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Politik & Wirtschaft •
Behörden sagen lauten Autos den Kampf an

Kommen die Lärmblitzer bald in die Schweiz?

Gerade in Städten ist Verkehrslärm allgegenwärtig. Besonders Motorräder, Sportwagen und getunte Autos fallen negativ auf. Das liegt oftmals aber auch an der Fahrweise. Unsere Nachbarländer testen Lärmblitzer, um das Problem in den Griff zu kriegen. Gibt es diese bald auch in der Schweiz?

Der Lärmblitzer lässt Autoposer und Lärmrowdys zittern. Nach den Radargeräten für Geschwindigkeitsmessung und den neuen Abstands-Blitzern könnte das der dritte «Blech-Polizist» werden, der die Schweizer Polizeikorps bei der Jagd nach fehlerbaren Autofahrenden unterstützt. Der Name verrät es, er soll zu laute Fahrzeuge identifizieren, die Behörden gegen die Verursacherinnen oder Verursacher des Lärms vorgehen können.

STREETLIFE hat bei den zuständigen Stellen nachgefragt, wie weit die Anschaffung solcher Geräte fortgeschritten ist. Die Umfrage zeigt: In der Deutschschweiz ist noch kein solcher Lärmblitzer fix in Betrieb. Das bestätigen die Kantonspolizeien Aargau, Basel-Stadt, Bern, St. Gallen und Zürich sowie die Stadtpolizei Zürich auf Anfrage

Politischer Druck

Doch der politische Druck aus den Kantonen steigt. Ein Blick ins Ratsgeschehen der kantonalen Parlamente zeigt: Bei den Wahlen 2019 war der Verkehrslärm eines der wichtigen Wahlkampfthemen. Neben Anfragen in Form von Interpellationen wie im Kanton St. Gallen, gab es in Aargau, Basel-Stadt, Bern und Zürich politische Vorstösse, welche die Regierung dazu aufforderten, die Anschaffung von Lärmblitzern zu prüfen. 

Bis jetzt hatte keiner dieser Vorstösse eine Chance: Alle wurden von den kantonalen Parlamenten abgelehnt. Der Grund: Es fehlen die gesetzlichen Grundlagen für Lärmmessungen, die im eidgenössischen Strassenverkehrsgesetz SVG festgelegt werden müssen. Die Einführung der Lärmblitzer ist damit Sache des Bundes und nicht der Kantone.

Erfolgreicher Vorstoss auf Bundesebene

Und Bundesbern macht ernst. Die Kommission für Umwelt, Raumplanung und Energie des Nationalrates (UREK-N) forderte bereits 2021 in einer Motion ein Massnahmenpaket gegen übermässigen Motorenlärm, inklusive schärferer Strafen. Ein Vorstoss, der durch den National- wie auch Ständerat angenommen wurde. Erste Massnahmen wurden durch den Bundesrat erarbeitet, so sollen die Ordnungsbussenverordnung um Lärmtatbestände erweitert werden, damit diese leichter mit Geldstrafen geahndet werden können. Die Vernehmlassung dazu wurde im März abgeschlossen und die Auswertung läuft. Mit einem Gesetzesentwurf zuhanden von National- und Ständerat ist etwa in einem Jahr zu rechnen.

Aargauer Lärm Taskforce

Dass in Sachen Lärmschutz aus den Kantonen politischer Druck aufgebaut wird, kommt nicht von ungefähr. Polizei und Justiz nennen die negativ auffallenden Autoposer, die mit ihren teils illegal geänderten Fahrzeugen und hohen Motorendrehzahlen für Lärm sorgen, als Auslöser.

So war im Kanton Aargau das Problem im Corona-Frühling 2020 so schlimm, dass die Kantonspolizei eine Taskforce dagegen gründete. Der Aargauer Polizeisprecher Bernhard Graser erklärt: «Den Angehörigen der Kantonspolizei und der Regionalpolizeien wurde das Wissen vermittelt, um Anzeichen für rechtswidrige technische Manipulationen zu erkennen. Inzwischen haben wir mehrere hundert abgeänderte Autos vorübergehend sichergestellt, einer vertieften technischen Überprüfung unterzogen und die Halter verzeigt.» Diese Massnahmen hätten Wirkung gezeigt.

