Werbung
«Es gibt Situationen, da ist der Stau ekelhaft»
Die Schweiz steckt mitten in den Sommerferien. Grosse Teile der Bevölkerung zieht es jetzt in den Süden. Die Folge: Am Sonntag und Montag staute sich der Verkehr vor dem Gotthard-Nordportal auf über zehn Kilometern. Autofahrende versuchen deshalb auf die Kantonsstrasse auszuweichen. Sehr zum Unmut der Bevölkerung vor Ort.
Kein Vortwärtskommen, nur Stillstand. So war es am Sonntagnachmittag vor dem Gotthard-Nordportal. Auf einer Länge von über 15 Kilometern bewegte sich die Blechlawine kaum im Schritttempo durchs Urner Reusstal. Für die Betroffenen im Stau eine wahre Geduldsprobe. Der Zeitverlust: Über zweieinhalb Stunden. Die Gotthardroute macht ihrem Namen also auch in diesem Jahr wieder alle Ehre – das Nadelöhr der Schweizer Alpen ist verstopft.
Das zähe Warten auf dem Weg in den Süden treibt viele Reisende von der Autobahn. Auf der Suche nach einer Ausweichroute landen sie auf der parallel verlaufenden Kantonsstrasse. Peter Tresch ist Gemeindepräsident in Göschenen UR, dem letzten Dorf vor dem Tunnelportal. Er berichtet darüber, wie die Bewohner hier langsam an ihre Stau-Belastungsgrenze kommen.
«Es ist nun mal nicht schön, wenn man als Einwohner abends wegen des Staus nicht mehr nach Hause kommt», sagt er. «Es gibt Situationen, da ist es richtig ekelhaft. Wenn man nur noch nach Hause will, von der Autobahn runterfährt und sieben oder acht Kilometer lang einfach nur steht.» Tatsächlich gäbe es immer wieder Bewohner, die sich deshalb überlegen, ins Unterland zu ziehen. «Kommt dazu: Für Blaulichtorganisationen ist es nicht einfach vor Ort zu kommen, wenn etwas passiert», so Tresch.

Kommt die Gotthard-Maut?
Auf den Ausweichverkehr im Urner Reusstal hat jetzt auch die nationale Politik reagiert. Die drei Nationalräte Simon Stadler (Mitte, UR), Corina Gredig (GLP, ZH) und Matthias Jauslin (FDP, AG) haben im Juni einen Vorstoss im Parlament eingereicht, um eine Maut am Gotthard einzuführen. Zu den Spitzenzeiten wie Ostern, Pfingsten und den Sommerferien soll sie am höchsten, im Winter am tiefsten sein. Damit will das bürgerlicher Trio die Spitzen brechen und die Autofahrenden motivieren, den Gotthard zu meiden, wenn das Verkehrsaufkommen bekanntermassen besonders gross ist.

Staustunden auf dem Autobahnstück deutlich angestiegen
Obwohl an den alljährlichen Stau gewöhnt, spricht Tresch das aus, was die Bevölkerung im Urnerland täglich zu spüren bekommt. «Wir stellen fest, dass die Tendenz und das Bedürfnis in den Süden zu reisen, auf unserer Route deutlich zunimmt.»
So fuhren in den Sommermonaten 2022 täglich bis zu 400'000 Fahrzeuge auf der A2 in Fahrtrichtung Süden. Und in diesem Jahr sind die Werte sogar noch etwa angestiegen, bestätigt Gustav Planzer, Polizeikommandanten-Stellvertreter der Kantonspolizei Uri: «Der Individualverkehr in Uri – saisonal- resp. ferienreisebedingt – hat wieder ein Ausmass angenommen, welches die Kapazitäten der Verkehrsinfrastruktur übersteigt.»
Planzer nennt neben den Sommerferien noch weitere Gründe: «Die einstreifige Verkehrsführung im Tunnel mit vorgängig erfolgtem Fahrstreifenabbau sowie die aus Sicherheitsgründen reduzierte Durchfahrtskapazität sind mitverantwortlich für die Staustunden.»
Arbeitsgruppe sucht Lösungen
Gemeindepräsident Tresch fordert deshalb: «Der Stau soll, wenn möglich, immer auf der Autobahn bleiben. Und es muss dafür gesorgt werden, dass die Kantonsstrasse, wie es der Name schon sagt, für den Kanton zur Verfügung steht.» Zwar würden die Behörden viel unternehmen, um dieses Ziel zu erreichen. So lancierten die Sicherheits- und Baudirektion des Kantons Uri das Projekt Staumanagement. Eine Arbeitsgruppe nahm im Herbst 2022 ihre Arbeit auf. «In der Arbeitsgruppe haben wir viele Lösungsansätze geprüft, damit wir den Ausweichverkehr reduzieren können», erklärt Planzer.

Gemeindepräsident Tresch befürwortet diese Massnahmen, sagt aber auch: «Wir Urner haben ein Problem. Wir haben auf kurzer Distanz viele Autobahnein- und ausfahrten. Wir sagen zwar, die Lenkerinnen und Lenker sollen auf der Autobahn bleiben, jedoch bieten wir alle sechs Kilometer die Gelegenheiten an, das nicht zu tun.» Und wisse man erst, dass man bei Erstfeld, rund 26 Kilometer vor dem Nordportal, die Autobahn verlassen kann, nütze die Sperrung weiter oben auch nicht mehr so viel, so Tresch.
Was wenn die Situation noch schlimmer wird? Wie wollen die Bewohner vor Ort das Problem bekämpfen? «Wir sind nicht so weit, dass wir Klima- oder Oberlandkleber schicken, die sich auf die Strasse befestigen», sagt Tresch augenzwinkernd. Aber er appelliert an die Reisenden: «Jede Autolenkerin und jeder Autolenker sollte seinen oder ihren Teil dazu beitragen. Konkret meine ich damit: Nicht auf der Autobahn vordrängeln, sich Einreihen und eben nicht von der Autobahn abfahren.» Und er fragt sich: «Muss man wirklich jedes Jahr im Sommer diese Fahrt in den Süden antreten?»
Zweite Gotthard-Röhre
Seit 2020 baut das Bundesamt für Strassen (Astra) an einem zweiten Strassentunnel durch den Gotthard. Wenn alles nach Plan verläuft, wird dieser 2029 eröffnet. Bis jedoch beide Röhren in Betrieb sind, wird es noch etwas länger dauern. Zuerst muss der alte Strassentunnel saniert werden. Die Eröffnung beider Tunnelröhren ist für 2032 geplant.
Werbung