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Aellig gegen Bartholdi

Der Hyundai Ioniq 5 N im Test – Fun oder Fake?

Liebhaber der rasanten Beschleunigung feiern den koreanischen Elektro-Brutalo Hyundai Ioniq 5 N. Kritiker nörgeln am virtuell simulierten Achtgang-Doppelkupplungsgetriebe herum.

Unzählige Car-Influencer überfluten YouTube mit ihren Videos über den Hyundai Ioniq 5 N. Und die Kultsendung «TopGear» kührte Hyundais neuen Elektro-Brutalo zum «Auto des Jahres 2023». Hyundai selbst definiert den Ioniq 5 N als «Hochleistungs-Elektroauto mit erhöhter Rennstreckentauglichkeit». Elektroautos mit wahnwitzigem Drehmoment und synthetisch generiertem Sound gibt es aktuell viele. Aber keiner sorgt für mehr Furore als der Ioniq 5 N mit seinem imitierten Achtgang-Doppelkupplungsgetriebe. Tatsächlich lassen sich die Schaltvorgänge dank Steuerung des Motordrehmoments erleben, als würden wir einen Benziner – und kein Elektroauto – fahren.

Coole Designsprache

Aellig: Der erste optische Eindruck ist der wichtigste. Beim Anblick des Hyundai Ioniq 5 N fallen seine reduzierten, klaren Linien auf. Das Design des koreanischen Strombolidens erinnert ein wenig an den VW Golf 1 aus den 70er-Jahren. Die minimalistische Designsprache wirkt modern. Auch das Lichtdesign, welches vorne und hinten auf einem Raster aus LED-Quadraten basiert, strahlt pure Avantgarde aus. Innen konzentrieren sich die Koreaner ebenfalls auf coole Reduktion. Negativ beurteile ich die Proportionen des 5 N: Mit seinen unendlichen 4,77 Zentimetern wirkt er sperrig langgezogen. STREETLIFE-Kollege Bartholdi steht auf Autos mit rundlichen Formen.

Pentti Aellig

Schon als Kind begeisterte ich mich für Autos. Mit 12 fuhr ich (unerlaubterweise) bereits mit dem elterlichen Citroën 2CV herum. Mit 15 reiste ich alleine an ein Formel-1-Rennen in Monza. Und mit 22 kaufte ich mir einen Peugeot 205 GTI. Die Liebe zu dynamischen Hot Hatches ist geblieben: Als jahrelanger Porsche 911-Fahrer bin ich im Zeitalter der Klimaproteste auf einen unauffälligen Toyota GR Yaris umgestiegen. Die vielen neu erscheinenden Steckerautos verfolge ich neugierig, aber die Entwicklung ökologisch verbesserter Verbrennermotoren schreibe ich noch nicht ab.

Bartholdi: Ich frage mich, ob dieser falsche Motoren-Sound auch einen Filter auf die Augen meines Kollegen Aelligs gelegt hat. Wo er bei diesen Sicken, Finnen und Spoilern ein minimalistisches Design sieht, erschliesst sich mir nicht. In Anbetracht des Schlundes von einer Kühleröffnung in der Front und den ausgestellten Radhäusern mit Lüftungsöffnungen kann ich bei Aelligs Worten zum Design nur Lachen. Versteht mich nicht falsch: Ich finde den Ioniq 5 N optisch sehr gelungen. Genau so stelle ich mir einen Hot-Hatch vor: selbstbewusster, breiter und wuchtiger als die Normalversion des Ioniq 5. Eben alles andere als minimalistisch. Auch das Cockpit ist mit den vier zusätzlichen Knöpfen am Lenkrad für Sportmodi nicht wirklich reduziert. Auch hier, ich mag diese Knöpfe. Ich kann, ohne die Hände vom Lenkrad zu nehmen, den Fahrmodus wechseln. Ich schüttele nur ab Aelligs Wahrnehmung ungläubig den Kopf.

Der perfekte Fake?

Aellig: Wer im Ioniq 5 N den N-Modus-Knopf drückt, will den perfekt simulierten Fahrspass. Plötzlich wird aus dem Elektroauto ein brutale 650 PS-Fahrmaschine mit künstlich inszeniertem Achtgang-Doppelkupplungsgetriebe – ein Fake, welcher mich auf Anhieb begeistert. Der 5 N gaukelt künstliche Schaltvorgänge in einer solch hohen Perfektion vor, dass man in der Hitze des Fahrgefechts sogar als Petrolhead vergisst, dass man in einem Elektroauto sitzt. Auch der kurze Zugunterbruch beim Schalten wird inszeniert. Zwischengas, Zugunterbrechung, Auspuffbollern: der Wahnsinn. Der N-Modus hat Suchtpotential. Als ich aber im 5 N am Abend mit meiner Frau Richtung Kloster Rheinau zum Nachtessen fahre, fragt sie schon nach dem zweiten Kilometer, ob man das nervige Motorengeräusch auch ausschalten könne. Auch bei Kollege Bartholdi bin ich mir nicht sicher, ob er das koreanische Simulationswunder gebührend schätzt.

