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«Ich bin enttäuscht, dass ich in der Formel 1 nicht mehr erreicht habe»
Sébastien Buemi gewann fünfmal die Langstrecken-Weltmeisterschaft und einmal die Formel E. Mit zusätzlich vier Siegen beim legendären 24-Stunden-Rennen von Le Mans ist er der erfolgreichste Schweizer Rennfahrer. Mit STREETLIFE spricht Buemi über seinen schlechten Saisonstart, seine Zeit in der Formel 1 und wie wichtig die Familie für ihn ist.
Nur ein Podestplatz und ein weiterer Punktrang in sieben Rennen ist zu wenig für einen mehrfachen Weltmeister. Der Saisonstart in der Formel E ist Sébastien Buemi nicht geglückt. Entsprechend gibt es viel Arbeit zwischen den Rennen. Denn Buemi fährt nicht nur in der Formel E, sondern auch in der Langstrecken-Weltmeisterschaft WEC. Dieses Wochenende steht das 6-Stunden-Rennen in Imola auf dem Programm, bevor es in einer Woche Monte Carlo wieder ins Formel-E-Cockpit geht. Trotz dieses dichten Zeitplans findet er diese Woche während Trainings im Toyota-Simulator am Team-Sitz in Köln D Zeit für ein Interview.
Sébastien, kommst du direkt aus dem Simulator?
Noch nicht. Wir sind leider drei Fahrer, die für die Tests eingeplant sind. Direkt nach dem Interview werde ich in den Simulator springen und bis um 7 Uhr abends durchfahren. Dann fliege ich am nächsten Morgen nach Hause in die Schweiz und fahre noch am gleichen Tag nach Imola.
Warst du noch zu Hause nach dem Formel-E-Wochenende in Misano?
Ja, gestern war ich kurz daheim und heute in der Früh bin ich gleich nach Köln geflogen. Ich kann nur am Nachmittag im Simulator trainieren. Aber ich kenne die Strecke in Imola, also sollte das es kein Problem darstellen und ausreichend sein.
Ich bin stolz, was ich erreicht habe.
Mit dem bisherigen Verlauf der Saison kannst du nicht zufrieden sein.
Das stimmt. In der WEC hatten wir zwar erst ein Rennen in Qatar, aber wir hatten mehr erwartet als ein achter Platz. Doch die Saison ist noch lang. Wir werden dieses Wochenende sehen, wo wir stehen. Die WEC wird uns bei der BOP (Balance of Performance, Abstimmungsvorgaben wie beispielsweise Zusatzgewicht sollen die Leistung der Rennwagen angleichen, Anm. d. Red.) andere Auflagen machen. Diese sollten besser für uns sein.
Von den bisherigen Resultaten in der Formen E bin ich enttäuscht. Wir haben sehr gut angefangen mit einem zweiten Platz in Mexiko, aber seither ist es nicht so gut gelaufen. Wir haben auch ein bisschen Pech gehabt, aber im Endeffekt waren wir schlicht nicht schnell genug. Daran müssen wir arbeiten.
Wie läuft es mit der Fehlersuche?
Wir hatten nach Mexiko ein bisschen Zeit und versucht, das Auto mit Software-Updates zu verbessern. Diese Änderungen haben nicht funktioniert und dann reichen die zwei Trainings von je 30 Minuten vor dem Rennen nicht, um herauszufinden, was nicht funktioniert. Trotzdem willst du auch nicht gleich alles über den Haufen werfen und das hat uns dann Leistung gekostet. Im letzten Rennen in Misano kam dann noch Pech dazu. So war ich am Samstag gut unterwegs, bis ich ein Problem mit der Batterie hatte. Und am Sonntag hat mich dann noch ein anderer angerempelt und mir den Frontflügel abgefahren.
Mit der WEC und der Formel E startest du in zwei sehr unterschiedlich: die WEC hat lange Rennen, während die Formel E auf kurze Sprints ausgelegt ist. Wie schwer fällt dir der Wechsel zwischen den Serien?
Mittlerweile ist das ziemlich einfach. Ich mache das seit zehn Jahren und fühle mich in beiden Autos wohl. Vor allem bei Toyota: Da ist am Lenkrad und im Cockpit seit Jahren alles gleich. Ich brauch keine drei bis fünf Runden mehr, um mich an die Autos zu gewöhnen. Klar, beiden Rennwagen sind unterschiedlich, reagieren anders und ich sitze nicht gleich, aber für mich ist das kein Problem mehr. Die Logistik, beide Rennserien unter den Hut zu bringen, ist das grössere Problem. Ich muss viel fliegen und das ist nicht immer einfach. Aber Auto zu fahren und schnell zu sein, ist für mich einfach.
Manchmal klappt das nicht mit der Logistik. Du verpasst dieses Jahr zwei Formel-E-Rennen wegen Terminüberschneidungen mit der WEC. Wie entscheidest du dich für eine Rennserie?
Das ist schlussendlich nicht meine Entscheidung, sondern wird durch meine Verträge geregelt. Deshalb war immer klar, dass ich in erster Linie WEC für Toyota fahre. Leider kann ich da nichts machen und muss damit leben, aber ich finde es schade, dass ich nicht alle Rennen fahren kann.
Als Folge davon und wegen des schwierigen Saisonstarts dürfte der Weltmeistertitel in der Formel E dieses Jahr kein Thema sein. Was sind deine Ziele?
