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Darf der Nachbar sein E-Auto an der Steckdose laden?
Wird das Elektroauto einfach irgendwo eingesteckt, kann das unter Mietenden zu heftigen Konflikten führen. So zum Beispiel in Tiefgaragen. STREETLIFE ist sieben Fragen und Antworten zum Laden von E-Autos an gemeinschaftlichen Steckdosen nachgegangen.
Schreckensmoment für E-Autofahrer Ben*: Nach dem Frühstück will er mit seinem Elektroauto zur Arbeit fahren. Doch in der Tiefgarage angekommen, stellt er fest, dass sein Auto ausgesteckt wurde. Ob er jetzt noch genügend Strom für seine Pläne hat?
Seitenwechsel. Die Verärgerung der Bewohner im Mietblock sitzt tief: Jetzt hat der E-Autofahrer sein Fahrzeug schon wieder an die allgemeine Steckdose in der Garage angehängt. Eine Nachbarin greift zur Tat und steckt das Auto aus. Wer ist hier im Recht? STREETLIFE ist dieser und weiteren sechs Fragen zum Thema Ladekonflikt nachgegangen.
1. Kann ein E-Auto an der Haushaltssteckdose geladen werden?
Das ist problemlos möglich. Mit mobilen Ladegeräten können E-Autos an einer Haushaltssteckdose angeschlossen werden. Aber Vorsicht: Die Steckdosen würden in der Regel mit zehn Ampere abgesichert, und die Dauerbelastung sollte nicht mehr als 80 Prozent betragen, erklärt Urs Salvisberg. Sonst könnten sie zu heiss werden. Salvisberg ist Energiefachmann bei der Sympacharge GmbH, die Eigentümer und Gemeinden bei Fragen rund um Ladeinfrastrukturen berät. Vor allem an unbekannten Steckdosen empfehle er, das Ladegerät sicherheitshalber auf sechs Ampere einzustellen. «Das ergibt dann 1,4 Kilowatt (kW) bzw. 14 Kilowattstunden (kWh) in zehn Stunden. Das reicht immer noch für mehr als die 40 Kilometer, die ein Auto im Durchschnitt pro Tag zurücklegt», so Salvisberg.
2. Ist Laden gefährlich?
Die Steckdosen sind nicht auf einen langen, hohen Strombezug ausgelegt. Somit entsteht Brandgefahr. Besonders problematisch seien schlechte Ladegräte, an denen die Leistung oft nicht oder ungenügend eingestellt werden könne, erklärt Salvisberg. «Es kommt zu Überlastungs- und damit Brandgefahr», warnt er. «Die Gefahr liegt dann vor allem darin, dass die Sicherung nicht auslöst, weil sie auf Stromspitzen bei Kurzschluss ausgelegt ist, Kabel und Steckdose sich jedoch allmählich erhitzen.» Gute Ladegeräte hätten deshalb nebst Leistunsregulierung auch einen Wärmesensor.
Und: Am heimischen Abstellplatz empfiehlt der Energiefachmann unbedingt eine fest installierte Wallbox zu benutzen. Denn so sei sichergestellt, dass die ganze Installation auf die Belastung beim Laden von Elektroautos ausgelegt sei, und die Leistung aller Wallboxen bei Bedarf gesteuert werden könne. Zudem lädt eine Wallbox schneller.
3. Was kostet der Strom?
Rechnet man mit einem Strompreis von 30 Rappen pro Kilowattstunde und wird in acht Stunden mit 1,4 kW geladen, koste das 3.36 Franken. Was wiederum für eine Strecke von 50 bis 60 Kilometer reiche, rechnet Salvisberg vor. «Dazu muss man die Kosten für die Wallbox rechnen; in einem Mietshaus sind etwa 50 Franken pro Monat angemessen.» Lädt also ein Mietender über Nacht an einer Steckdose sein Auto auf, verursacht er Kosten von 3.50 Franken.
