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Lässt Pro Natura die Eglisauer Bevölkerung weiter leiden?
Die Gemeinde Eglisau versinkt in der Verkehrsflut. Jeden Tag überqueren 22'000 Fahrzeuge in Nord-Süd-Richtung den Rhein. Seit bald 50 Jahren wird eine Umfahrung gefordert. Jetzt liegt ein Projekt für 2040 auf dem Tisch, doch der Naturschutz schwebt wie ein Damoklesschwert darüber.
Umfahrung jetzt! Wer aus dem Raum Zürich nach Norden in Richtung Kanton Schaffhausen und deutsches Grenzgebiet fährt, sieht diese Forderung in der Gemeinde Eglisau auf mehreren Plakaten am Strassenrand stehen. Den Berufspendler, die hier täglich durchfahren, wird damit aus der Seele gesprochen. Morgens und abends quälen sie sich Stossstange an Stossstange im Schritttempo durch das Städtchen am Rhein.
Während hier 5500 Menschen entlang des Flusses leben, überqueren rund 22'000 Fahrzeuge pro Tag die alte Rheinbrücke. Die Situation hat sich in den letzten 15 Jahren spürbar verschlechtert, weiss Gemeinderat Felix Baader, zuständig für die technischen Betriebe, aus eigener Erfahrung zu berichten. «Ich wohne nördlich des Rheins und habe lange in Bülach Süd gearbeitet. In dieser Zeit hat der Stau pro Jahr etwa fünf Minuten früher begonnen.» Und er dauert länger, ergänzt Baader: «Ich kann heute erst nach 8:30 Uhr einigermassen berechenbar nach Bülach fahren.» Davor seien um die 30 Minuten der Normalfall gewesen – und das für eine Strecke von etwa elf Kilometer, die sich ohne Verkehr in etwa elf Minuten zurücklegen lässt.
Die geplante Lösung
Der Kanton Zürich als Eigentümer der Strasse plant eine Umfahrung. Sie soll südlich von Eglisau in einem Tunnel durch den Hügel nach Westen über eine neue Brücke führen und nördlich von Eglisau wieder in die Kantonsstrasse nach Schaffhausen münden. Nach ersten Schätzungen kostet das Vorhaben zwischen 192 und 358 Millionen Franken. Ein erstes Vorprojekt soll Ende Januar 2024 im Rahmen des Mitwirkungsverfahrens öffentlich aufgelegt werden. Einsprachen sind praktisch vorprogrammiert. Denn die Landschaft entlang des Rheins um Eglisau steht unter Naturschutz. «Das bereitet uns schlaflose Nächte», gesteht Gemeindepräsident Roland Ruckstuhl. «Heute kann man sich an die Strasse kleben, an Bäume ketten, Grundstücke besetzen oder man geht den juristischen Weg, und lässt das Projekt als nicht bewilligungsfähig einstufen.»
Keine grundlose Befürchtung. «So ist es der Umfahrung Balsthal ergangen», weiss Gemeinderatskollege Baader. Im Kanton Solothurn sollte das Städtchen Klus durch einen Tunnel und ein Viadukt entlastet werden. Die Stimmbevölkerung hatte dem 74 Millionen Franken teuren Projekt bereits zugestimmt. Doch bevor die Bauarbeiten beginnen konnten, ging eine Beschwerde beim Solothurner Verwaltungsgericht ein, das Projekt widerspreche dem Natur- und Heimatschutz. Dem folgte das Gericht. Der Rekurs vor dem Bundesgericht scheiterte.
Die Kritik der Umweltverbände
Auch in Eglisau muss mit einem juristischen Schachzug in letzter Sekunde gerechnet werden. Pro Natura und die Eidgenössische Natur- und Heimatschutzkommission ENHK haben schon ihre Bedenken gegen die Umfahrung geäussert. Vor allem die Brücke über den Rhein ist ein Problem, erklärt der Geschäftsleiter der Pro Natura Zürich, Andreas Hasler. «Das Rheinufer um Eglisau ist ein sogenanntes BLN-Gebiet, sprich im Bundesinventar der Landschaften und Naturdenkmäler. Hier eine Brücke zu bauen, wäre eine massive Störung einer schützenswerten Landschaft von nationaler Bedeutung. Das ist unserer Meinung nach nicht gerechtfertigt für eine einfach Dorfumfahrung.» Hasler findet nur einen Tunnel unter dem Rhein hindurch eine gangbare Lösung.
