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Prozess gegen Drängler

Thurgauer jagte mit Lichthupe und Mini-Abstand Autofahrende

Zwei Sekunden – so viel Abstand sollten Autofahrende zum Fahrzeug vor sich einhalten. Ein heute 25-jähriger Schweizer missachtete diese Regel mehrfach massiv. Er ging so weit, dass er mit Lichthupe und Mini-Abstand andere Verkehrsteilnehmende dazu bringen wollte, die Spur zu wechseln. Am Mittwoch musste er sich dafür vor Gericht verantworten.

Die Situation war brandgefährlich und hätte leicht viel schlimmer enden können. Auf einer Fahrt vor vier Jahren drängelte sich der damals 21-jährige Mann auf der A1 in Richtung St. Gallen durch den Verkehr. Dabei setzte er einer Autolenkerin in einem Opel Corsa massiv zu. «Sie fühlte sich bedroht», führte die Staatsanwaltschaft St. Gallen in ihrer Anklageschrift aus, die STREETLIFE vorliegt. Und zwar so sehr, dass sie «anschliessen bei der Raststätte St. Margarethen ab der Autobahn fuhr, um sich vom Schock zu erholen.»

Es war nicht die einzige Verkehrsteilnehmerin, die wegen des Dränglers an jenem Tag die Polizei informierte. Mehrere Personen meldeten den Beschuldigten an einem Sonntag im September 2021 wegen seiner gefährlichen Fahrweise. In insgesamt drei Fällen erhebt, die Staatsanwaltschaft Anklage, weil er andere Verkehrsteilnehmende massiv bedrängt hatte. Es geht um Nötigung, versuchte Nötigung sowie qualifiziert grobe und grobe Verkehrsregelverletzung. Dafür forderte die Staatsanwaltschaft eine Gefängnisstrafe von 15 Monaten und eine Geldstrafe von 2100 Franken (70 Tagessätze à 30 Fr.).

Schon am frühen Nachmittag kam es zur ersten registrierten Nötigung. Der Logistiker wollte mit seinem BMW von Frauenfeld nach Österreich zu seiner Freundin fahren. Noch auf dem Stadtgebiet soll er einem Range Rover dicht aufgefahren sein. Er klebte quasi an dessen Stossstange, wie es in der Anklageschrift heisst. Das änderte sich auch nicht, als beide Fahrzeuge auf die Autobahn auffuhren. 

Gemäss den Aufzeichnungen einer Autobahnkamera betrug der Abstand über eine Strecke von 800 Metern nur 0,28 Sekunden. Gleichzeitig soll der Beschuldigte mit der Lichthupe versucht haben, den Fahrer des Range Rovers dazu zu bringen, die Spur zu wechseln. Doch dazu hatte der Lenker keine Gelegenheit mehr: Der damals 21-Jährige verlor die Geduld endgültig und überholte den Range Rover verbotenerweise auf der rechten Seite.  

«Ich seine Frontlichter im Rückspiegel nicht mehr sehen»

Nur wenige Stunden später machte der Beschuldigte munter weiter: Am Abend fuhr er auf der A1 zurück nach Frauenfeld. Hier kam es zur Begegnung mit der Frau im Opel Corsa. Gegenüber den Ermittlern gab die schockierte Autofahrerin später an: «Er fuhr so nah auf, dass ich seine Frontlichter im Rückspiegel nicht mehr sehen konnte.» Auch sie soll er mit der Lichthupe bedrängt haben, die Überholspur freizugeben. Sie beschleunigte verängstigt und überholte drei Fahrzeuge, bis sie die Spur wechseln konnte.

Noch auf derselben Fahrt kam es zu einem weiteren Vorfall. Betroffen war in diesem Fall ein VW-Bus-Lenker. Gemäss Videoaufnahmen betrug der Abstand auf einer Strecke von 500 Metern maximal 0,36 Sekunden. Und auch dieses Fahrzeug überholte der Logistiker, als der Bus den Weg nicht rechtzeitig freimachen wollte, kurzerhand auf der rechten Seite. Danach drängte er sich in eine kleine Lücke vor dem Bus und habe mit diesem waghalsigen Überholmanöver einen schweren Unfall mit Schwerverletzten oder Todesopfern riskiert.

Anklage fordert eine bedingte Gefängnisstrafe 

Dieses letzte Überholmanöver stufte die Staatsanwaltschaft als qualifiziert grobe Verkehrsregelverletzung ein, die weiteren Manöver als grobe Verletzung der Verkehrsregeln. Darüber hinaus klagte ihn die Staatsanwaltschaft auch wegen Nötigung an. Durch seine Fahrweise habe er andere Verkehrsteilnehmende bedroht und in ihrer Handlungsfreiheit eingeschränkt, führt die Staatsanwaltschaft aus. Sie fordert deshalb eine bedingte Gefängnisstrafe von 14 Monaten sowie eine bedingte Geldstrafe von insgesamt 2100 Franken (70 Tagessätze à 30 Fr.).

