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Die Automafia hat es auf Schweizer Luxusautos abgesehen
Die Schweiz ist im Fokus der Automafia: Vermehrt werden Luxusautos bei Händlern geklaut und dann schnellstmöglich über die Grenze geschafft. Die Polizei spricht von einem Schweizer Phänomen und koordiniert sich international mit Fahrzeugfahndern.
Die Flucht war filmreif, das Ende spektakulär gefährlich: Am Dienstag wird eine Polizeipatrouille auf der A9 bei Yverdon auf einen roten Ferrari aufmerksam. Als die Polizisten die Verfolgung des Luxusboliden aufnehmen, beschleunigt der Wagen massiv und rast davon. Bei Montcherand im Kanton Waadt verliert der Fahrer die Kontrolle über den Wagen und knallt bei der Ausfahrt Clées gegen die Leitplanke.
Wie die Kantonspolizei Waadt später schreibt, flüchteten Lenker und Beifahrer zunächst zu Fuss, konnten aber wenig später festgenommen werden. Es zeigte sich schnell: Der Wagen war gestohlen, sowohl Fahrer (25) und Beifahrer (17) stammen aus Frankreich. Ein Strafverfahren wurde eröffnet.
Jeden Monat eine Verfolgungsjagd
So spektakulär die Geschichte wirkt, sie ist längst kein Einzelfall. «Aktuell sprechen wir von rund 45 Fällen schweizweit», sagt Hanspeter Krüsi, Mediensprecher der Kantonspolizei St. Gallen. Die Kapo St. Gallen hat aktuell den Vorsitz in der Vereinigung polizeilicher Fachspezialisten im Bereich Fahrzeugdelikte. Den Modus Operandi der Täterschaft kennt Krüsi genau. «Gestohlen werden ausschliesslich hochwertige Fahrzeuge, also BMW M-Modelle, Audi RS-Modelle, Mercedes-Benz AMG-Modelle oder eben ein Ferrari im Preissegment von jeweils rund 100'000 Franken.»
Aktuell häufen sich die Fälle deutlich, so kam es seit April jeden Monat zu einem Fall, bei dem die Polizei sich mit den fliehenden Tätern eine Verfolgungsjagd lieferte. Krüsi: «Dieses Phänomen beschränkt sich gemäss unserem Kenntnisstand aktuell auf die Schweiz.» Aus Nachbarsländern würden vergleichbare Meldungen fehlen.
Die Fälle der letzten Monate im Überblick:
Ob eine oder mehrere Organisationen hinter den gezielten Autodiebstählen stehen, ist derzeit nicht klar. Sicher ist: Bei den Autodieben, die gefasst werden, handelt es sich um Auftragskriminelle und Fahrer, aber definitiv nicht um die Drahtzieher. «Unsere Erfahrungen in der Unterstützung grenzüberschreitender Fahndungs- und Ermittlungsarbeit lassen darauf schliessen, dass Fahrzeuge von kriminellen Gruppierungen gestohlen werden», sagt dann auch Miriam Knecht, Sprecherin beim Bundesamt für Polizei. Das Fedpol ist in der Schweiz unter anderem für die Bekämpfung der organisierten Kriminalität zuständig.
Diebstahl bis ins Detail geplant
Dass die Automafia hinter dem gezielten Fokus auf Luxusboliden stehen könnte, zeigt auch das strukturierte und geplante Vorgehen. So weiss Krüsi von der Kantonspolizei St. Gallen: «Es macht nach derzeitigem Kenntnisstand den Anschein, dass die Fahrzeuge gezielt, mutmasslich sogar auf Bestellung gestohlen werden. Zum Teil wurden in den Autohäusern andere Autos umparkiert, damit die Zielfahrzeuge überhaupt weggefahren werden konnten.» Das ist nur möglich, wenn die Autodiebe die Händler im Vorfeld gezielt ausspionieren – und zwar online wie auch vor Ort.
Zuschlagen würden die Täter dann ausschliesslich in der Nacht. Oft zu zweit – und sie sind schnell. Sie brechen in die Liegenschaft ein, verwenden dafür sogar zuvor gestohlene Fahrzeuge (siehe Galerie) und brausen innert wenigen Minuten mit dem Wunschauto wieder auf und davon.
Manchmal werde es der Täterschaft aber auch einfach etwas zu leicht gemacht. «Leider finden sie die Fahrzeugschlüssel nicht selten offen liegend vor», erklärt Krüsi. «Uns ist es an dieser Stelle sehr wichtig zu betonen, dass die Autohändler ihre Autoschlüssel besser sichern sollten.»
Pascal Wenzel, Mediensprecher der Kantonspolizei Aargau empfiehlt Besitzern von teuren Autos deshalb: «Bewahren Sie Fahrzeugschlüssel immer an einem sicheren Ort auf, statten Sie Ihre Fahrzeuge mit Wegfahrsperren und einem GPS-Tracker aus, sichern Sie Ausfahrten mit physischen Elementen und installieren Sie Alarmanlagen und Videoüberwachungskameras.»
Das passiert mit den gestohlenen Autos
In der Mehrheit der Fälle versuchen die Täter das Fahrzeug über die Grenze nach Frankreich zu bringen. Frankreich, aber auch Polen, sind bekannt für eine grosse Autoschieberszene. SRF Rundschau hat vor rund einem Monat mit einem Autodieb in Marseille gesprochen. Anonym packte dieser über die Tricks der Autoschieber aus. Methi, so nennt er sich im Video, sei seit 20 Jahren als Autoknacker aktiv.
Und Methi hatte viel zu erzählen. Er gab an, dass gestohlene Fahrzeuge in der Regel geklont werden. Und dafür sei er selbst sehr gut ausgerüstet. So verfüge er über gestohlene und originale Fahrzeugetiketten, aber auch über leere Fahrzeugdokumente der Nationalen Agentur für amtliche Dokumente in Frankreich. Damit könne er die Identität der gestohlenen Wagen leicht ändern. Das Auto werde so «sauber» und sei selbst bei einer Polizeikontrolle nicht mehr als gestohlen erkennbar. Methi: «Wir haben geschmiertes Personal bei den Autoherstellern und den Behörden. So kommen wir an die Originale.»
Hat ein Auto eine neue Identität, bleibt es in der Regel nicht lange in Frankreich. «Die meisten Fahrzeuge landen irgendwann in osteuropäischen Staaten», sagt Methi. Kann er seine gestohlenen Fahrzeuge verkaufen, ist die Gewinnspanne für den Autodieb gross. Sie liege bei bis zu 75 Prozent. Da würden ihn die drohenden Gefängnisstrafen von bis zu 20 Jahren nicht abschrecken, wie er sagt.
Fahndung läuft europaweit
In der Schweiz haben die Polizeikorps ihre Massnahmen verstärkt, auch bezüglich Prävention. «Die Kantone tauschen sich untereinander aus und pflegen die Kontakte zu den Autogaragen mit entsprechen Autos», erklärt Krüsi.
Ermittlungserkenntnisse werden aber auch international koordiniert. «Spezialistinnen und Spezialisten für Fahrzeugfahndungen arbeiten national wie international sehr eng zusammen und tauschen ihre Erfahrungen und Erkenntnisse rege untereinander aus», sagt Fedpol-Sprecherin Miriam Knecht. Denn jeder Hinweis zählt. «Auch einzelne zunächst nicht offensichtliche Elemente einer Tatbestandsaufnahme sowie besonders der Zeitfaktor können ein entscheidender Fahndungserfolg sein.»

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