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Zürcher Obergericht

Rentner drängt Polizeiwagen ab: «Das ist ein Guguseli-Auto»

Bei Nebel und schlechter Sicht rast ein 61-jähriger Frührentner auf der A1 mit 150 km/h über die Autobahn. Dumm nur, dass er dabei ein ziviles Polizeifahrzeug überholt. Die Beamten aktivieren die Videokamera und nehmen die Verfolgung auf. Was dann passiert, beschäftigt am Freitag das Zürcher Obergericht.

Die verhängnisvolle Fahrt liegt schon etwas zurück. An einem Sonntag, Ende November 2021, ist der damals 61-jährige Frührentner auf der Autobahn von Zürich in Richtung St. Gallen unterwegs. Es ist neun Uhr morgens, die Witterung ist schlecht, draussen ist es kalt und nebelig.

Dass die Sicht nicht optimal ist, kümmert den Zürcher nur wenig, er drückt aufs Gaspedal und rast mit 150 Stundenkilometern über die Bahn. Zu seinem Pech überholt er dabei eine zivile Polizeistreife. Die Beamten der Kantonspolizei Zürich sind auf einer Kontrollfahrt und reagieren sofort. Sie aktivieren die Videokamera und nehmen die Verfolgung auf. 

Während der nächsten rund halben Stunde kommt es auf dieser Verfolgungsjagd zu kritischen Situationen, die im schlimmsten Fall zu einem schweren Verkehrsunfall hätten führen können. Am Schluss wird der Mann in einer Tiefgarage verhaftet.

Videomaterial ist Beweismittel

Heute, Freitag, muss sich der Frührentner für die ihm vorgeworfene skrupellose Fahrweise vor Gericht verantworten. Bereits zum zweiten Mal. Vom Schuldspruch der ersten Instanz, inklusive einer Freiheitsstrafe von 23 Monaten, will er nichts wissen, weshalb er in Berufung ging.

Doch der Reihe nach. Was genau wird dem Mann vorgeworfen? Der Blick in die Anklageschrift und in das Urteil des Bezirksgerichts Pfäffikon geben Aufschluss. Sie beziehen sich auf das Video, das die Fahrt des Mannes zeigt.

Und die hat es in sich. Nachdem der Mann an dem Polizeiauto vorbeigerast war, vollbringt er auf der Autobahn mehrere gefährliche Überholmanöver. Er wechselt über die dreispurige Fahrbahn, ohne den Blinker zu setzen, fährt anderen Autos knapp auf und zwingt andere Verkehrsteilnehmer abzubremsen.

Verkehrsteilnehmende mussten aufs Trottoir ausweichen

Bei Effretikon schliesslich verlässt er die Autobahn und folgt der Überlandstrasse in Richtung Pfäffikon ZH. Auch hier ist er viel zu schnell unterwegs – mit 120 statt der erlaubten 80 Stundenkilometer. Kurz vor Fehraltorf will die Polizei die Gefahr endlich stoppen. Zuerst versuchen die Beamten mit der Lichthupe und der Matrix «Stopp Polizei» auf sich aufmerksam zu machen, dann setzen sie zu einem Überholmanöver an, um den Skoda auszubremsen.

Doch der Frührentner denkt nicht daran anzuhalten, er lenkt seinen Wagen ebenfalls links auf die Gegenfahrbahn und drängt so das Polizeiauto ab. «Dadurch entstand eine erhöhte abstrakte Gefahr, dass das Polizeifahrzeug bzw. dessen lnsassen in einen Unfall verwickelt werden und an Leib und Leben Schaden nehmen konnten», schreibt die Staatsanwaltschaft See / Oberland in ihrer Anklageschrift. Und es bleibt kein Einzelfall: Insgesamt viermal verhindert der Beschuldigte ein Überholmanöver der Polizei. 

