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Politik & Wirtschaft •
Globalisierung sorgt für Abhängigkeit

Dann fertigen wir halt bei uns!

Auto-Batterien, Erdgas, Halbleiter und Antibiotika: Durch die Globalisierung sind wir auf Lieferanten im Ausland angewiesen. Corona und Wladimir Putin zeigten, dass diese Abhängigkeit erpressbar macht. Sollen wir die Produktionen wieder nach Europa zurückholen? Harald Oberhofer, Professor für Empirical Economics an der Wirtschaftsuniversität Wien, hat dazu eine klare Meinung.

 

Der Artikel stammt aus der Feder der Pragmaticus-Redaktion. Das Magazin mit Sitz im liechtensteinischen Schaan widmet sich den grossen Fragen unserer Zeit. Die Antworten kommen dabei direkt von namhaften Experten, die unverfälscht zu Wort kommen. STREETLIFE publiziert im Rahmen einer Kooperation regelmässig Pragmaticus-Artikel.

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«Zu Hause ist es doch am schöns­ten.» Diesem Leitmotiv folgen Be­strebungen, systemrelevante Produk­tionsprozesse wieder im eigenen Land (oder wenigstens auf dem eigenen Kontinent) anzusiedeln. Die Liefer­engpässe in der Pandemie verstärkten diesen Wunsch, aber eigentlich begann der Prozess schon vor Corona. Donald Trumps «America First»-­Strategie in­klusive des von ihm initiierten Handels­kriegs mit China verfolgte das Ziel, den US­-amerikanischen Wirtschaftsstand­ort im Vergleich zum wichtigsten geo­ökonomischen Rivalen zu stärken und Anreize für die Produktion in den USA zu schaffen. Chinesische Produkte sollten durch Zölle verteuert und somit aus dem Markt verdrängt werden. Kollateral­schäden für andere Handelspartner – etwa durch die Zollerhöhung auf euro­päischen Stahl – nahm der 45. Präsident der USA in Kauf.

Unter dem Schlagwort «Reshoring» gewinnt die Idee, massgebliche Produk­tionsprozesse nach Europa oder in die USA zurückzuholen, derzeit stark an Popularität. Dahinter steckt eine nach­vollziehbare Überlegung: Lokale Er­zeugung ist vor Krisen besser geschützt, weshalb die Versorgungssicherheit steigt. Ein Prozess der Deglobalisierung soll unsere Wirtschaft robuster und un­abhängiger machen. So lauten die zen­tralen Argumente.

Erst denken, dann handeln

Doch wie so oft in wirtschaftspolitischen Debatten hält sich die Politik nicht lan­ge mit der Ursachenforschung auf, sondern präsentiert zunächst eine Lö­sung. Warum E-Bikes, Antibiotika, Gartenmöbel und Kühlschränke nicht mehr in ausreichendem Ausmass oder gar nicht mehr in Europa hergestellt wer­den, ist für die Politik meist irrelevant. Wichtig ist nur, dass sich dies ändern muss und zwar ganz schnell und mög­lichst einfach.

Die Wahrscheinlichkeit, falsche oder wenig wirksame politische Massnahmen zu ergreifen, wird jedoch grösser, wenn man die Ursachen für das zu lösende Problem nicht verstanden hat. Es mag daher auch für die Politik lohnend sein, einen Blick in die Entwicklung der globalisierten und fragmentierten Welt­wirtschaft zu werfen.

Als Ausgangspunkt kann hierzu die ökonomische Aussenhandelstheorie nach David Ricardo zurate gezogen werden: Volkswirtschaften spezialisie­ren sich demnach auf die Produktion von Gütern, die sie relativ betrachtet am effizientesten herstellen können. Wesentliche Faktoren sind etwa die vor­handene Technologie sowie die Verfüg­barkeit und Kosten der Arbeitskräfte. Die Fokussierung auf den komparativen Vorteil führt dazu, dass sich alle Volks­wirtschaften auf gewisse Produkte spe­zialisieren. Andere Waren stellt man gar nicht oder kaum mehr selbst her.

Im Ergebnis werden alle relevanten Güter irgendwo auf der Welt produziert, allerdings eben nicht jedes Gut überall. Für die Konsumenten ist das ideal; sie können ihre Nachfrage nach allen ge­wünschten Produkten befriedigen – und zwar im Regelfall beim günstigsten Anbieter. Die Produzenten profitieren ebenfalls, weil sie den Weltmarkt be­dienen können und nicht nur für die lokale Nachfrage produzieren. Durch die Ausweitung der Produktion auf eine grössere Stückzahl können sogenannte Skalenerträge erzielt werden. Die ver­wendeten Maschinen sind besser aus­gelastet, also sinken die Kosten.

