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Verkehrsplaner Thomas Hug

«Flugreisen machen städtische CO₂-Massnahmen zunichte»

Machen wir uns etwas vor? Grüne Abstimmungsvorlagen feierten zuletzt Erfolge bei der urbanen Wählerschaft. Doch das CO₂, das durch die Massnahmen reduziert werden soll, wird durch eine einzige Flugreise wieder ausgestossen, sagt Thomas Hug. Im Interview mit STREETLIFE verrät der Verkehrsplaner zudem, was es mit dem «NIMBY-Effekt» auf sich hat.

Herr Hug, die jüngsten verkehrspolitischen Abstimmungen in Zürich waren ein Erfolg für die Umweltbewegung. Sind Sie zufrieden?

Ich war ehrlich gesagt nicht überrascht, dass die Initiativen angenommen wurden. Die Bevölkerung steht schon länger hinter der Stossrichtung der Stadt Zürich, die den öffentlichen Raum zunehmend autofrei gestalten will. Das Ziel, mehr Platz für Velos und Fussgänger zu schaffen, hat Rückhalt. Ob diese Initiativen nun wirklich etwas beschleunigen, bleibt abzuwarten. 

Viele dieser Veränderungen, etwa die neuen Velorouten, werden bereits umgesetzt. Wird man von den Auswirkungen weniger spüren als viele erwarten oder gar befürchten? 

Das ist tatsächlich so. Zum Beispiel wurden von den 460'000 Quadratmeter, die gemäss Initiative umgenutzt werden sollen, bereits 250’000 für die bereits beschlossenen Velovorzugsrouten reserviert. Die Abstimmung sind deshalb vergleichbar mit einem ohenhin rollenden Zug, auf den die Initiative aufspringt. Sie zeigen also, dass die Bevölkerung die Richtung unterstützt. In der Stadt Zürich sehen wir das Bild einer langsamen, aber stetigen Transformation des Strassenraums. Es geht auch nicht mehr primär darum, neue Flächen zu schaffen, sondern um die intelligente Nutzung der vorhandenen.

Dabei scheint es, dass das Auto in der Stadt immer mehr zum Sündenbock gemacht wird. Können Sie das nachvollziehen?

Ja, das kann ich verstehen. Autofahren in der Stadt fühlt sich oft frustrierend an: Stau, Parkplatzsuche, das ewige Warten. Viele Autofahrer haben das Gefühl, dass sie stigmatisiert werden. Doch damit sind sie nicht alleine; alle haben derzeit das Gefühl, sie kommen zu kurz. Laut Umfragen sind Verlofahrerinnen und Velofahrer am wenigsten zufrieden mit der Infrastruktur in der Stadt Zürich. Aber wir müssen ehrlich sein: Das Auto als Massentransportmittel in Städten funktioniert einfach nicht. Es braucht zu viel Platz, den wir nicht haben.

Deshalb stimmen viele Menschen in der Stadt für «grüne» Initiativen. Doch wenn die blaue Zone vor dem Haus abgebaut wird, gibts das ganz grosse Hallo.

Ja, das ist das sogenanntze «NIMBY»-Phänomen: Not in my backyard – nicht in meinem Garten. Alle sind für grüne Initiativen, aber wenn es darum geht, den eigenen Parkplatz zu verlieren, sind die Menschen weniger begeistert. Man will Veränderungen für eine nachhaltige Zukunft, den Preis dafür will aber niemand bezahlen. Das kennen wir auch bei Windrädern oder Solaranlagen. Hier den richtigen Weg zu finden, ist schwierig. Denn wenn man neue Wege einschlagen muss, gibt es immer Verlierer. Und man kann es nie allen recht machen. Aber das strikte Festhalten am Bestehenden ist auch keine Lösung, die uns weiter bringt.

Sie haben kürzlich gesagt, dass eine einzige Flugreise alle städtischen Bemühungen zur CO₂-Reduktion wieder zunichte macht. Ist das wirklich so?