Wenig später wird es noch gefährlicher: Der Frührentner setzt selbst zu einem Überholmanöver an, als der Gegenverkehr bereits gefährlich nahe ist. Ein Frontalkollision kann nur verhindert werden, weil der Lenker des entgegenkommenden Fahrzeuges nach rechts aufs Trottoir ausweicht. Auch das überholte Fahrzeug fährt rechts ab der Strasse. Erst diese Lücke habe die Kollision verhindert, ist sich die Anklage sicher. 

Im Auto dahinter haben die Beamten zwischenzeitlich das Blaulicht auf dem Dach angebracht und das Signalhorn aktiviert. Spätestens jetzt ist das Fahrzeug deutlich als Polizeiwagen zu erkennen. Doch der 61-Jährige fährt weiter – bis nach Hause. Seelenruhig parkiert er seinen Wagen in der Tiefgarage. Dort wird er wenig später von den Polizisten verhaftet.

Polizeiauto nicht wahrgenommen

Die Anklagebehörde wirft dem Mann schwere Vergehen gegen das Strassenverkehrsgesetz vor. Sie hat ihn wegen qualifizierter grober Verkehrsregelverletzung und wegen mehrfacher grober Verletzung der Verkehrsregeln angeklagt. Darüber hinaus wegen Hinderung einer Amtshandlung.

Damit kommt der sogenannte Raserartikel 90 Abs. 3 des Strassenverkehrsgesetzes zum Zuge, der eine Mindeststrafe von 12 Monaten Gefängnis vorsieht. In diesem Fall aber nicht wegen des Tempolimits, sondern wegen der gefährlichen Überholmanöver.

So heisst es im Artikel: «Mit Freiheitsstrafe von einem bis zu vier Jahren wird bestraft, wer durch vorsätzliche Verletzung elementarer Verkehrsregeln das hohe Risiko eines Unfalls mit Schwerverletzten oder Todesopfern eingeht, namentlich durch besonders krasse Missachtung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit, waghalsiges Überholen oder Teilnahme an einem nicht bewilligten Rennen mit Motorfahrzeugen.» 

Beschuldigter weist Schuld von sich

Im Rahmen des ersten Prozesses äusserte sich der Frührentner zu seiner waghalsigen Fahrt. Er sei sich keiner Schuld bewusst, er habe nicht bemerkt, dass die Polizei hinter ihm fahre und er sie abgedrängt haben soll. «Es war neblig und ich hab mich auf die Strasse vor mir konzentriert», gibt er an. Erwähnt dann aber doch: Ein Zivilfahrzeug sei ja nur ein «Guguseli-Fahrzeug». Ein solches würde ja lediglich dazu dienen, die Verkehrsteilnehmenden dranzukriegen und sie zur Kasse zu bitten. 

Im ersten Prozess folgte das Bezirksgericht Pfäffikon der Anklagebehörde. Die beschriebenen Abläufe waren für das Gericht erwiesen und es bezeichnete das Verschulden des Mannes als mittelschwer. Deshalb erhöhte es das geforderte Strafmass sogar noch um einen Monat. Das Urteil lautete damals: Eine bedingte Freiheitsstrafe von 23 Monaten, eine Geldstrafe von 20 Tagessätzen à 130 Franken (2600 Franken) sowie eine Busse von 4500 Franken.

Am Prozess vor dem Zürcher Obergericht beteuerte der Beschuldigte am Freitagvormittag nochmals, dass er das Polizeifahrzeug nicht als solches wahrgenommen habe. Die Richter sahen es erneut anders. Sie bestätigten den Schuldspruch der ersten Instanz. Die Freiheitsstrafe verkürzten sie allerdings auf 21 Monate. Der Grund: Der Prozess habe sich seit 2021 zu lange hingezogen und eine solche Dauer sei nicht verhältnismässig.

Den Frührentner stimmte die Straf-Reduktion aber nicht milde. Gegenüber STREETLIFE sagte er: «Ich fühle mich total in meinen Rechten beschnitten. Sobald ich das schriftliche Urteil vorliegen habe, prüfe ich mit meiner Anwältin, ob wir den Fall weiterziehen.»

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