Werbung
«Gibs zu, ihr wollt das Auto aus der Stadt haben»
«Miteinander oder gegeneinander?», fragte Auto-Schweiz gestern Abend im Zürcher Glockenhof – und die Podiumsgäste lieferten sich einen hitzigen Schlagabtausch über die Zukunft der Schweizer Mobilität. STREETLIFE war vor Ort.
Die Schweizer Verkehrspolitik steht an einem Wendepunkt. Überlastete Strassen, zunehmende Pendlerströme, städtische Staus und steigende Anforderungen an die Infrastruktur bringen das System an seine Grenzen. Die jüngste Ablehnung des Autobahnausbaus hat den Druck zusätzlich erhöht. Viele Strassenprojekte stehen auf der Kippe, während gleichzeitig Milliarden in den öffentlichen Verkehr und die Schiene fliessen. Damit wächst die zentrale Frage: Wer bezahlt die Mobilität der Zukunft? Und wie lassen sich die Interessen von Auto, Velo, ÖV und Güterverkehr in Einklang bringen?
In diesem Spannungsfeld lud Auto-Schweiz gestern Abend zu einem prominent besetzten Polit-Podium im Zürcher Glockenhof. Zum Auftakt sprach Präsident Peter Grünenfelder, der ein «Miteinander im Verkehr» forderte: Nur wenn Auto, Velo und ÖV zusammenspielten, könne die Schweiz mobil bleiben. Grünenfelder lobte Bundesrat Albert Rösti für dessen Projekt «Verkehr 45», das die künftige Finanzierung und Priorisierung der Verkehrsinfrastruktur sichern soll.
Rösti zum Bremseffekt seiner E-Steuer: «Ja, die Gefahr besteht»
Rösti selbst griff diesen Gedanken in seiner Keynote auf, mit einem Hauch Realismus: «Miteinander statt gegeneinander – das ist einfacher gesagt als getan.» Mit «Verkehr 45» wolle der Bundesrat klären, welche Projekte auf Strasse und Schiene künftig umgesetzt werden können, angesichts knapper Budgets und wachsender Mobilitätsbedürfnisse. Das Nein zum Autobahnausbau sei kein generelles Baustopp-Signal auf Nationalstrassen, betonte er. Es sei vielmehr Anlass, Prioritäten neu zu setzen.
«Jeder Verkehrsteilnehmer hat seine Berechtigung», betonte Rösti. Zwar werde derzeit deutlich mehr Geld in den Bahnverkehr investiert als in die Strasse, doch auch das Autobahnnetz brauche Investitionen, um dem wachsenden Verkehr gerecht zu werden.
Und dann sprach er das heikle Thema an, das viele im Saal beschäftigte: die geplante Steuer auf Elektrofahrzeuge ab 2030. Rösti schmunzelte: «Niemand verkündet gern neue Steuern – schon gar nicht ein SVP-Politiker.» Doch das Ziel sei klar: die gute Infrastruktur der Schweiz langfristig zu erhalten. Auf die Frage, ob diese Steuer die E-Mobilität abwürgen könne, antwortete er ehrlich: «Ich hoffe es nicht. Aber ja – die Gefahr besteht.»
Zürich im Brennglas der Mobilität
Nach diesen einleitenden Worten verlagerte sich die Debatte mit dem Podiumsgespräch auf Zürich – das Brennglas jener Konflikte, die die ganze Schweiz beschäftigen: Ökologie versus Ökonomie, Stadt versus Land, Velo versus Auto. Simone Brander (SP) und Marionna Schlatter (Grüne) präsentierten ihre Vision einer neuen Mobilität, während Mauro Tuena (SVP) und Përparim Avdili (FDP) die Interessen der Autofahrer, der Wirtschaft und des Gewerbes verteidigten. Tina Deplazes (Die Mitte) versuchte derweil, als Stimme der Vernunft Brücken zu schlagen.