Der richtige Abstand

Wie viel Abstand zum vorausfahrenden Auto ist genug? Das Strassenverkehrsgesetz SVG und die Verkehrsregelverordnung VRV sprechen von «ausreichendem» Abstand, nennen aber keine Zahl. Erst das Bundesgericht hat zwei Faustregeln durch seine Urteile verbindlich gemacht, die auch in der Fahrschule vermittelt werden. Der Abstand soll zwei Sekunden oder den halben Tacho betragen.

«Halber Tacho» bedeutet: Wenn man 120 km/h auf der Autobahn fährt, sollte man mindestens 60 Meter Abstand halten. Hierbei dienen die Leitpfosten am Strassenrand als Hilfe. Ihr Abstand beträgt 50 Meter. Die Zweisekundenregel lässt sich mit lautem Zählen kontrollieren. Passiert das Fahrzeug vor einem einen festen Bezugspunkt wie ein Verkehrsschild oder einen Baum, zählt man laut 21, 22. Man hat genügend Abstand, wenn man den Bezugspunkt passiert, nachdem man 22 fertig ausgesprochen hat.

«Ich bin schockiert, so kenne ich mich nicht»

Der Beschuldigte bestritt die Tat vor Gericht nicht, äusserte sich aber auch nicht konkret zu Abständen, der Lichthupe oder dem Rechtsüberholen. Er sagte, er könne sich kaum noch an diesen Tag erinnern und sei sehr unaufmerksam gefahren, weil er sich vor der Fahrt mit seinem Vater um Geld gestritten hatte.

Ein Streit, dem ihm während der Fahrt einfach nicht aus dem Kopf gehen wollte. Weshalb er nicht ganz bei der Sache gewesen sei, wie er der Richterin erklärte. Zu den Videoaufnahmen der rücksichtslosen Fahrt sagte der Beschuldigte: «Ich bin schockiert. So kenne ich mich nicht. Auch meine Freunde kennen mich so nicht und waren erstaunt.»

Den Streit mit seinem Vater hatte der Beschuldigte vor Gericht das erste Mal erwähnt. Darauf angesprochen erwiderte er, er habe zwischen den beiden Vorfällen keinen Zusammenhang gesehen. «Erst als Freunde sagten, dieses Verhalten sehe mir nicht ähnlich und mich fragten, was denn mit mir los gewesen sei, stellte ich den Zusammenhang her.»
 

Verteidigung fordert Freispruch 

Dass sein Mandant andere Verkehrsteilnehmende genötigt habe, davon wollte der Verteidiger nichts wissen. Die anderen Autofahrenden seien nicht in ihrer Handlungsfähigkeit eingeschränkt gewesen. So hätte der Fahrer des Range Rovers ausgesagt, dass der Beschuldigte die Lichthupe nur einmal betätigt habe und die Opel-Fahrerin habe gar nie Lichthupe erwähnt. Deshalb forderte er beim Vorwurf einen Freispruch für seinen Mandanten. Ebenso beim Vorwurf der qualifiziert groben Verkehrsregelverletzung. Bei dem Überholmanöver des VW-Busses habe kein Risiko für einen schweren Unfall bestanden.

Das Gericht stimmte dem Verteidiger teilweise zu und sprach den Beschuldigten des Vorwurfs der Nötigung frei. Es sei korrekt, dass die Opel-Fahrerin die Lichthupe nicht erwähnt habe. Hingegen folgte das Gericht beim waghalsigen Überholmanöver der Staatsanwaltschaft und stufte es als qualifiziert grobe Verkehrsregelverletzung ein. Der Beschuldigte schaffte sich eine Lücke vor dem VW-Bus, indem er sich wieder auf die Überholspur drückte, und nahm dabei einen schweren Unfall in Kauf, so das Gericht.

Die Richter glaubten dem Logistiker auch nicht, dass er wegen des Streits unaufmerksam war. «Sonst hätte diese Fahrweise wohl zu einem Unfall geführt», führte die Richterin in der Urteilsbegründung aus. Das Gericht verurteilte den 25-Jährigen zu einer bedingten Freiheitsstrafe von 8 Monaten sowie zu einer ebenfalls bedingten Geldstrafe von 7200 Franken (80 Tagessätze à 90 Fr.).

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