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Verkehr •
Birsfelden scannt Autos

Bewohnerin reicht Beschwerde gegen neue Regelung ein

Seit dem 1. September setzt Birsfelden als erste Gemeinde der Schweiz auf ein System der Automatischen Durchfahrtskontrolle ADK. Die Massnahme sorgt für Hoffnung auf weniger Stau – aber auch für Ärger und Unsicherheit, wie STREETLIFE vor Ort erfahren hat. Eine Bewohnerin reicht nun deswegen sogar eine Beschwerde bei der Gemeinde ein.

Der Feierabendverkehr stockt, Stossstange an Stossstange. Auf der Autobahn A2 Richtung Basel bewegt sich kaum etwas, Hupen und genervte Gesichter prägen den Alltag. Wer nicht länger warten will, sucht sich einen Schleichweg – hinein nach Birsfelden. Doch dort wartet seit dieser Woche eine neue Realität: Kameras filmen jedes Auto, das ins Quartier fährt. Wer nicht dorthingehört und das Gebiet innerhalb von 15 Minuten wieder verlässt, riskiert 100 Franken Busse.

Für viele Pendler ist das frustrierend. «Der Stau auf der Autobahn in Richtung Basel ist jeden Tag eine Katastrophe», sagt eine Autofahrerin gegenüber STREETLIFE. «Jetzt kann ich ihn nicht mal mehr umfahren. Was bleibt mir denn anderes übrig, als durch die Quartiere auszuweichen?»

Beschwerde eingreicht

Über alle Zeifel erhaben ist die neue Regelung mit dem Scan-System aber auch für Anwohnende nicht: «Wenn meine Schwiegermutter, die ausserhalb wohnt, meinen Sohn abholt – bekommt sie dann eine Busse? Kann man Familienmitglieder von der Regelung ausnehmen?», fragt eine Anwohnerin gegenüber STREETLIFE. Sie hat wegen diesen Unklarheiten sogar eine Beschwerde bei der Gemeinde eingereicht.

Klar ist: Es gibt Anwohnende, die die neuen Massnahmen begrüssen. Allerdings bleiben auch für sie viele offene Fragen.

Politik setzt auf harte Massnahmen

Für die Gemeinde war der Schritt dennoch überfällig. «Birsfelden ist ein Nadelöhr», sagt Gemeinderätin Desirée Jaun im Gespräch mit STREETLIFE. Die Rheinfelderstrasse sei chronisch überlastet, immer mehr Autofahrende hätten sich durch die Wohnquartiere geschlängelt. «Das belastet unsere Quartiere, die Bevölkerung und verstopft die Strassen.» 

Schon 2016 versuchte Birsfelden deshalb, den Schleichverkehr mit Durchfahrtskarten zu stoppen – ohne Erfolg. Wer werktags in den Stosszeiten von 16 bis 19 Uhr Richtung Basel ins Quartier fahren wollte, musste eine solche Karte vorweisen. Da diese jedoch leicht erhältlich und weit verbreitet waren, konnte das System den Schleichverkehr nicht wirksam eindämmen. Mit der neuen Automatischen Durchfahrtskontrolle (ADK) greift die Gemeinde nun härter durch.

 

So funktioniert die ADK

Kameras erfassen künftig die Kennzeichen aller Fahrzeuge, die ins Kontrollgebiet einfahren. Das System gleicht sie automatisch mit einer Liste der Berechtigten ab. Wer nicht dazugehört und das Gebiet innerhalb von 15 Minuten wieder verlässt, erhält eine Busse von CHF 100.–. 

Berechtigt sind Einwohnerinnen und Einwohner von Birsfelden und des Muttenzer Freuler Quartiers, ansässige Unternehmen und Institutionen, sowie öffentlicher Verkehr, gekennzeichnete Taxis und Blaulichtfahrzeuge. Auch Besucherinnen und Besucher sind erlaubt, sofern sie länger als 15 Minuten bleiben. 

Datenschutz im Fokus

Dass die Kameras überhaupt in Betrieb gehen konnten, war nicht selbstverständlich. Die kantonale Aufsichtsbehörde machte früh klar: Ein so tiefgreifendes System braucht eine klare gesetzliche Grundlage. «Grund für diese Einschätzung war die Tatsache, dass derartige Systeme durchaus einen Eingriff in die Persönlichkeitsrechte der betroffenen Personen darstellen und somit einer erhöhten demokratischen Legitimierung bedürfen», erklärt Thomas Held, stellvertretender Datenschutzbeauftragter des Kantons Basel-Land.

Zudem musste die Gemeinde Birsfelden ihr Polizeireglement anpassen, die Gemeindeversammlung stimmte darüber ab. Erst damit erhielt das Projekt die rechtliche Grundlage. Im Faktenblatt betont Birsfelden: Die ADK sei ausschliesslich darauf ausgelegt, Fahrzeuge anhand ihrer Kontrollschilder zu identifizieren. Eine direkte Personenidentifikation sei nicht möglich. Damit steht Birsfelden mitten in einer Debatte, die weit über die Gemeinde hinausweist: Wie viel Überwachung darf eine Gemeinde ihren Autofahrern zumuten – und wo endet der Schutz der Privatsphäre?

Teures Experiment – mit Signalwirkung?

Zumal das System alles andere als günstig war – satte 490’000 Franken kostete es. Die Gemeinde verspricht sich davon Entlastung und Sicherheit, für Autofahrende bedeutet es hingegen Unsicherheit und zusätzlichen Stress. Kritik kommt auch von Passantin Monika Blatter: «Das Durchfahrtsverbot ist an den Strassen zu schlecht gekennzeichnet.» Und auch die 15-Minuten-Regel sei in der Praxis problematisch: «Wenn man hier im Stau steht, steht man sowieso meist länger als 15 Minuten.»

Klar ist: Birsfelden hat ein Experiment gestartet, das andere Schweizer Gemeinden aufmerksam beobachten. Ob es Schule macht, wird sich zeigen. Ganz lösen lässt sich das Verkehrschaos damit jedenfalls nicht. Denn: «Wenn man den Stau verschiebt, dann ist er trotzdem da», gibt Gemeinderätin Jaun zu. Und mahnt: «Wir müssen grenzübergreifend, kantonsübergreifend, aber auch mit dem Bund zusammenarbeiten.»

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