Werbung
Das sagen Forscher zum blinden Navi-Gehorsam
Autofahrerinnen und -fahrer manövrieren sich immer wieder in skurrile Situationen, weil sie offensichtlich falschen Anweisungen ihres Navigationsgeräts folgen. STREETLIFE hat aktuelle Navi-Fails und ist dabei dem Faktor Mensch nachgegangen.
Ein internationaler Chauffeur fährt zielstrebig mit seinem Navi durch die Schweiz. In Gossau SG lotst ihn sein Navigationsgerät in einen nah gelegenen Wald. Trotz Fahrverbot folgt der 61-jährige Fahrer seinem Navi und fährt auf den für Laster völlig ungeeigneten Weg. Prompt sink der Chauffeur mit samt seinem marokkanischen Sattelmotorfahrzeug am Fahrbahnrand in den weichen Waldboden ein. Um 16:30 Uhr hilft dann nur noch ein Notruf an die Polizei. Mit Hilfe eines Bergungsteams kann der Sattelschlepper aus dem Morast befreit werden. Dieser Vorfall ereignete sich im April.
Nur wenig später, im Mai, kommt ein Tanklastwagen vom Weg ab. Dabei gerät ein 40-jähriger Chauffeur bei einem Wendemanöver rückwärts auf einen Kiesweg, der seinem Gewicht nicht standhält. Der Laster bleibt stecken und droht abzurutschen. Er muss geborgen und die Tankfüllung durch die Feuerwehr umgepumpt werden. Beides spektakuläre Fälle der Kantonspolizei St. Gallen.
Dass Autofahrer blind ihren Navigationssystemen folgen, kommt häufiger vor, als man denkt. Das bestätigt die Kantonspolizei St. Gallen auf Anfrage von STREETLIFE. «Ungefähr im Monats-Rhythmus erhalten wir eine Meldung, dass jemand falschen Wegbeschreibungen seines Navigationsgeräts gefolgt und deshalb steckengeblieben ist», sagt Sprecher Florian Schneider. Oft stranden die Autofahrenden in den St. Galler Wäldern. An potenzielle Falschfahrer gerichtet, sagt Kapo Sprecher Schneider deshalb: «Wenn ein Weg nicht mehr nach einer Strasse aussieht, sollte man einfach nicht weiterfahren.»
Navi-Gehorsam ist kaum erforscht
Wie kommt es aber so weit, dass Autolenkerinnen oder -lenker dem Navi blind folgen und zum Bespiel geradewegs in ein Gewässer fahren? Prof. Dr. Markus Hackenfort, Leiter Fachgruppe Human Factors Psychology an der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften berichtet, dass das Phänomen noch wenig erforscht sei. Er vermutet aber, dass ein bekanntes Verhalten dahinterstecken könnte: «In Situationen, die uns Menschen unbekannt sind, halten wir uns an alles, was ‘Autoritäten’ sein könnten.» Im Auto sei das eben das Navi.
Gefährliche Wendemanöver im Gotthard
Zu den spektakulärsten Navi-Fails in der Schweiz gehören die Fälle im Gotthardtunnel. Dort komme es gemäss Urner Kantonspolizei bis zu vier Wendemanövern pro Monat. Am Gotthardtunnel kann es bei gewissen Geräten in Fahrtrichtung Süden auf den ersten drei Tunnel-Kilometern zu einer Fehlfunktion kommen. Das Navi berechnet dann die Route über die Passstrasse und fordert die Autofahrenden im Tunnel auf: «Bitte wenden!»

Für die gefährlichen Wendemanöver gäbe es aber noch andere Gründe, wie es bei der Kantonsplizei Uri heisst. «Unwohlsein, Platzangst und der Impuls, möglichst schnell wieder aus dem Tunnel zu kommen, können ebenfalls Gründe sein», so Mediensprecher Mario Kiefer.
Kommt es zum Notruf, dann werden die Fälle durch die Polizei bearbeitet. Gibt es dort eine tiefere Erkenntnis zu den Ursachen? «Die Lenker verlassen sich dabei zu fest aufs Navi oder begehen Bedienungsfehler, um einige der Gründe zu nennen», sagt Philipp Gasser, Sprecher der Kantonspolizei Bern. Er fordert Automobilisten zu mehr Eigenverantwortung und Konzentration auf. Es gebe Situationen, in denen «Entscheide entgegen dem Navigationssystem gefällt werden müssen», da die Hinweise nicht zwingend korrekt seien. Als Beispiel nennt er den Fall: das Navigationssystem will Sie links führen, dort besteht aber ein Abbiegeverbot. Dann gelte es immer zuerst die Verkehrssignale zu beachten.
Sicher ist: Wer durch seine Irrfahrt weitere Verkehrsteilnehmende gefährdet, muss mit Konsequenzen rechnen. «Kommt es zu einem Unfall oder manövriert sich jemand mit seinem Fahrzeug in eine ‘missliche Lage’ wird der Lenker oder die Lenkerin zur Anzeige gebracht », mahnt Carmen Surber, Sprecherin der Kantonspolizei Zürich.

«Wir müssen lernen, auf das Bauchgefühl zu hören»
Abbiege-Verbote, Einbahnstrassen, dichter Verkehr und drängelnde Fahrer können grossen Stress im Menschen auslösen. In so einem Moment stünden einem Autofahrer nicht mehr allzu viele Strategien zur Verfügung, sagt Psychologe Hackenfort. Befindet man sich in einer schwierigen Lage, gelte es, Komplexität abzubauen, Ruhe zu bewahren und dem eigenen Gefühl zu vertrauen. Und: «Kritisch bleiben», mahnt der Forscher.
Auch im Jahr 2024 seien Navigationssysteme weit davon entfernt, perfekt zu sein. Er selbst habe das auf seiner letzten Rundreise erlebt. «Wenn das Bauchgefühl sagt, hier besser nicht einzubiegen, dann darauf hören und weiterfahren», ist Hackenfort überzeugt. Übrigens gebe das Navi dann ja einen neuen Weg an. Gut sei es auch, schwierige Verkehrssituationen zu üben. Zum Beispiel indem man an einem Sonntagmorgen mit dem Auto in eine unübersichtliche Stadt fahre und die Signalisationen studiere. Und auch das Feedback durch hilfreiche Passagiere könne sehr nützlich sein, so der Psychologe und fügt an, dass diese aber ebenfalls eine Quelle von Komplexität sein könnten.
Wird man beim Hantieren am Navi erwischt, kann es teuer werden
Und was, wenn die Route das Problem ist? Kann ich sie während der Fahrt neu eingeben? Eine schlechte Idee, sagt die Polizei. Die Fahrerin oder der Fahrer ist durch das Tippen auf dem Handy oder dem Navigationssystem abgelenkt. Für solches Verhalten kann die Polizei Automobilisten anhalten und sie für das «Vornehmen einer Verrichtung» oder «mangelnde Aufmerksamkeit» anzeigen.
Werbung