Ausland.
Sie klingen skeptisch, dass die Politik diesen Weg einschlägt.
Die Versuchung ist zu gross, fremdes Geld für eigene Projekte auszugeben. Das gilt auch für bürgerliche Parteien. Deshalb erwarte ich aus der Politik wenig. Nur über die direkte Demokratie kann man die Weichen stellen: Kostenwahrheit, weniger Regulierung, weniger Subventionen, Rückverteilung an die Bürger. Das wäre die grosse Verkehrswende. Eine ehrliche Kostenwahrheit ist besser als jede Alternative. Wer glaubt, Umwelt- und Verkehrsprobleme mit immer neuen Verboten, Bussen und Überwachung lösen zu können, täuscht sich gewaltig.
Was wäre aus Ihrer Sicht der erste konkrete Schritt zur Besserung?
Die ehrliche Antwort lautet: eine politische Einsicht, auf die wir wohl noch lange warten können. Deshalb brauchen wir Volksinitiativen. Eine vernünftige Initiative über den Verkehr, die grob die Richtung vorgibt – nicht bis ins Detail ausgearbeitet, aber mit klaren Eckpunkten: Kostenwahrheit, weniger Regulierung, Einschränkung von Subventionen und eine vollständige Rückschüttung der Gelder an die Bevölkerung über Steuersenkungen. Das muss drin sein. Natürlich wird Links-Grün sofort schreien: «Das verletzt die Einheit der Materie!» Aber grosse Lösungen betreffen immer verschiedene Lebensbereiche. Und genau dafür gibt es Volksinitiativen. Klar, die erste wird wohl abgelehnt. Aber wenn man etwas von der Linken lernen kann, dann das: Man macht eine Initiative, lernt aus der Niederlage, verbessert sie – und probiert es wieder. Nur so bewegt sich etwas.

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