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Politik staunt – Schweizer Armee im Sommer auf Winterpneus unterwegs
Die Temperaturen steigen, überall werden Termine für den Reifenwechsel gebucht. Das VBS hingegen pfeift drauf und lässt Fahrzeuge der Schweizer Armee auch im Sommer mit Winterpneus herumfahren. Politikerinnen und Politiker zeigen sich überrascht, Experten ordnen ein.
Ostern steht vor der Tür, Herr und Frau Schweizer melden sich bei ihrem Garagisten. Winterpneus runter, Sommerpneus rauf, ganz im Sinne der «von O bis O»-Regel, die halbjährlich einen Reifenwechsel zwischen Oktober und Ostern empfiehlt. Der Grund ist klar: Winterpneus im Sommer sind weniger stabil, weniger sicher, verursachen mehr Abrieb und haben einen höheren Benzinverbrauch, wie TCS-Experte Adrian Suter auf STREETLIFE erklärt. Deshalb wechseln die meisten Autofahrenden in der Schweiz schön brav auf Sommerreifen.
Die ganze Schweiz? Nein. Eine standhafte Truppe lässt fünf geradestehen und pfeift auf die «O bis O»-Regel: Das VBS und mit ihm der Fuhrpark der Schweizer Armee fährt auch im Sommer mit Winterpneus. Das bestätigt das Eidgenössische Departement für Verteidigung, Bevölkerungsschutz und Sport auf Anfrage von STREETLIFE: «Das wurde im Rahmen der Flottenbewirtschaftung für die Truppenfahrzeuge so entschieden». Diese hätten «teilweise geringe Kilometerleistungen» und würden auf «unterschiedlichen Terrains respektive auf befestigten Strassen sowie auch im Gelände eingesetzt».
Mehr Sicherheit, weniger Kosten
Die Hintergründe für diesen Entscheid? Vielschichtig: «Die Begründung liegt in der Kostenersparnis, in der logistischen Machbarkeit und, über alle Jahreszeiten hinweg betrachtet, in der Sicherheit», so eine VBS-Sprecherin. Für die grosse Flotte der Schweizer Armee, die mit wiederkehrenden klimatischen Bedingungen konfrontiert ist und insbesondere regelmässig unter Winterbedingungen eingesetzt wird, sei eine reine Winterreifen-Strategie wirtschaftlich und logistisch sinnvoller.
Konkret: Keine saisonalen Reifenwechsel spart Kosten für Montage, Lagerung und Arbeitszeit. Weniger Reifenlagerung reduziert zudem den Platzbedarf sowie Verwaltungskosten und vereinfacht die Logistik. Zudem sei man mit Winterreifen in der kalten Jahreszeit sicherer unterwegs als mit Ganzjahresreifen, erklärt das VBS.
Schweizer Politik zeigt sich überrascht
Die Argumentation sei nachvollziehbar, sagt SVP-Nationalrätin Stefanie Heimgartner, als Transportunternehmerin eine Frau vom Fach. «Bei einem so grossen Fuhrpark und mit vielen schweren Fahrzeugen macht das Sinn. Militärfahrzeuge müssen im Allgemeinen auch im Gelände fahren können und brauchen von daher schon ein gröberes Profil. Mit Sommerreifen wäre dies im Gelände so nicht möglich», sagt sie. Auch viele LKWs seien mit Ganzjahresreifen unterwegs. Dass unsere Armee im Sommer generell mit Winterpneus fährt, wusste sie aber nicht. Genauso wenig wie alle anderen von STREETLIFE angefragten Politikerinnen und Politiker. Unter ihnen auch Mitglieder der Kommissionen für Verkehr und Fernmeldewesen KVF wie David Roth (SP), Andri Silberschmidt (FDP) und Christian Imark (SVP), die sich allesamt überrascht zeigten – den Entscheid des VBS aber nicht weiter kommentieren wollten.
Auch Auto- und Verkehrsspezialist Walter Wobmann (SVP) hört davon zum ersten Mal und sagt, dass das Ganze «sicher nicht ganz optimal, gerade für Personenwagen» sei. Aber: «Im VBS-Fuhrpark stehen wohl nur wenige PWs, von daher ist das vernachlässigbar. Es ist wichtiger, im Winter Winterreifen drauf zu haben als im Sommer Sommerreifen». GLP-Nationalrätin Barbara Schaffner – auch sie hört zum ersten Mal von Armeefahrzeugen mit Ganzjahres-Winterreifen – gibt dagegen zu bedenken, dass der VBS-Entscheid wegen dem höheren Gummiabrieb «umwelttechnisch nicht ideal» sei. Sie sagt aber auch: «Es gibt diesbezüglich definitiv grössere Probleme».
Was passiert bei einem Unfall?
Tatsächlich ist der Umweltschutz das eine, die Sicherheit das andere. Das VBS argumentiert, mit Winterpneus sei man garantiert immer gesetzeskonform unterwegs – es bestehe so «keine Gefahr, falsche Reifen bei einem plötzlichen Wintereinbruch zu haben». Doch was ist bei einem Unfall im Sommer? «Bei einem Unfall mit Sommerreifen im Winter kann meist der viel zu lange Bremsweg und damit eine Fahrlässigkeit nachgewiesen werden. Dem Sommerreifen fehlt im Winter schlichtweg die Haftung. Im umgekehrten Fall ist der Bremsweg zwar auch etwas länger, aber nicht gleich kritisch», sagt TCS- Reifenexperte Reto Blättler.
Und die Versicherungen? Bekannt ist, dass diese bei falschen saisonalen Reifen gern in Regress gehen. Das VBS versichert seine Fahrzeuge zwar selbst – was aber ist, wenn eine andere Partei von einem Unfall mit einem Militärfahrzeug mit «falschen» Reifen betroffen ist? «Es müsste nachgewiesen werden können, dass das Fahrzeug nicht betriebssicher war, was eher selten der Fall ist», sagt Blättler. «Aus der Schadenregulierung sind keine Fälle bekannt, wo das ein Thema oder gar ein Unfallgrund gewesen wäre», bestätigt auch Armeesprecher Stefan Hofer auf Anfrage.
Keine Vorschrift – aber eine Empfehlung
Das liege an der Art und Geschwindigkeit der Armeefahrzeuge, die wenig Raum für reifenbedingte Unfälle lasse. Zudem stehe nicht die Geschwindigkeit im Fokus, sondern die Sicherheit der Insassen – insbesondere bei geländegängigen Fahrzeugen, die auch im Sommer Offroadreifen benötigen. Auch kleinere Militärfahrzeuge seien auf Reifen angewiesen, die wechselnden Untergründen gewachsen sind. Zudem würden Reifen spätestens bei einer Profiltiefe von 4 mm ausgetauscht.
Tatsächlich gibt es rechtlich keine Vorschrift, die den Ganzjahreseinsatz von Winterreifen verbietet. Dennoch bleibt die allgemeine Verpflichtung des Fahrzeugführers bestehen, für eine verkehrssichere Bereifung zu sorgen. Dr. Rainer Riek, Rechtsanwalt und bekannt als Kolumnist «Robin Road» für die Auto-Illustrierte, kennt keinen Fall einer Bestrafung für das Fahren mit Winterreifen im Sommer. Im Falle eines Unfalls könnte aber eine Haftungsprüfung der Versicherung erfolgen. Der Schweizerische Versicherungsverband (SVV) rate deshalb grundsätzlich davon ab, mit Winterreifen im Sommer zu fahren – weshalb in diesen Tagen auch die meisten Schweizerinnen und Schweizer einen Termin zum Reifenwechsel buchen. Ausser bei unserer Armee.

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