Tuena legte gleich zu Beginn des Schlagabtauschs furios los: «Wenn Velostreifen in Zürich breiter sind als Strassen für Autos, leidet mein Verstand.» Die wachsende Zahl an Fahrzeugen sei auch eine Folge der Zuwanderung, sagte er – und griff «Velo-Turbo» Simone Brander (SP) frontal an: «Eure Pläne gehen immer auf Kosten der Autofahrer. Die interessieren euch null. Gibs zu, ihr wollt die Autos aus der Stadt raushaben.» Brander blieb sachlich und versuchte, den Ton zu dämpfen – was angesichts der emotionalen Zuspitzung keine leichte Aufgabe war.
Zumal Tuena nachlegte: Die 30er-Zonen in der Stadt bremsten nicht nur Autos, sondern auch den ÖV. «Das 13er-Tram in Zürich muss hinter Autos herschleichen, weil es in einer Mischzone fährt», polterte er. Aber auch Avdili mahnte zur Mässigung und plädierte für pragmatische Lösungen: «Zurzeit wird Velopolitik mit der Brechstange gemacht. Geld ist da, man gibt es aus – aber es braucht smarte, praxisorientierte Ansätze, nicht einfach überall Velos.»
In der Höhle des Löwen
Der Gegenseite war anzurechnen, dass sie sich überhaupt in die Höhle des Löwen – ein klar bürgerlich dominiertes Podium – wagte. Und dort schlugen sich die Vertreterinnen von SP und Grünen durchaus wacker. Marionna Schlatter (Grüne) sah in der Ablehnung des Autobahnausbaus ein deutliches Signal der Bevölkerung: «Das Volk will weniger Autos, mehr ÖV, mehr Velos, mehr Platz für Fussgänger.» Und Simone Brander nahm den Spott über angeblich allmächtige Velos gelassen: «Ja, wir wollen den Autoverkehr In Zürich um 30 Prozent reduzieren. Aber selbstverständlich soll man weiterhin überall hinkommen.»
Sie verwies auf die Klimaziele und den Auftrag, Zürich fit für die Zukunft zu machen – mit einem modernen, emissionsarmen Verkehrssystem. Deplazes brachte schliesslich eine vermittelnde Idee ein: Man könne durchaus darüber nachdenken, ob auch Velofahrende einen Beitrag an die Infrastrukturkosten leisten sollten. Diesen Steilpass liess Tuena nicht ungenutzt: «Natürlich sollen Velos auch zahlen – sie leisten aktuell null Franken an die Infrastruktur.»
Wenn der Peterli nicht mehr ankommt
Gegen Ende der Diskussion verlagerte sich der Fokus vom Personen- auf den Güterverkehr – jenen Teil der Mobilität, der in der öffentlichen Debatte oft untergeht. Ein Zuhörer aus der Verkehrskommission der Stadt Zürich erinnerte daran, dass Mobilität mehr ist als Pendler und Velos: «Auch der Güterverkehr muss rollen, sonst steht die Stadt still.» Përparim Avdili griff den Punkt auf: «Das ist zentral – Mobilität bedeutet nicht nur Personenverkehr. Es geht auch darum, dass Waren ihren Weg finden. Wir brauchen Lösungen, die für alle funktionieren.»
Tuena legte gewohnt pointiert nach: «Man darf nicht vergessen, dass am Limmatplatz keine Schienen liegen.» Und dann, mit einem Seitenhieb in Richtung Simone Brander: «Wenn du irgendwann keinen frischen Peterli mehr geliefert bekommst, will ich dich dann sehen.» Das Publikum lachte, doch Brander konterte gelassen: «Keine Sorge – auch das Gewerbe ist Teil unserer Planung.» Und Marionna Schlatter pflichtete bei: «Klar, Feinverteilung geht nicht über die Schiene. Das wissen sogar die Grünen.»
Am Ende ein leiser Konsens
Nach einer intensiven Debatte im Glockenhof blieb die Erkenntnis, dass an diesem Abend keine grossen Lösungen gefunden wurden – aber immerhin ein gemeinsamer Nenner: Mobilität ist kein Entweder-Oder. Bundesrat Rösti hatte es zu Beginn auf den Punkt gebracht: Jeder Verkehrsträger hat seine Berechtigung. Dieses Prinzip setzte sich am Ende leise durch – aller ideologischen Gräben zum Trotz.

Hast du etwas beobachtet?
Werbung