Martin A. Bartholdi

Mit dem Autofieber haben mich die Kult-TV-Serie «Knight Rider» und das Formel-1-Rennen in den Strassenschluchten von Monte Carlo infiziert. Noch heute zaubern mir US-Sportwagen mit langen Motorhauben wie der Ford Mustang und wendige Kurvenkratzer wie der Mazda MX-5 ein Lächeln ins Gesicht. Mit Kombis und vor allem SUVs kann ich allerdings nur wenig anfangen, dann doch lieber echte Geländewagen. Wohl die Schuld des Computerautos K.I.T.T. ist auch, dass ich gerne neue technische Spielereien ausprobiere, seien es Assistenten, Infotainment oder Vernetzung.

Bartholdi: Ich anerkenne die geniale Arbeit der Hyundai-Ingenieure, werter Kollege Aellig. Ich weiss nur nicht: Waren es Ton-Techniker oder Computer-Programmierer? Es macht Spass, über die Wippen am Lenkrad die Gänge zu wechseln, um dem Blubbern und Bollern zu lauschen. Aber es verliert auch schnell seinen Reiz. Denn der Fake-Sound macht nur Spass, wenn man effektiv schaltet, ansonsten ist es ein monotones und nervtötendes Summen. Kollege Aellig übersieht bei seiner Begeisterung auch ein grundlegendes Problem dieses Fahrzeugs: Wer auf Motoren-Sound steht, kauft kein Elektroauto. Und wer einen Stromer wählt, will auch alle Vorteile davon. Dazu gehört, keine störenden Motorengeräusche zu haben. Mal ganz abgesehen davon, dass sich die Person am Lenkrad selbst betrügt, indem sie sich vorgaukeln lässt, in einem Benziner zu sitzen. 

Unser Schlusswort

Aellig: Die 79’900 Franken für das Basismodell erscheinen auf den ersten Blick für einen Hot Hatch als hochpreisig. Aber der Hyundai Ioniq 5 N ist einerseits eine imposante Erscheinung. Und andererseits liefern seine beiden Elektromotoren mit 650 PS echte Sportwagenleistung. Beim Sprint von 0 auf 100 km/h in 3,4 Sekunden spürt man, wie das Hirn an die hintere Schädelwand drückt. Auch von 0 auf 200 in weniger als 8 Sekunden kommt kaum Langweile auf. Im Sportmodus fühlt sich das Fahrwerk hart an, im N-Modus sogar knochenhart. Auch positiv: die 800-Volt-Technik, welche in 18 Minuten die Akkus von 10 auf 80 Prozent füllt. Die Reichweite von gut 400 Kilometern sollten nicht nur für Como-Fan Bartholdi ausreichen, auch wenn für die Rückfahrt an den Rheinfall rund 160 Kilometer fehlen.

Bartholdi: Mir ist bewusst, dass ein Sportwagen weniger weit kommt als ein Familienkombi oder Aelligs Camper. Die Antriebsform ist dabei irrelevant, und ich lebe beim Ioniq 5 N gerne damit. Dafür gibt es die von Aellig zu Recht erwähnte schnelle Ladegeschwindigkeit der 800-Volt-Technik. Diese erklärt meiner Meinung nach auch den etwas stolzen Preis, denn es gibt diese Technik, mit Ausnahme von Schwestermarke Kia, bisher nur in höheren Preisklassen. Für den Fake-Sound werde ich mich aber nie erwärmen können. Für mich ist es eine unnötige Spielerei. Sie macht das Fahren zu einem Computerspiel und lenkt vom Wichtigsten ab: Was für eine tolle Fahr- und Spassmaschine der Ioniq 5 N ist. Hyundai hat das Basis-Modell nicht einfach mit mehr Power und ein paar cool aussehenden Anbauten versehen. Als N ist der Ioniq 5 ein fast gänzlich anderes Auto. Das zeigt sich beim deutlich grösseren Wendekreis. So wird aus dem vernunftgesteuerten Familien-Stromer ein Sportwagen, der Spass macht.

Hyundai Ioniq 5 N: Fakten

  • Motor: 2 Elektromotoren: Hinterachse 412 PS (303 kW), Vorderachse 238 PS (175 kW)
  • Systemleistung: 650 PS (478 kW), 770 Nm@1/min
  • Batterie: Brutto / Netto 84 / ca. 80 kWh = 448 km
  • Antrieb: 1-Gang-Automatik, simuliert 8 Gänge, 4x4
  • Fahrleistung: 0-100 km/h in 3,4 Sekunden, Höchstgeschwindigkeit 260 km/h
  • Verbrauch: Werk 21,2 kWh/100 km, 0 g CO2/km, Energieeffizienz B
  • Masse: Länge/Breite/Höhe: 4,72 m/ 1,94 m / 1,59 m
  • Laderaum: Kofferraum 480 l, kein vorderer Laderaum
  • Gewichte: Leergewicht 2305 Kilogramm, keine Anhänglast
  • Preis: ab 79'900 Fr. (Basis Ioniq 5 58 kWh «Origo», 170 PS, Front: ab 49’900 Fr.)

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