4. Wer muss bezahlen?
Müssten diese 3.50 Franken nun alle über die Nebenkosten bezahlen? In der Schweiz müsse vertraglich geregelt sein, was als Nebenkosten abgerechnet werde. Ansonsten würde davon ausgegangen, dass mit dem Mietzins sämtliche Kosten abgegolten sind, erklärt Jörg Schmid, Professor für Privatrecht an der Universität Luzern: «Sind Stromkosten in dieser Weise als Nebenkosten vereinbart, lädt eine Partei ihr Auto über eine allgemeine Steckdose und bemerkt der Vermieter lediglich, dass die Stromkosten insgesamt steigen, kann er die entstandenen Kosten als Nebenkosten auf alle Mieter verteilen», so Schmid.
5. Ist das überhaupt erlaubt?
Die Nutzung des Allgemeinstroms für das Laden des privaten Autos, E-Velos und dergleichen ist nicht erlaubt. Denn im Nebenkostenpunkt Allgemeinstrom seien beispielsweise die Kosten für das Licht enthalten und abgegolten, nicht aber der Strombezug für private Geräte, erklärt Stephanie Bartholdi vom Hauseigentümerverband Schweiz. Für den Allgemeinstrom müssten alle Mieter aufkomme. Verfüge ein gemieteter Parkplatz über eine Steckdose, die an den Wohnungszähler angeschlossen sei, stehe dem Strombezug grundsätzlich nichts im Wege. Die Stromkosten würden dann direkt dem jeweiligen Mieter belastet.
Die Folgen eines eigenmächtigen Strombezugs allerding sind massiv, egal ob dies durch eine selbst installierte Anlage oder per Steckdose geschieht: «Wer bauliche Änderungen an der Mietsache ohne Einverständnis des Vermieters vornimmt oder vom allgemeinen Strom, Energie bezieht, dem droht eine Abmahnung und schlimmstenfalls die Kündigung», erklärt Stephanie Bartholdi.
6. Ist es auch strafbar?
«Es ist möglich, sich dabei strafbar zu machen. Und zwar dannn, wenn Sie keine Berechtigung haben, sich an der besagten elektrischen Anlage zu bedienen», sagt Mediensprecher Adrian Schuler von der Oberstaatsanwaltschaft Kanton Aargau dazu. Die Handlung müsse aber vorsätzlich erfolgen. Im Aargau wurde 2023 ein Mann bestraft, weil er mit einer Kabelrolle Strom von einer gemeinschaftlichen Steckdose abzweigte. Entscheidend in solchen Fällen sei aber die vertragliche Regelung. «Wofür eine gemeinschaftliche Steckdose genutzt werden darf, hängt schlussendlich von den zwischen den Parteien vereinbarten Verträgen ab», so Schuler.
7. Dürfen Nachbaren sich gegenseitig den Stecker ausziehen?
Das sei ein Grenzfall. «Grundsätzlich sollte das Eigentum der anderen Mieter nicht verändert werden. Zum Beispiel sollte der Ladestecker des Nachbarn nicht ausgezogen werden», erklärt Stephanie Bartholdi vom Hauseigentümerverband. Wer vorbildlich vorgehen will, der melden den Fall seinem Vermieter. So rät die Juristin: «Wenn ein Mieter bemerkt, dass seine Nachbarin das Auto an einer allgemeinen Steckdose in der Garage lädt, sollte er das zuerst der Verwaltung melden und am besten Fotos des Fahrzeugs einsenden.»
Ladeinfrastruktur für Mieter
In der Regel erfolge die Umsetzung einer Ladeinfrastruktur nach Merkblatt SIA 2060 'Ladeinfrastruktur für Elektrofahrzeuge in Gebäuden'. Dabei gebe es zwei Schritte, so Energiefachmann Urs Salvisberg: «Erstens werden durch eine Grundinstallation (SIA2060C1 "Power to Garage") alle Abstellplätze mit einem Flachkabel erschlossen. In einem zweiten Schritt erfolgt ein sukzessiver Endausbau (SIA2060D "Ready to Charge"). Für eine Nutzerinnen und ein Nutzer, der tatsächlich eine Wallbox benötigen, wird dann eine solche angeschlossen.»
*Richtiger Name der Redaktion bekannt.
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