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«Die chinesische Elektrotechnologie ist weltweit führend»
Der deutsche Automanager Michael Lohscheller ist seit einem Jahr Chef von Polestar. Die reine Elektromarke aus Schweden versucht mit nordischem Design und chinesischer Technik durchzustarten. Im Gespräch mit STREETLIFE erklärt Lohscheller, wieso das funktionieren kann, ob Hybrid ein Thema ist und welchen Anfängerfehler er bei Polestar sofort korrigierte.
Herr Lohscheller, Polestar ist eine reine Elektromarke. Macht es diese Antriebsstrategie schwieriger, als neue Marke Fuss zu fassen?
Es ist sicher nicht leicht, nur auf Elektro zu setzen, aber richtig. Da die Zukunft der Mobilität sowieso emissionsfrei sein muss, ist es besser, diese Transformation jetzt einmal zu machen. Ich habe auf der IAA in München gesagt, dass das Verbrennerverbot zu verschieben völliger Unsinn ist. Aber ich war fast der Einzige, der es laut ausgesprochen hat.
Dann sind Hybrid-Modelle kein Thema?
Das werde ich intern und extern mehrmals täglich gefragt und meine Antwort ist jedes Mal klar: Nein! Weil wir uns sonst verzetteln und die Kunden diese klare Positionierung nicht mehr sehen.
Wieso ist es so schwer, die Kundschaft von der Elektrotechnologie zu überzeugen?
Weil es eine grosse Veränderung ist. Die Menschen denken, das Laden sei kompliziert und die Infrastruktur funktioniere nicht. Aber das ist falsch. Laden ist total einfach. Sie müssen sich die entsprechende Karte besorgen. Dies geht an allen Ladestationen und über die App sehen Sie die Verfügbarkeit der Ladepunkte. Aber das muss man einfach mal ausprobieren. Das geht jedoch nicht innerhalb von ein paar Jahren. Es ist eine langfristige Transformation. Aber ich bin optimistisch: Je mehr Leute man in die Autos bringt, desto besser wird es.
Zum Beispiel mit staatlichen Förderungen für Elektroautos?
Es ist sicherlich hilfreich, wenn bei der Einführung einer neuen Technologie eine gewisse Unterstützung da ist. Aber dieses Hin und Her wie in Deutschland in den letzten Jahren ist nicht hilfreich und verunsichert Konsumenten wie Unternehmen. Wenn die finanziellen Mittel fehlen, muss die Abschaffung der Förderung oder steuerlicher Anreize frühzeitig angekündigt werden. Und man kann auch alternative Vorteile bieten, wie, dass Elektroautos beispielsweise Vorteile auf Autobahnen haben.
Polestar gehört noch nicht zu den etablierten Herstellern. Wie wollen Sie Ihre Marke bekannter machen?
Die Menschen müssen unsere Modelle auf der Strasse wahrnehmen und es müssen gute Produkte sein. Aber am allerwichtigsten sind Händlerstandorte. Denn ich glaube, ein Auto kann noch so gut sein, man kriegt es nur erfolgreich an den Kunden, wenn man ein starkes Händlernetz hat. Vor ein paar Jahren haben alle Hersteller gesagt: Wir machen Direktvertrieb und verkaufen online. Die Händler sind nicht so wichtig. Das Gegenteil ist der Fall! In der Schweiz haben wir jetzt schon sechs Standorte und werden bis Ende Jahr auf neun erweitern. Das ist der Weg. Gerade in der Schweiz vertrauen die Menschen dem Händler. Er ist nah beim Kunden und das wollen wir auch sein.
Hat Polestar da zu Beginn ohne Händlernetz aufs falsche Pferd gesetzt?
Ja, absolut, das sehe ich so. Die Annahme, dass nur dieser Direktvertrieb online funktionieren wird, halte ich für falsch. Und deshalb habe ich es auch sofort korrigiert, als ich vor einem Jahr angefangen habe.
Und was ist mit Online-Kauf?
Ich erlebte, wie Leute die Kreditkarte herausholten und sich für 60‘000 Franken ein Auto im Internet kauften. Solche Menschen gibt es, aber es funktioniert aus meiner Sicht nicht für die breite Masse. Die Kunden wollen genau wissen, wo sie den Service machen können. Sie wollen Testfahrten machen, sich verschiedene Angebote einholen und sich bei mehreren Besuchen beraten lassen. Denn ein Autokauf oder eine Autofinanzierung hat mit Vertrauen zu tun. Gerade bei einer neuen und teuren Marke.
In der Schweiz spielt Polestar noch eine Statistenrolle. Wie wichtig ist die Schweiz aus Ihrer Sicht?
Wir sind noch eine junge Marke und haben dieses Jahr bis Ende September gut 800 Fahrzeuge an die Kunden gebracht. Trotzdem ist die Schweiz ein wichtiger Markt für uns. Denn sie ist ein Premiummarkt und wir positionieren uns ganz klar als Premiummarke. Wir bieten ja nicht gerade die günstigsten Preise auf dem Markt an. Auch unsere weiteren Werte Performance, skandinavisches Design und Nachhaltigkeit passen zur Schweiz. Deshalb fühlen wir uns hier gut aufgehoben und machen gute Fortschritte.
