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Motorsport •
Formula Students

Eine Sekunde schneller auf 100 km/h als die Formel 1

Sie sind jung, besessen und unglaublich innovativ. In der Formula Students messen sich ETH-Studenten mit 600 Teams von Universitäten auf der ganzen Welt. In Europa ist die Leistungsdichte der Hightech-Minirennwagen besonders hoch. Unsere Kurzreportage zeigt den faszinierenden Wettkampf der Technik-Cracks, welcher jedes Jahr neu ausgetragen wird.

Die Fahrt entlang des alten Flugzeughangars wird zur Zeitreise in die Vergangenheit. Weite Teile des Dübendorfer Flugplatzgeländes wirken verlassen. Aber plötzlich kehrt man in die Gegenwart zurück. Vor einer riesengrossen, geöffneten Schiebetür eilen junge Menschen zwischen Containern, Hangar und Rennstrecke hin und her. Eine relativ hohe Nerd-Quote scheint offensichtlich. Hier arbeitet ein besessenes, junges, internationales Team von Frauen und Männern in einer gemeinsamen Mission: Es geht um den Sieg in der Formula Students, welche in wenigen Tagen startet.

In der Formula Students kämpfen weltweit rund 600 Teams in verschiedenen Ländern und Kontinenten um den Sieg. Ich bin verabredet mit Ilija Teofilovic, dem Chief Technical Officer des diesjährigen Teams «Castor». Ich parkiere vor der mächtigen Hangartüre und gleich beim Aussteigen ernte ich von Teofilovic ein Kompliment. Er kennt die exakte PS-Zahl meines Autos und lobt dessen Traktion. Ilija Teofilovic wirkt freundlich, selbstbewusst und vor allem kompetent. Während fast zwei Stunden beantwortet er jede Frage in Sekundenschnelle.

Beschleunigungs-Weltrekord

AMZ bedeutet Akademischer Motorsportclub Zürich und ist sozusagen die Plattform von Studierenden der ETH sowie der Hochschule Luzern. Hier werden jedes Jahr die neuen Kompaktrennmaschinen komplett neu entworfen und aufgebaut, um sich an den verschiedenen Formula Student-Wettbewerben in Europa mit anderen Universitäten zu messen. In den ersten drei Jahren wurden beim AMZ noch mit Verbrennermotoren gestartet. Heute startet das AMZ-Team mit vollelektrischen Rennwagen. Zur Elektrokategorie gehört neben gesteuerten Autos auch der Driverless-Wettbewerb. Die lernfähige Selbststeuerung, sozusagen KI-basierend, lässt auf der Strecke die von Menschen gesteuerten Rennwagen bereits hinter sich.

Auf den ersten Blick wirken die Formula-Students-Rennwagen wie Formel-1-Boliden in Westentaschenformat. Wer aber meint, hier handle es sich um etwas bessere Gokarts, der täuscht sich gewaltig. Der aktuelle Formel-1-Rennwagen des Hinwiler Sauber-Rennstalls benötigt 2,5 Sekunden, um von 0 auf 100 km/h zu beschleunigen. Da atmen die jungen Piloten des AMZ-Minigeschosses «Castor» bereits entspannt durch – der aktuelle Rekord in der Formula-Students liegt bei 1,48 Sekunden von 0 auf 100 km/h. Von 2016 bis 2022 waren die AMZ-Rennautos ununterbrochen Beschleunigungs-Weltrekordhalter. Der aktuelle Rekord hält das Racing Team der Universität Stuttgart.

Ehrgeizige Weltelite

Ein atemberaubendes Tempo wird nicht nur bei den Fahrleistungen vorgegeben. Beim jährlich neu startenden Wettbewerb bleiben den Studenten, welche mit dem Fahrzeugkonzept jeweils im September starten, nur sechs Monate Zeit, bis der Rennwagen seine ersten Testkilometer abspulen muss. Wobei mit der virtuellen Simulation sehr viele Aspekte schon vorzeitig getestet werden können. Zwischen Juli und August finden dann die Wettbewerbe auf den Rennstrecken in der Schweiz, Deutschland und Österreich statt. In diesen Ländern herrscht zwischen den Universitäten eine besonders hohe Leistungsdichte.

Wenn der junge CTO Ilija Teofilovic vor den beiden Rennautos «Alvier» oder «Grimsel» steht, die damals die 0-100-km/h-Weltrekordmarke knackten, spürt man seine Begeisterung für die kleinen Technologiewunder. Die Formula-Students-Renner werden mit vier Radnabenmotoren mit je 40 kW angetrieben. Die Systemleistung liegt bei rund 200 PS. Das Gewicht liegt ohne Fahrer bei 165 Kilogramm. Wer die Konstruktion mit dem Fahrwerk, der Drehmomentverteilung oder dem hydraulischen Federungssystem im Detail bewundert, dem wird schnell klar, dass sich hier im Umfeld der ETH Zürich eine junge, ehrgeizige Weltelite mit ihren Rennautos gegenseitig zu Höchstleistungen treibt.

Minibolide seelig gesprochen

Ein beeindruckend hoher Anteil der Bauteile wird selbst konstruiert und in den eigenen Werkstätten produziert. In der AMZ-Halle steht beispielsweise ein Autoklav, ein gasdicht verschliessbarer Druckofen, in welchem die Fahrzeugzelle aus Kohlefaser hergestellt wird. Der Autoklav wurde von einem bekannten ETH-Professor gespendet und ist vermutlich der grösste in der Schweiz. Das grosse Sponsorennetzwerk der Schweizer Universitäten kommt beim AMZ voll zum Tragen. Viele Sponsoringbeiträge werden als Produktionsmithilfe geleistet. Auf dem aktuellen Rennwagen prangern bekannt Namen wie BMW, EKZ, Thyssenkrupp, Ruag oder Julius Bär.

Für Technikfreaks ist der aktuelle Castor-Minibolide eine wahre Augenweide. Die eloxierten Öldruckzylinder, das komplexe Einzelradaufhängungssystem sowie die imposanten Aerodynamikteile aus Karbon mit dem gewaltigen Heckflügel zeugen von hoher Fachkompetenz. Besonders schön: Einige statische Teile werden in filigranem Organic-Design konstruiert – abgeschaut von der Natur. Eine Saison lang kämpfen die Teams mit ihren Rennautos in den Disziplinen Engineering-Design, Finanzplanung, Businessplan, Beschleunigung, Kurvendynamik, Rundkurs sowie Energieeffizienz um den Meisterschaftsgewinn. Danach dienen manche Rennwagen noch einige Zeit als Technologieträger. Erst wenn die Studenten das Energiesystem ausbauen, wird der Rennwagen seelig gesprochen. Mit seelig sprechen meint das AMZ-Team, die Autos wandern ins Lager oder dienen als Ausstellungsobjekte der Sponsoren.

Der Sauber-Rückspiegel

Für viele Studenten bedeutet die Formula-Students ein Sprung ins kalte Wasser. 70 bis 80 Stunden Arbeit pro Woche gehören zum Normalfall. Oft schlafen die Studenten auf einer kleinen Matte unter ihrem Arbeitstisch. Aber bei AMZ geht es eben nicht nur um das Sammeln von Credits für das Studium, sondern um eine hochkompetitive Mission. Einige Studenten heuern später beim Flaggschiff des Schweizer Motorsports an, beim Formel-1-Team Sauber. Ein Student, welcher das gesamte Aeropacket für ein siegreiches Formula-Students-Auto verantwortete, musste sich bei Sauber monatelang nur mit der Aerodynamik des Rückspiegels beschäftigen. Er zog bald weiter.

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