Diese Möglichkeit hat der Kanton Zürich bereits verworfen. Der Tunnel unter dem Rhein würde etwa eine halbe Milliarde teurer werden wie die vorliegende Umfahrungs-Lösung. Eglisaus Gemeindepräsident gibt weiter zu bedenken: «Die Rampen für eine Zufahrt in den Tunnel müssten derart lange sein, dass meines Erachtens der Eingriff in die Natur nicht minder wäre.»
Wie wichtig ist die Hauptstrasse H4?
Auch das Gegenargument, es sei eine einfache Dorfumfahrung, lässt Roland Ruckstuhl nicht gelten. Schliesslich sei die Hauptstrasse H4 eine wichtige Einfallsachse für den Wirtschaftsraum Zürich Nord und den Flughafen Kloten. «Sie dient vielen Arbeitnehmenden aus dem Umland als Arbeitsweg. Auch das Gewerbe des ganzen Kantons profitiert von dieser Nord-Süd-Verbindung» Es liege deshalb auch im Interesse der gesamten Bevölkerung des Kantons, die Umfahrung zu bauen. Ruckstuhl geht sogar noch einen Schritt weiter. «Der Bund will hier in nördlich Lägern das Endlager für atomare Abfälle bauen. Das wird zu noch mehr Verkehr führen. Arbeiter und Material für dieses Generationenprojekt kommen unter anderem aus Deutschland und überqueren in Eglisau den Rhein.» Der Gemeindepräsident könnte sich sogar vorstellen, dass das Endlager Besucher und Touristen anzieht, da es ein einmaliges Projekt in Europa ist. «Damit bekommt die Umfahrung Eglisau auch eine nationale Bedeutung.»
Hinter dieser Aussage stecke Kalkül, um den Naturschutzverbänden den Wind aus den Segeln zu nahmen, kontert Andreas Hasler von Pro Natura Zürich. «Die Gemeinde und der Kanton versuchen der Umfahrung eine nationale Bedeutung zuzusprechen, damit sie in einem BLN-Schutzgebiet gebaut werden kann.» Das sich dies begründet lässt, bezweifelt Pro Natura: «Diese Dorfumfahrung hat keine gleichwertige Bedeutung wie die schützenswerte Landschaft entlang des Rheins.»
Pro Natura zeigt sich beim aktuellen Projekt wenig kompromissbereit. Trotzdem wird der Eglisauer Gemeinderat versuchen, «das jahrzehntelange Leiden der Bevölkerung zu beenden.» Dafür gilt es die Umweltverbände von dem Projekt zu überzeugen. «Wir tragen der Natur definitiv schon jetzt Sorge», ergänzt Ruckstuhl. «Wir achten überalll darauf, möglichst wenig in die Natur einzugreifen und werden alle Gemeinde-Liegenschaften wie die Kläranlage oder das neue Schulhaus grosszügig mit Solaranlagen bestücken. Im Gegenzug wollen wir nur eines: Eine neue Brücke für die Umfahrung.»
Geschichte Umfahrung Eglisau
1970er Jahre
Erste Entwürfe für eine Umfahrung
1985
Kantonsbevölkerung lehnt Brückenprojekt ab
1988
eine Umfahrung mit möglicher Streckenführung wird im kantonalen Richtplan eingetragen
Anfang 1990er Jahre
Umfahrung wird wegen eines Sparprogrammes nicht ins Strassenbauprogramm des Kantons aufgenommen
2001
Wegen hoher Kosten erhielt die Umfahrung vom Kanton keine Priorität
2012
Politischer Auftrag vom Kantonsrat, eine Machbarkeitsstudie zur Umfahrung zu erstellen
2016
Regierungs-Beschluss: Umfahrung mit Brücke statt Tunnel planen
2020
Brückenwettbewerb für aktuelles Projekt durchgeführt
2022
Streckenführung festgelegt
Januar 2024
Mitwirkungsverfahren für das Vorprojekt startet
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