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Motorsport •
Rallye-Legende Sébastien Loeb

«Ich musste lernen, mich am Steuer zu zügeln und langsamer zu fahren»

Die Schweiz ist ein beliebter Rückzugsort für Weltklasse-Rennfahrer. So lebt auch Sébastien Loeb, der Dominator des Rallye-Sports, am Genfersee. STREETLIFE traf den 51-jährigen Franzosen zum Interview und sprach mit dem neunfachen Weltmeister über die nächsten Herausforderungen hinter dem Steuer.

Sébastien, du dominierst den Rallye-Sport seit Jahren. Trägst deshalb den Spitznamen «Le Patron». Ist ein Weltklasse-Rennfahrer aber auch ein guter Autofahrer auf öffentlichen Strassen?

Das ist schwierig zu vergleichen. Ich bin es gewohnt zu sliden, zu driften und das Auto zu kontrollieren. Aber das sollte man im Strassenverkehr nicht tun. Ich glaube nicht, dass ich etwas im Alltag brauche, was ich im Rallye-Sport gelernt habe.

Vielleicht die Geduld, die es in der Rallye Dakar braucht, um auch mal langsamer zu fahren?

Auch wenn ich für die Dakar gelernt habe, geduldig zu sein, gefällt es mir nicht im Stau zu stehen. (lacht)

Ist also schwierig, sich an die Geschwindigkeitsbegrenzungen zu halten?

Nein. Manche mögen Probleme damit haben, aber ich nicht. Ich habe die Möglichkeit schnell zu fahren. Wenn es nicht in einer Langstrecken-Rallye ist, fahre ich regionale Rallyes oder gehe mit meiner Frau auf eine Rennstrecke. Auf der Strasse nutze ich das Auto nur, um von A nach B zu fahren.

Also keine Bussen für Sébastien Loeb?

Ah… Die Schweiz ist da sehr streng. Sagen wir, ich bin sehr vorsichtig, weil ich meinen Führerschein brauche.

Sébastien Loeb

Die Rallye-Legende ist Ex-Kunstturner und Schulabbrecher. Im Alter von 21 Jahren schliesst er eine Ausbildung zum Elektrotechniker ab und kauft sich mit seinem Lohn einen Renault 5 Turbo. Damit bestreitet er erste Rallyes und arbeitet sich durch die Klassen in die Rallye-Weltmeisterschaft WRC hoch, in welcher er ab 1999 mit 25 Jahren startete. 5 Jahre später holt er sich den ersten Weltmeistertitel und gewinnt die nächsten neun Jahre die WRC. Er ist damit der erfolgreichste WRC-Fahrer aller Zeiten. Nach seinem neunten Titel nahm «Super Séb» nur noch an einzelnen Rallyes teil und fuhr sporadisch Rundstreckenrennen. Beim 24-Stunden-Rennen von Le Mans belegte er 2006 wurde er Zweiter. Seit 2016 startet er an der Langstrecken-Rallye Dakar, wurde zweimal Dritter (2019, 2024) und dreimal Zweiter (2017, 2022, 2023).

Du hast dich im März 2024 dem Dakar-Team von Dacia angeschlossen. Wie fühlst du dich in deinem neuen Team?

Ich bin glücklich – auch wenn das Resultat bei der diesjährigen Dakar noch nicht das war, was wir uns vorgestellt haben. (Loeb wurde die Weiterfahrt nach einem Überschlag untersagt, weil das Fahrzeug nicht mehr dem Reglement entsprach, Anm. d. Red.) 
Aber wir hatten auch ein neues Auto, das sorgt immer für ein paar Probleme. Und ja, ich machte einen Fehler. Jetzt fahren wir nach der Sommerpause die nächste Rallye in Portugal, bevor das Saisonfinale in Marokko kommt. Ich hoffe auf ein gutes Resultat, um für die nächste Rallye Dakar Anfang des Jahres gut vorbereitet zu sein.

Und du hast dich in Südafrika mit einem guten Resultat in die Sommerpause verabschiedet.

Ja, ich wurde Zweiter. Ich kämpfe mit dem südafrikanischen Fahrer Henk Letgan bis zur letzten Etappe um den Sieg.

Wie ist dein Eindruck vom Auto, dem Dacia Sandrider?

Es ist ein Siegerauto. Klar, wegen der Regeln sind alle Autos sehr ähnlich: Aufhängung, Länge, Breite, Motor, Gewicht – alles ist vorgegeben. Bei der Leistung gibt es deshalb keine grossen Unterschiede. Aber ich konnte meine Erfahrungen aus dem letzten Team und dem dortigen Rennwagen – dem Prodrive Hunter – in die Entwicklung unseres Sandriders einbringen. Wir versuchten alle Details zu optimieren und jetzt haben wir ein richtig gutes Auto. Es ist zuverlässiger, übersichtlicher und agiler. Trotzdem wird es ein harter Kampf, denn die anderen Teams arbeiten ebenso intensiv an ihren Fahrzeugen.

Dacia-Boss Denis Le Vot, sagte: Dacia wird Dakar gewinnen. Hat er recht?

Das hoffe ich. Es wird meine achte Rallye Dakar. Ich war schon fünf Mal auf dem Podest, immer konkurrenzfähig und kämpfte immer in der Spitzengruppe. Für den Sieg hat allerdings bisher noch nie alles zusammengepasst. Aber wir treten im Januar wieder an, um zu gewinnen.