Verlagerung in Entwicklungsländer

In den letzten Jahrzehnten hat eine aktive und gleichzeitig liberale Handelspoli­tik die Kosten für den internationalen Handel sukzessive reduziert. Im Ein­klang mit der Aussenhandelstheorie von David Ricardo führte dies zu einer Verlagerung von Produktionsprozessen aus den westlichen Industriestaaten in aufstrebende Entwicklungsländer.

Antriebslos in die Zukunft

Elektroautos sind auf dem Vormarsch. Waren Verbrennungsmotoren einst das Herzstück von Autos, sind es nun Batterien. Nur ein kleiner Anteil der Lithium-Ionen-Batterien wird in der EU gebaut.

Gerade bei der industriellen Produk­tion von standardisierten Produkten, für deren Herstellung viel Arbeitskraft benötigt wird, haben China und ande­re asiatische Volkswirtschaften einen klaren Kostenvorteil. Die europäische Industrie spezialisierte sich auf hoch­technologische und komplexere Pro­dukte. Die Fragmentierung von Wert­schöpfungsketten wurde immer weiter vorangetrieben – stets mit dem Ziel, die Effizienz zu steigern. Für die Produk­tion eines iPhone werden etwa Kom­ponenten von Herstellern aus mehr als vierzig Ländern und allen sechs Kontinenten verarbeitet. Um Weiter­entwicklung und Design der Geräte kümmerte sich lange Zeit der Westen.

Möchte man nun diese Entwicklung umkehren, globale Wertschöpfungs­ketten verkürzen und Produkte inklu­sive Komponenten wieder vermehrt lokal produzieren, so hätte dies weitrei­chende ökonomische Folgen: Natürlich könnte man Antibiotika, Fernseher oder Smartphones in Europa herstellen. Aber wenn das zu niedrigen Kosten möglich wäre, hätte es nie eine Verlagerung der Produktion ins Ausland gegeben. Die Wirtschaft – und auch die Konsumen­ten – müsste also auf die Effizienzge­winne der Globalisierung verzichten. In einer Zeit von ohnehin schon hohen Inflationsraten würden solche Preis­steigerungen die Realeinkommen der Bevölkerung weiter reduzieren.

Die Rohstoffe fehlen

Gleichzeitig zeigen die erwähnten Bei­spiele, dass die Möglichkeit einer voll­ständigen Rückverlagerung an ressour­cenbedingte Grenzen stösst. Greifen wir das Beispiel Smartphones noch einmal auf: Für die Herstellung von Mikropro­zessoren oder Displays werden seltene Erden als Rohstoffe verarbeitet. Diese Erden kommen ebenfalls in der Pro­duktion von Elektroautos, Batterien, Flachbildschir­men, Windanlagen oder E-­Bikes zum Einsatz. In Europa sind diese Rohstoffe zwar vorhanden, allerdings liegen die grössten derzeit be­kannten Vorkommen auf anderen Kon­tinenten. Bisher werden seltene Erden in Europa auch nicht zur industriellen Nutzung abgebaut. Möchte man nun die Fertigung von Smartphones nach Eu­ropa rückverlagern, dann lässt sich das vielleicht für die Endmontage umsetzen. Die Vorleistungen müssen aber weiter­ hin importiert werden und sind somit wiederum von möglichen Störungen in globalen Lieferketten betroffen. Ähn­liches gilt für die Tesla Gigafactory in Berlin­Brandenburg. Die Fabrik wurde mit hohen Subventionen und Vergüns­tigungen nach Deutschland geholt, kann jedoch nicht eigenständig produzieren.

Roter Teppich für Tesla

Der von China seit langem betriebene und jetzt von den USA angeheizte Sub­ventionswettbewerb verkompliziert die Situation noch zusätzlich. Tesla hat bei­spielsweise im Februar dieses Jahres im Gegensatz zu früheren Plänen angekün­digt, in der deutschen Gigafactory zwar Batterien herzustellen, die Zellproduk­tion aber hauptsächlich in den USA zu betreiben. Die steuerlichen Anreize für den Kauf von E-­Autos in den USA hät­ten zu dieser Entscheidung geführt, hiess es. Laut dem «Inflation Reduction Act» kommen die Käufer nur dann in den Genuss der steuerlichen Vorteile, wenn die Endmontage der Fahrzeuge in Nordamerika stattfindet. Für Tesla reicht dies offenkundig als Anlass, um die Zellproduktion auf der anderen Sei­te des Atlantiks zu betreiben.

Wie lange und in welchem Ausmass der Konzern in Deutschland aktiv blei­ben wird, hängt somit auch massgeblich davon ab, wie es im internationalen Subventionswettbewerb weitergehen wird. Der Fall Tesla könnte zum Exem­pel werden: Wer Unternehmen aus­schliesslich mit Subventionen anlockt, hat keine Garantie, den Produktions­standort langfristig zu erhalten.

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