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«Diese Praxis ist eine Herkunftsstrafe – das geht einfach nicht»
Autoversicherungen, die ihre Prämien nach Nationalität berechnen? Für Nationalrat Hasan Candan (SP/LU) ein klarer Verfassungsbruch. Im Interview erklärt er, warum der Bundesrat mit seiner Antwort enttäuscht, wie er die gesetzliche Praxis kippen will – und weshalb die Betroffenen oft zu Unrecht zahlen.
Herr Candan, Sie haben beim Bundesrat angefragt, wie er zur Praxis steht, bei Autoversicherungen die Nationalität zur Prämienberechnung heranzuziehen. Was hat Sie daran konkret gestört?
Mich stört, dass der Bundesrat diese seit rund 20 Jahren gelebte Praxis einfach hinnimmt – obwohl sie gegen das Rechtsgleichheitsgebot unserer Bundesverfassung verstösst. Dass er nun kommuniziert hat, dass er keinen Handlungsbedarf sieht, ist für mich enttäuschend. Und undifferenziert. Denn es geht hier nicht nur um Herkunft, sondern auch um Alter und Geschlecht – all das sind in der Schweiz unzulässige Diskriminierungskriterien.
Der Bundesrat argumentiert, die Versicherer dürften aufgrund statistischer Daten differenzieren. Was entgegnen Sie?
Dann soll er doch bitte diese Daten zeigen. Ich habe explizit um die Statistiken gebeten, auf deren Basis diese Risikozuschläge berechnet werden – doch sie werden nicht offengelegt. Man hat mich dafür an die FINMA verwiesen. Angeblich hat diese Stichproben gemacht, aber Resultate wurden keine veröffentlicht. Für mich ist das schlicht intransparent, ich habe das Gefühl, man spielt hier nicht mit offenen Karten. Für mich hat das Ganze auch ein «Geschmäckle», wie man so schön sagt.
Sie bezweifeln also, dass es belastbare Daten gibt, die zeigen, dass junge Männer vom Balkan ein signifikant höheres Unfallrisiko haben?
Genau. Und selbst wenn es so wäre: Diese Zuschläge treffen pauschal alle, auch Frauen oder ältere Menschen mit dieser Staatsangehörigkeit. Eine junge Kosovarin zum Beispiel, die auf dem Land wohnt – also auf das Auto angewiesen ist – und im Gesundheitswesen arbeitet, zahlt so zum Teil 600 Franken mehr im Jahr. Einfach nur wegen ihres Passes. Das ist für solche Menschen keine Kleinigkeit, sondern eine enorme finanzielle Belastung. Dieses Modell ist eine Herkunftsstrafe, nichts anderes. denn für die Betroffenen ist es eine Art staatliche Lohnkürzung, die die ganze Bevölkerungsgruppen über den gleichen Kamm schert.
Wie begründen Versicherer diese Praxis?
Oft heisst es, man orientiere sich am Markt und arbeite mit Erfahrungswerten. Aber genau da beginnt das Problem: Wenn man sagt, man dürfe nach Herkunft differenzieren, dann öffnet man Tür und Tor für Pauschalisierung und Diskriminierung. Und ich frage mich: Wo bleibt da die Transparenz? Wo bleibt die statistische Sorgfalt? Das ist politisch und moralisch bedenklich – und verfassungsrechtlich nicht haltbar.
Sie haben angekündigt, nach Ihrer Interpellation politisch weiter gegen diese Regelung anzukämpfen. Was haben Sie vor?
Ich reiche demnächst eine Motion ein. Diese fordert, dass die Berechnung von Versicherungsprämien nicht mehr aufgrund von Herkunft, Geschlecht oder Alter erfolgen darf. Wir müssen das nicht einmal neu ins Gesetz schreiben – denn das steht schon in unserer Bundesverfassung. Der Bundesrat muss sie nur korrekt umsetzen.
Spüren Sie mit Ihrem Anliegen Unterstützung im Parlament?
Ja, innerhalb der SP ganz klar. Nun geht es darum, weitere Mitstreiterinnen und Mitstreiter zu finden – auch in der Mitte oder bei den Grünen. Viele wissen gar nicht, dass diese Praxis existiert. Aber wer davon erfährt, ist oft ziemlich fassungslos. Es gibt aber auch viele, die das diskriminierende Narrativ weitertragen.
Was wären aus Ihrer Sicht objektivere, diskriminierungsfreie Kriterien für die Prämienberechnung?
Unfallhistorie, Fahrverhalten, Fahrzeugtyp, Fahrpraxis – das sind nachvollziehbare Parameter. Man könnte auch prüfen, wie oft oder wofür ein Auto genutzt wird. Es gibt viele Wege, um Risiken einzuschätzen, ohne auf Herkunft oder Geschlecht zurückzugreifen. Andere Länder machen es ja längst vor. In der EU ist die Diskriminierung nach Geschlecht bei Versicherungen bereits verboten.
Wurde Ihres Wissen schon mal über rechtliche Schritte gegen die Praxis nachgedacht?
Nicht, dass ich wüsste. Ich bin aber ehrlich gesagt überrascht, dass das noch nie jemand vor Bundesgericht oder den EGMR gebracht hat. Vielleicht müssen wir da mehr Aufklärungsarbeit leisten – oder einen solchen Fall gezielt unterstützen. Es wäre durchaus eine Option, dass diese Frage juristisch geklärt wird.
Könnte diplomatischer Druck helfen – etwa von Ländern, deren Bürger besonders betroffen sind?
Das wäre denkbar. Auch EU-Länder sind betroffen, etwa Rumänien oder Kroatien. Vielleicht ist das Thema eines Tages auch Teil grösserer Verhandlungen, etwa beim Rahmenabkommen. Aber ich setze jetzt erstmals auf den parlamentarischen Weg.
Aktuell betroffene Nationalitäten (Stand 2025)
Folgende Nationalitäten sind besonders von höheren Prämien betroffen:
- Kosov
- Nordmazedonien
- Türkei
- Serbien
- Albanien
- Bosnien und Herzegowina
- Montenegro
Diese Gruppen zahlen im Durchschnitt deutlich mehr für ihre Autoversicherung als Schweizer Staatsangehörige. So zeigt eine Analyse von Comparis, dass junge Männer mit Pässen aus dem Kosovo, Nordmazedonien und der Türkei bis zu 75 Prozent mehr für die Autoversicherung zahlen als gleichaltrige Schweizer mit dem gleichen Fahrzeug.

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