Aktuelle Lärmverfolgung ist personalintensiv

Ein anderes Mittel sind gezielte technische Kontrollen, verrät Graser und gibt einen Einblick: «Weil Geschwindigkeit und Lärm einhergehen, führen wir auf den einschlägig bekannten Ausserortsstrecken selektive Geschwindigkeitskontrollen mit Lasermessgeräten durch. Im Fokus stehen dabei ausschliesslich jene Autos und Motorräder, die so schnell fahren, dass die Geschwindigkeitsüberschreitung einem groben Verkehrsdelikt entspricht und somit einen Führerausweisentzug nach sich zieht.» Diese Kontrollen bräuchten aber sehr viel Personal, wissen auch weitere Polizeikorps zu berichten.

Lärmblitzer sorgt für hohe Kontrolldichte

Mit den heutigen Mitteln sind den Korps Grenzen gesetzt, sagt der Mediensprecher der Kantonspolizei Basel-Stadt, Stefan Schmitt: «Mittelfristig braucht es für eine nachhaltige Lösung vor allem eine Anpassung der Gesetzgebung, damit die Polizei die Problematik mit vertretbarem Aufwand angehen kann und die Wirkung der Massnahmen längerfristig ist.» Zudem wünscht er sich technische Mittel zur Unterstützung wie einen Lärmblitzer. «Ziel muss es sein, mit technischen Mitteln eine so hohe Kontrolldichte bzw. Kontrollerwartung schaffen zu können, dass die Überwachung mehrerer Örtlichkeiten über einen längeren Zeitraum mit den heutigen personellen Ressourcen möglich wird.» 

So wird heute kontrolliert

Sobald der Verdacht besteht, dass ein Fahrzeug grundsätzlich zu laut ist, beispielsweise weil es umgebaut wurde, müssen Experten vom Strassenverkehrsamt hinzugezogen werden. «Diese führen bei Verdachtsfällen rechtsgültige Lärmmessungen durch», erklärt der St. Galler Polizeisprecher Pascal Häderli. Erst wenn diese bestätigen, dass die für diesen Fahrzeugtyp bei der Zulassung in einem bestimmten Labortest erlaubte Lautstärke überschritten wird, können heute Haltenden angezeigt und ihre Fahrzeuge aus dem Verkehr gezogen werden.  Wer durch sein Fahrverhalten unnötigen Lärm verursacht, beispielsweise weil die Person ziellos herumfährt oder den Motor ihres Fahrzeugs aufheulen lässt, kann heute verzeigt werden.

Die Grenzen des Lärmblitzer

Teil dieses Vorstosses ist auch die Machbarkeit von Lärmblitzern zu eruieren. Hierzu startete das Bundesamt für Umwelt BAFU zusammen mit dem Kanton Genf diesen Sommer einen Pilotversuch. Noch äusseren sich die beiden Stellen nicht dazu, wie dieser Test verlaufen ist. Die Resultate sollen im ersten Quartal 2024 bekannt gegeben werden, erklärte eine BAFU-Sprecherin auf Anfrage von STREETLIFE.

Eine der grossen Herausforderungen ist die Festlegung des Grenzwertes, ab wann der Lärmblitzer auslösen soll und ein Automobilist entsprechend gebüsst werden kann. Denn die Lärmvorschriften sind mit der Zeit immer schärfer geworden. Ein heutiger Neuwagen darf im Betrieb weniger Lärm verursachen als ein zehn Jahre altes Fahrzeug. Dieses muss den Grenzwert erfüllen, der bei seiner Zulassung gesetzlich vorgeschrieben war und nicht die heutigen schärferen Richtlinien. Deshalb geht es bei dem Pilotversuch in Genf nicht nur darum, wie der Blitzer funktioniert, sondern auch darum, wie die Fahrenden von älteren Fahrzeugen oder gar Oldtimern vor einer ungerechtfertigten Busse geschützt werden können. Und dass die wahren Lärmenden trotzdem erwischt und gebüsst werden können.

Erst wann dies geklärt ist, können Vorschriften erlassen werden, die dann in den politischen Prozess gehen. Bis die gesetzlichen Grundlagen für Lärmblitzer geschaffen sind, dürfte es noch ein paar Jahre.

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