Unter dem nordischen Design steckt chinesische Technik. Ist das ein Hindernis oder eine Chance?
Das ist eine grosse Chance. Denn man muss fairerweise zugeben: Die chinesische Elektrotechnologie ist weltweit führend. Dazu haben wir Zugang und davon profitieren unsere Kunden. Es ist jetzt aber nicht so, dass wir alles übernehmen müssten. Wir wählen sehr sorgfältig aus und verbinden die chinesische Technik mit unserem schwedischen Design. Und so werden wir von den allermeisten Kunden klar als schwedische und nicht als chinesische Marke wahrgenommen.
Braucht es diese Verbindung, damit die europäische Kundschaft Vertrauen zu chinesischen Produkten aufbauen kann?
Ich halte es für einen grossen Wettbewerbsvorteil – zumindest im Moment. Reine chinesische Hersteller werden sich früher oder später auch durchsetzen. Die Frage ist, wann und in welchem Preissegment. Wenn man in der Automobilgeschichte zurückschaut, sind die Japaner vor 50 Jahren nach Europa gekommen. Es hatte gedauert, aber inzwischen sind sie sehr erfolgreich, auch dank des Service. Vor 30 Jahren sind die Koreaner gekommen. Hat auch gedauert, aber sie haben sich etabliert. Jetzt kommen die Chinesen. Es wird dauern, aber sie werden auch erfolgreich sein. Ich glaube aber, dass sie eher in unteren Preissegmenten erfolgreich sein werden.
Also keine Konkurrenz für die Premiummarken wie Polestar?
Im Premiumbereich ist es noch schwerer, sich zu etablieren. Da ist der europäische Markt schon sehr, sehr traditionell – und sehr schwer zu knacken. Deshalb bin ich auch sehr froh über unsere Ergebnisse. In einigen Ländern können wir mehr Elektroautos verkaufen als etablierte Premiumhersteller. Das ist für eine ganz junge Marke wie uns ein Riesenerfolg.
Was machen Sie besser als die etablierte Konkurrenz bei deren Elektroautos?
Wir haben nicht die protzigsten Autos, aber polarisieren trotzdem mit unseren Produkten. Nicht jeder mag beispielsweise, dass der Polestar 4 keine Heckscheibe hat. Aber es gibt auch eine Menge Menschen, die das sehr lieben. Dann haben wir im Polestar 2 als erste Marke überhaupt Google als Betriebssystem integriert. Da haben uns die Mitbewerber erst einmal beschimpft – jetzt machen das alle auch. Und schliesslich leben wir in einer Zeit, in der die Kunden etwas Besonderes haben wollen. Nicht jeder will das gleiche Premiumauto fahren wie die Eltern die letzten 50 Jahre.
Sie hatten viele Jobs, seit Sie Opel vor vier Jahren verlassen haben. Wie schauen Sie jetzt mit ein bisschen Abstand auf Ihre Zeiten bei den Start-ups Vinfast und Nikola zurück?
Extrem hilfreich. In diesen Unternehmen kann man viele Dinge ganz neu und anders machen als bei den etablierten Herstellern. Ich gehöre jetzt, bei aller Bescheidenheit, zu den ganz, ganz wenigen Managern, die global auf beiden Seiten gearbeitet haben.
Und wo steht da Polestar?
Bei Polestar sind wir auch eine sehr kleine Firma. Aber wir haben eine tiefe Integration mit Volvo und Geely. Wir müssen jetzt das Beste aus den beiden Welten zusammenbringen. Wenn ich versuchen würde, Opel oder Volkswagen bei Polestar zu kopieren, würde ich scheitern. Wir haben ganz andere Leute. Von deren Begeisterung können Marken wie Opel oder Volkswagen nur träumen. Aber diesen Spirit in einen Grosskonzern wie Geely zu integrieren, braucht ein feines Gespür. Da haben mir die letzten Jahre unheimlich geholfen.
Michael Lohscheller
Der heutige Automanager begann als Finanzcontroller in der Gabelstapler- und Lagerbranche bei der Jungheinrich AG. Über die DaimlerChrysler Rail (heute Alstom) gelangte er 2001 bei Mitsubishi in die Autobranche und stieg dort zum CFO auf. Drei Jahre später wechselt er zur Volkswagen AG und übernahm 2008 den Posten des CFO von VW in den USA. Er verliess die Volkswagen AG 2012 und wechselte in den Vorstand von Opel, wo er 2017 zum Geschäftsführer aufstieg. Er vollzog damals die Integration von Opel im PSA-Konzern mit den Marken Peugeot, Citroën und DS (heute Stellantis). 2021 wechselte Lohscheller für wenige Monate als Geschäftsführer zum vietnamesischen Hersteller Vinfast. Im Februar wechselte er zum Elektro-LKW-Bauer Nikola, verliess das Unternehmen nach einem Jahr aus familiären Gründen wieder. Seit Oktober 2024 ist er CEO von Polestar. Lohscheller ist verheiratet und hat zwei Kinder.

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