Statistisch belegt ist, dass urbane Mobilität grundsätzlich sehr nachhaltig ist, was den CO₂-Ausstoss betrifft – solange man den Flugverkehr ausklammert. Aber gerade in Städten wie Zürich, wo viele Menschen sehr gut verdienen und häufiger fliegen, wird der positive Effekt durch Flugreisen tatsächlich wieder neutralisiert. So geht der ganze Klimavorteil der städtischen Mobilität wieder verloren. Solange beim Fliegen nicht ein Umdenken stattfindet, helfen auch die besten autofreien Orte dem Klima nur begrenzt. In den Städten braucht es also in gewisser Weise zusätzlich zur Verkehrswende auch noch eine Fernverkehrswende.

Gibt es überhaupt eine Lösung für das Flugverkehrsproblem?

Derzeit gibt es kein wirklich effektives Rezept, um den Flugverkehr klimafreundlich zu gestalten. Nachtzüge sind eine Option, aber da hat sich der Bundesrat gerade erst gegen eine Subvention entschieden, und auch sonst bliebe das ein Tropfen auf dem heissen Stein. Ein weiteres Problem ist, dass das Fliegen immer noch sehr günstig ist. Menschen fliegen heute mehrfach im Jahr in die Ferien – etwas, das früher undenkbar war. Solange der Flugverkehr derart privilegiert wird – beispielsweise durch den Wegfall der Kerosinsteuer – wird sich daran wenig ändern.

Machen wir uns also etwas vor, wenn wir in der Stadt für grüne Initiativen stimmen, aber dann trotzdem regelmässig fliegen?

In gewisser Weise schon. Viele Menschen glauben, dass sie mit einer grünen Abstimmung etwas Gutes tun, steigen dann aber in den Flieger für einen Wochenendtrip. Wie gesagt: Eine einzige Flugreise macht die CO₂-Einsparungen des ganzen Jahres zunichte. Das ist die Realität. Aber es geht eben nicht nur um CO₂. Es geht auch um Sicherheit im Strassenverkehr, um Lebensqualität und mehr Raum für Menschen. Ein autofreier Platz ist ein sicherer Platz, und mehr Velowege heissen oft auch mehr Raum für alle, nicht nur für Autofahrende. Das sind alles Themen, die durch diese Initiativen adressiert werden. Trotzdem bleibt das Flugreisen ganz klar eine Schwachstelle, was den Klimaschutz angeht.

Wie gehen Sie persönlich mit dem Thema um?

Ich versuche selbst, das Fliegen so gut es geht zu vermeiden. Für Ferien steige ich oft in meinen VW-Bus. Auch das ist umwelttechnisch betrachtet alles andere als optimal. (lacht) Der alte Bus hat natürlich auch Emissionen, besonders auf langen Strecken. Am Ende ist es ein Abwägen: Wie viel kann ich persönlich reduzieren, ohne mich massiv einzuschränken? Für manche heisst das, nur einmal im Jahr zu fliegen, für andere, den Verkehr im Alltag anders zu gestalten. Es geht um einen pragmatischen Umgang mit den eigenen Gewohnheiten.

Trotzdem scheint es schwierig, komplett klimaneutral zu leben, oder?

Absolut. Im Moment ist es kaum möglich, völlig klimaneutral zu leben. Wir können zwar viel tun, um unseren Fussabdruck zu minimieren – im Alltag, bei der Mobilität, beim Konsum. Aber es gibt immer wieder Rebound-Effekte, das kennt man aus vielen Bereichen. Man tut etwas Gutes, belohnt sich dann aber so, dass man am Ende die Situation verschlimmert. Man spart zum Beispiel Energie, gönnt sich dafür aber eine Flugreise mehr. Solange wir diese Mechanismen nicht in den Griff bekommen, werden wir das Problem nicht lösen.

Zur Person: Thomas Hug ist Verkehrsplaner und Mobilitätsexperte. Mit seiner Firma Urbanista berät er Städte und Gemeinden in der Schweiz bei der Planung und Umsetzung zukunftsweisender Mobilitätskonzepte.

 

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