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Von einem Moor unter die Erde verdrängt
Die Oberlandautobahn im Kanton Zürich wartet seit über 60 Jahren auf ihre Fertigstellung. Wegen des Naturschutzes wurde das Teilstück zwischen Uster und Hinwil nie gebaut. Braucht es die Autobahn noch? STREETLIFE hat mit Befürwortern und Gegnern des Projekts gesprochen und schaut auf die langwierige Geschichte zurück.
Die Oberlandautobahn zwischen den Zürcher Ortschaften Uster und Hinwil ist ein Strassenbauprojekt, welches vor allem die Zürcher, aber auch die Schweizer Politik schon seit 60 Jahren beschäftigt. Trotz einer Abfuhr vor dem Bundesgericht 2012 wird weiter nach einer Lösung gesucht, eine Autobahn zwischen Uster und Hinwil zu bauen. Anfang 2020 hat das Bundesamt für Strassen Astra die Zuständigkeit und Planung vom Kanton Zürich übernommen. Denn die Oberlandautobahn gehörte zu den 400 Kilometern Kantonsstrasse, die der Bund mit dem neuen Netzbeschluss übernommen hat.
Das sagen die Beteiligten
Für den Verein Zusammenschluss Oberland, der sich seit 1999 für den Bau der Oberlandautobahn einsetzt, ein gutes Zeichen, sagt Präsident Horst Meier. «Der Bund hätte den Abschnitt nicht übernommen, wenn er nicht der Meinung wäre, dass es eine Lückenschliessung zwischen Uster und Hinwil braucht.» Der Verein Lebensraum Oberland LEO findet den Bau der Oberlandautobahn unnötig. Präsident Paul Stopper sieht in der Übergabe des Abschnitts an den Bund einen Schachzug des Kantons. «Die Zürcher Regierung hatte Angst vor einer Volksabstimmung wegen der Kosten und hat dem Volk deshalb nie eine Kredit-Vorlage vorgelegt. Das wäre ein Debakel wie 2020 die Rosengartenstrasse geworden. Da jetzt der Bund die Verantwortung trägt, hat die Zürcher Bevölkerung nichts mehr zu sagen.»
Die Geschichte
Die Streckenführung der Oberlandautobahn wurde schon 1965 ein erstes Mal festgelegt. Anfang der 1970er sahen die Planungen vor, dass südlich von Hinwil ZH vier Autobahnen zusammentreffen: die erwähnte Oberlandautobahn A15, damals noch als A53 von Uster und Rüti her, die Forchautobahn A52 und eine Autobahn von Effretikon her über Pfäffikon.
Der Treffpunkt ist in der Region mit dem Kreisel Betzholz nicht zu übersehen. Doch realisiert wurden nur die südlich A15 sowie die Forchautobahn. Die vierspurige Strasse nach Effretikon scheitert früh am Widerstand der Gemeinden. Die nördliche Oberlandautobahn dagegen bleibt unvollendet. Heute endet die Autobahn in Uster Ost und der Verkehr muss sich über Kantonsstrassen durch das Aatal, Wetzikon und Hinwil quälen, um beim Kreisel Betzholz auf das ausgebaute Stück der Oberlandautobahn zu gelangen, welches schliesslich bei Reichenburg SZ in die A3 mündet.
Dem Stück zwischen Uster Ost und Betzholz (Luftlinie 8,15 Kilometer) wurde unter anderem die 1987 angenommene Rothenthurm-Initiative zum Verhängnis. Sie stellte Moore von nationaler Bedeutung unter Schutz. Die erste Streckenführung der Oberlandautobahn führte bei Hinwil genau durch eine solche Moor- und Drumlinlandschaft. Drumlin sind längliche, von Gletschern gebildete Hügel. Naturschutzverbände wehrten sich gegen den Ausbau und selbst der Bundesrat verlangte, die Streckenführung zu überprüfen. Im Juni 2012 gab das Bundesgericht den Einsprachen der Naturschutzverbände recht. Der Kanton Zürich musste mit der Planung von vorne beginnen.
Zwei neue Lösungsvorschläge
Aktuell stehen zwei mögliche Varianten zur Diskussion, die vor allem unterirdisch verlaufen. Unbestritten ist der Abschnitt von Uster bis Wetzikon. Die Variante «Richtplan» sieht einen langen Tunnel von Wetzikon West nach Ottikon ZH vor, wo die Strecke in die Forchautobahn münden würde.
Unter «Tunnel tief» wird die Oberlandautobahn unterirdisch parallel zu Wetzikon gebaut und Wetzikon Ost bekäme einen Autobahnanschluss. Der Tunnel würde beim Kreisel Betzholz enden.