Ich muss realistisch sein. In den letzten Rennen waren wir nicht einmal schnell genug, um überhaupt ein Rennen zu gewinnen. Deshalb will ich vor allem wieder gute Leistungen sehen, regelmässig in die Punkte fahren und vorne mitkämpfen. Toll wäre es, wie in Mexiko wieder aufs Podest zu fahren und dann vielleicht auch wieder mal ganz oben auf dem Treppchen zu stehen. Dafür werde ich bis zum Saisonfinale in London alles geben.
Nach einem schlechten Rennen motivieren mich meine Kinder wieder.
In der WEC muss aber schon die Titelverteidigung das Ziel sein.
Ja, das ist auch allen im Team klar. Wir wollen den Sieg in Le Mans holen und die Meisterschaft gewinnen. In Qatar ist es zwar nicht wie gewünscht gelaufen, aber wir haben jetzt noch sieben Rennen, wobei Le Mans als Doppelrennen zählt. Es ist also noch alles offen und wir werden alles geben. Gerade mit Toyota will ich gewinnen. Mit dem Team verstehe ich mich super. Sie geben mir alles, was ich brauche und dafür will ich mich mit guten Resultaten revanchieren.
Du bist einer der erfolgreichsten Schweizer Rennfahrer. Ist dir das bewusst?
Wenn man die Resultate anschaut, ja. Obwohl, es macht keinen Unterschied. Ich will so viel wie möglich gewinnen! Natürlich bin ich stolz darauf, was ich erreicht habe. Aber mein Ziel ist immer das nächste Rennen zu gewinnen.
Deine Erfolge gehen im Schatten der Formel 1 etwas unter. Dort standest du während drei Saisons bei Torro Rosso unter Vertrag. Wie schaust du heute darauf zurück?
Ich denke oft darüber nach und bin enttäuscht, dass ich nicht mehr erreicht habe in der Formel 1. Aber ich kann das nicht mehr ändern. Ich kann mich nur auf meinen Job konzentrieren: WEC und Formel E.
Verglichen mit Lewis Hamilton und Fernando Alonso könntest du noch lange Formel 1 fahren. Wäre ein Wechsel jetzt noch eine Möglichkeit oder hast du damit abgeschlossen?
(Zögert) Jaah.... Ich glaube, dass es für mich keine richtige Möglichkeit mehr gibt, in der Formel 1 zurückzukehren. Für Red Bull bin ich zwar noch im Simulator unterwegs, aber in einem Rennauto zu sitzen, ist leider nicht mehr möglich. Ich habe damit abgeschlossen und bin zufrieden, WEC mit Toyota fahren zu dürfen. Das ist ein Top-Team
Nach dieser Saison bist du 36 Jahre alt. Machst du dir schon Gedanken über die Zukunft nach dem aktiven Motorsport?
Moment (lacht): Ich bin die ganze Saison 35. Um meine Zukunft mache ich mir keine Gedanken. Wenn meine aktive Zeit vorbei ist, werde ich mehr zu Hause sein und Spass mit meinen drei Kindern haben. Das wird cool sein.
Ohne meine Familie geht ohnehin nichts. Sie sind der Grundstein meines Erfolges. Meine Kinder schauen alle Rennen und natürlich hilft meine Frau sehr. Sie hält zu Hause alles zusammen. Ich bin sehr glücklich und dankbar für meine Familie, weil ohne diese Unterstützung wäre das nicht möglich – gerade nach einem schwierigen Wochenende wie in Misano. Dann fahre ich nach Hause und verbringe Zeit mit meinen Kindern. Meine Familie hilft mir dann, mich wieder voll zu konzentrieren. Sie motivieren mich für das nächste Rennen. Natürlich sind drei Kinder viel Arbeit, aber sie geben mir auch sehr viel zurück!
Ich freue mich wirklich sehr darauf, mehr Zeit mit ihnen verbringen zu können. Aber noch nicht jetzt. Im Moment will ich noch so lange wie möglich im Cockpit sitzen und Siege herausfahren.
Sébastien Buemi: Biografie
Der schweizerisch-italienische Doppelbürger Sébastien Buemi kommt am 31. Oktober 1988 in Aigle VD zur Welt. Im Alter von sechs Jahren bestreitet er 1994 sein erstes Kartrennen. Nach dem Vize-Weltmeistertitel 2005 in der Formel BMW nimmt Red Bull den Waadtländer in sein Förderprogramm auf. Buemi durchläuft die Nachwuchsserien Formel 3 sowie GP2 und steigt 2009 bei Red Bulls Nachwuchsteam Torro Rosso in die Formel 1 ein. In drei Saisons bestreitet er 55 Rennen und holte 29 WM-Punkte. Nachdem Torro Rosso seinen Vertrag nicht verlängert, wechselt er 2012 als Toyota-Werksfahrer in die Langstrecken-Weltmeisterschaft WEC. Seit 2014 fährt er zudem in der elektrischen Formel E. In beiden Meisterschaften gehört er zu den Top-Piloten und unterstreicht dies mit insgesamt sechs Weltmeistertiteln, fünfmal WEC (2014, 2018, 2019, 2022 und 2023) und einmal Formel E (2016). Buemi hat mit seiner Frau Jennifer drei Söhne, die Familie wohnt im Kanton Waadt.
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