Die Rallye Dakar dauert zwei Wochen. Eine lange Zeit, in der auch Fehler passieren. Entscheiden hier Erfahrung und Können über Sieg und Niederlage?

Wenn du nicht zu weit zurückgefallen bist, ja, dann kannst du einen Unterschied machen. Kleine Patzer wie ein Navigationsfehler oder eine Reifenpanne von drei oder fünf Minuten kann man aufholen. Eine Stunde ist allerdings zu lang, um es wiedergutmachen zu können. Die Konkurrenz ist enorm und die Dakar wird immer mehr zu einem Sprintrennen. Die besten Fahrer liegen immer enger zusammen. Der Sieger fährt nicht mehr mit einem Vorsprung von fünf Stunden über die Ziellinie. Heutzutage trennen die Verfolger nur noch Minuten oder gar Sekunden vom Sieger.

Du bist zuerst in der Rallye-Weltmeisterschaft WRC gestartet und hast dann zu den Langstrecken-Rallyes gewechselt. Was ist der Unterschied zwischen den zwei Meisterschaften?

In der WRC sind die Autos leichter und agiler, die Rennen kürzer. In der Rallye Dakar fahre ich so viele Kilometer in einem Rennen wie in der WRC in der ganzen Saison. Der grösste Unterschied ist aber das Tempo. In der WRC bin ich viel schneller, weil ich jedes Details der Strecke kenne: jeden Sprung, jede Kurve, jeden Bremspunkt. Mit meinem Navigator zusammen inspiziere ich die Strecke vorab, danach fahren wir nach unseren eigenen Notizen. So weiss ich zum Beispiel genau: Zwanzig Meter hinter diesem Hügel kommt eine weite rechts Kurve und ich kann den Sprung entsprechend anfahren.

Und bei der Dakar?

Habe ich keine Ahnung, was hinter der Kuppe kommt, und fahre deshalb deutlich langsamer. Ich weiss zwar, wo ungefähr das Etappenziel liegt, den Weg dahin kenne ich aber nicht. Mein Navigator bekommt nur ein Roadbook, das uns sagt, wo wir in welche Richtung abbiegen müssen. Ich habe also keine Ahnung, was auf mich zukommt. In einem Moment fahre ich auf einer Strasse, im nächsten durch Sanddünen und gleich darauf über Felsen. Ich fahre auf Sicht, entdecke die Strecke unterwegs und muss improvisieren.

Rallye Dakar

Sie gilt als bedeutendste Langstrecken- und Wüstenrallye der Welt und fand 1978 zum ersten Mal statt. Damals startet sie in der französischen Hauptstadt Paris und endete in Dakar, der Hauptstadt Senegals. Bis 2007 fand die Rallye Dakar immer über den Jahreswechsel auf dem afrikanischen Kontinent statt. 2008 wurde sie wegen einer Terrorwarnung abgesagt. Aus Sicherheitsgründen wurde das Langstreckenrennen von 2009 bis 2019 in Südamerika ausgetragen, seit 2020 findet es in Saudi-Arabien statt. Seit 2022 ist die Rallye Dakar Teil der neu gegründeten Langstrecken-Rallye-Weltmeisterschaft «World Rally-Raid Championship» W2RC. Sie besteht aus fünf Rennen, wobei die Rallye Dakar das erste Rennen der Saison ist.

Du musstest deinen Fahrstil also umstellen?

Ja, ich musste mich zügeln, um nicht zu schnell zu fahren. Die Herausforderung ist zu wissen, wann die Strecke frei ist und ich ans Limit gehen kann. Wann ich eher langsam fahren muss, um das Auto nicht zu beschädigen und wann die Verhältnisse etwas zwischen Vollgas und Kriechgang erfordern. Schnell kann ich aber immer noch. Ein Beispiel: Als ich zehn Jahre nach meinem WRC-Rücktritt 2022 wieder an der Rallye Monte Carlo an den Start ging, habe ich gewonnen. (lacht)

Ist das Alter im Rallye-Sport ein Faktor? Verändert sich der Fahrstil über die Jahre?

Nicht, dass ich wüsste. Ich würde gerne sagen, ich fahre sicherer, aber ich habe noch gleich viele Rennunfälle wie früher. Ich hatte nie viele Unfälle, aber manchmal passiert es eben und es geschieht immer noch.

Wie kommt es, dass du in der Schweiz lebst?

Als ich im Elsass wohnte, suchten wir etwas Ruhigeres und wir haben die Region um den Genfersee entdeckt. Für uns ist das perfekt mit dem See, um mit dem Boot hinauszufahren oder Radtouren zu machen. Und im Winter ist der Jura nicht weit zum Skifahren oder Langlaufen. Und wir sind nahe am Flughafen, das ist auch wichtig für mich.

Was schätzt du an der Schweiz?

Die Menschen in der Schweiz sind sehr respektvoll. Ich habe hier ein normales Leben. Wenn ich in den Supermarkt, ins Restaurant oder sonst irgendwohin gehe, sagen die Leute nur hallo und lassen mich dann in Ruhe. In Frankreich entsteht immer gleich ein grosser Tumult um meine Person. Für mich ist es der perfekte Ort zum Leben.

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