Der Kanton Zürich hatte die Variante «Richtplan» schon praktisch geplant, als das Bundesamt für Strassen Astra die Verantwortung für die Oberlandautobahn übernahm. Die Version «Tunnel tief» kam erst kurz vorher auf, weshalb das Astra nun weitere Abklärungen trifft, um beide Versionen auf Basis gleichwertiger Informationen vergleichen zu können.
Dafür führt es Sondierbohrungen durch, um die Geologie der Region zu untersuchen und den Standort der Grundwasservorkommen zu bestimmen. Denn für den Bund ist es wichtig, ein Projekt auszuarbeiten, welches auch bewilligt und nicht wieder durch Einsprach blockiert und im schlimmsten Fall verhindert wird. Die Planung sieht vor, dass sich das Astra im Verlauf des Jahres 2025 für eine Variante entscheidet.
So kommen die Lösungen an
Wie diese Wahl ausfällt, ist den beiden Vereinen egal. Für Lebensraum Oberland sind beide Lösungen unnötig und für Zusammenschluss Oberland die eine Variante so recht wie die andere. «Allgemein wird die Version Tunnel tief favorisiert, aber auch die Richtplan-Variante ist eine gute Lösung. Es ist die zweitbeste Variante», sagt Zusammenschluss-Präsident Horst Meier.
Paul Stopper hingegen geht davon aus, dass keine der beiden Tunnel-Lösungen die Verkehrsprobleme in Wetzikon lösen wird. «Das Problem liegt in Unterwetzikon unter Unteraathal. An beiden Stellen liesse sich mit einer Kurzumfahrung eine Entlastung erreichen, in Unterwetzikon in Form eines kurzen Tunnels», ist er überzeugt. «Das wäre deutlich günstiger als eine unterirdische Autobahn. Zudem zieht ein Autobahnanschluss nur mehr Autos an und öffnet die Verkehrsschleuse.»
Der Ausbau-Befürworter Meier kann es nicht mehr hören: «Das sind immer die gleichen Argumente. Für uns von Zusammenschluss Oberland ist ein Kurztunnel nur ein Pflaster für eine Stelle, wo es einen Verband braucht. Die Verkehrsüberlastung im Aatal, Wetzikon und Hinwil sowie der Schleichverkehr in den umliegenden Dörfern zeigt, der Verkehr ist jetzt schon da. Wir brauchen die Autobahn, um diesen zu kanalisieren und die Gemeinden zu entlasten.»
Aber für Stopper ist die aktuelle Situation nicht befriedigend. «Wir sind gleich weit wie vor 40 Jahren und drehen uns im Kreis, statt eine Lösung zu finden. Als Resultat haben wir zwar keinen Tunnel, aber auch keine Entlastung.» Beiden Vereinspräsidenten ist klar, dass keine Lösung perfekt ist. Doch beide glauben, mit ihrer favorisierten Methode das Beste für das Zürcher Oberland zu erreichen.
Kein Ende in Sicht
Im Moment heisst es für beide Parteien warten. Das Astra hat keinen der beiden Vereine angesprochen, um sie in die Planung miteinzubeziehen. Für Meier kein Problem. «Unser Vorstand ist gut vernetzt und wir bleiben auf dem Laufenden.
Für Stopper vom Verein Lebensraum Ost ist es eher frustrierend. «Wir haben unsere schnellere und günstigere Lösung schon oft vorgeschlagen, aber weder das Astra noch der Kanton wollen mit uns sprechen.» Noch hat sich der Verein nicht überlegt, wie er dann gegen das Ausbauprojekt vorgehen wird. Aber das Argument Naturschutz ziehe nicht mehr: «Die neue Strecke verläuft ausserhalb des Naturschutzgebietes», weiss Stopper.
Aber LEO hat noch Zeit. Wenn überhaupt, dürften die Bauarbeiten nicht vor 2035 beginnen. «Wir können uns anderen Problemen widmen, wie die Bahnlinie im Aatal auf zwei Spuren auszubauen.» In der Hoffnung, dass es gar keine Autobahn mehr braucht, wenn die Menschen das Oberland im Zug durchqueren. Deshalb ruht sich auch der Verein Zusammenschluss Oberland nicht aus. «Wir sind zwar der tiefen Überzeugung, dass die Lücke geschlossen wird, aber eine absolute Sicherheit gibt es nicht.» Und während sich das Seilziehen von Bund, Kanton, Vereinen und Verbänden um die beste Verkehrslösung fortsetzt, stauen sich die Autos vorerst weiter durchs Oberland.

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