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Biest oder nicht Biest, das ist hier die Frage
Ein Autohersteller mit aktuell nur einem Modell hat es schwer, um im Gespräch zu bleiben. Polestar hat seine Elektrolimousine 2 deshalb als 476 PS (350 kW) starke und auf 270 Stück limitierte BST Edition 270 herausgebracht. Dabei steht BST für nichts geringeres als Beast. Im Autochecker-Duell streiten sich STREETLIFE-Tester Aellig und Bartholdi über die Vor- und Nachteile des Boliden.
Verzicht statt Opulenz
Aellig: Gleich vorweg: Für mich gehört der Polestar 2 BST Edition 270 zu den schönsten Autos, welche aktuell auf unseren Strassen herumfahren. Das kantige Karosseriedesign mit der sehr sportlichen Linienführung erinnert an modernistisches Nordic-Design, aber auch an die Muscle-Cars der 70er-Jahre. Die reduzierte Formensprache des Interieurs ist gelungen: Ehrlich präsentierte, gut verarbeitete Kunststoffe mit einem hohen Recyclinganteil. Das generelle Designmotto des Polestars 2 lautet Verzicht statt Opulenz. Den breiten, schwarzen Rallyestreifen, welcher sich gewagt über das gesamte Auto und das Sonnenglasdach zieht, wertet den Polestar 2 zusätzlich auf. Die Beförderung von Maximilian Missoni zum Polestar-Chefdesigner war ein weitsichtiger Schachzug der Geely-Verantwortlichen in China. Mit diesem Auto gewinnt Polestar jeden Schönheitspreis.
Wo bleibt das Biest?
Bartholdi: Schade nur, haben sich die Schweden nicht getraut, Crossover-Anspielungen ganz wegzulassen: hohe Bodenfreiheit und schwarze Plastikplanken zieren die Elektro-Limousine normalerweise. Jetzt bei der Sportversion BST 270 verzichtet Polestar darauf. Die 25 Millimeter weniger Bodenfreiheit stehen dem 2er – so hätten die Schweden ihn von Anfang bringen sollen. Nur: das ist kein Sportmodell und wird dem Übernamen «Beast», wofür die Abkürzung BST steht, nicht gerecht. Für ein Beast sieht der Polestar 2 viel zu harmlos aus. Ein schwarzer Rallyestreifen, der erst noch das Panorama-Glasdach teilweise verdeckt, macht optisch noch kein Sportmodell. An das wirre Fell eines Biestes erinnert am ehesten der wilde Material-Mix von Klavier-Lack, Stoff, Aluminium und Kunststoff im Innenraum. Für einen Schönheitspreis braucht es mehr, Pentti! Aber der Polestar bekommt von mir doch Pluspunkte, weil das zweite Modell kein SUV, sondern eine Limousine ist.

Pentti Aellig
Schon als Kind begeisterte ich mich für Autos. Mit 12 fuhr ich (unerlaubterweise) bereits mit dem elterlichen Citroën 2CV herum. Mit 15 reiste ich alleine an ein Formel-1-Rennen in Monza. Und mit 22 kaufte ich mir einen Peugeot 205 GTI. Die Liebe zu dynamischen Hot Hatches ist geblieben: Als jahrelanger Porsche 911-Fahrer bin ich im Zeitalter der Klimaproteste auf einen unauffälligen Toyota GR Yaris umgestiegen. Die vielen neu erscheinenden Steckerautos verfolge ich neugierig, aber die Entwicklung ökologisch verbesserter Verbrennermotoren schreibe ich noch nicht ab.
Ruckzuck und vorbei
Aellig: Nebst dem tollen Design zählen bei mir vor allem die inneren Werte des Polestar 2 BST Edition 270 an, lieber Martin. Er bringt mit seinen zwei Permanentmagnet-Synchronmaschinen (PSM) absolut ausreichend Elektropower auf die beiden Achsen. Allradantrieb und eine Systemleistung von 476 PS (350 kW) erledigen dynamische Überholvorgänge Ruck-Zuck. Mit einer Beschleunigung von 0 bis 100 km/h in 4,4 Sekunden entpuppt sich der chinesisch-schwedische Sprinter geradezu als Launch-Coaster. Das maximale Drehmoment von 680 Nm sorgt mächtig für Spass. Und die 75 kWh-Batterie sollte eine Reichweite von 462 km garantieren. Ein rasantes Schweden-Designstück.
Wie auf der Achterbahn
Bartholdi: Ja, rasant, das kann ich unterstützen. Oder eher meine Frau, bei der ich mich entschuldigen muss für das Beinahe-Schleudertrauma, weil ich ohne Vorwarnung aufs Gaspedal getreten habe. Keine Sorge, es geht ihr gut. So generieren Elektroautos heute Emotionen: Mit ihrer immensen und vor allem unvermittelten Beschleunigung. Sind die Insassen, und dazu zähle ich mich selbst am Steuer für einmal auch, nicht aufs Beschleunigen vorbereitet, schlägt es einem den Kopf nach hinten in die Nackenstütze. So vehement jagt heute kein Flugzeug los. Das ist schon eher wie auf einer Achterbahn. Hier zeigt sich der Polestar 2 durchaus etwas biestig und hebt sich deutlich von den «zivileren» 2er-Modellen ab, die elektronisch gezügelt, weniger unvermittelt lospreschen. Aber, im Vergleich zur Konkurrenz von BMW i4, Mercedes EQE oder Tesla Model 3 befindet sich der Schwede eher im unteren Leistungsspektrum.

Martin A. Bartholdi
Mit dem Autofieber haben mich die Kult-TV-Serie «Knight Rider» und das Formel-1-Rennen in den Strassenschluchten von Monte Carlo infiziert. Noch heute zaubern mir US-Sportwagen mit langen Motorhauben wie der Ford Mustang und wendige Kurvenkratzer wie der Mazda MX-5 ein Lächeln ins Gesicht. Mit Kombis und vor allem SUVs kann ich allerdings nur wenig anfangen, dann doch lieber echte Geländewagen. Wohl die Schuld des Computerautos K.I.T.T. ist auch, dass ich gerne neue technische Spielereien ausprobiere, seien es Assistenten, Infotainment oder Vernetzung.
Goldgelbe Liebe fürs Detail
Aellig: Leistung alleine garantiert aber noch keinen Fahrspass, Martin. Deshalb werde ich langsam, aber sicher zum Fan chinesischer Autobauer. Sie zeigen uns, wie Autofahren abseits purer Power Spass macht. Im BST Edition 270 setzten die Polestar-Entwickler die Stossdämpfer der schwedischen Kultmarke Öhlins herrlich in Szene. Die Dämpfer sind mit einem Aluminiumrädchen in 20 Stufen auf Zug- und Druckstufe einstellbar. Das Klickgeräusch der Rädchen, das eloxierte Goldgelb der Dämpfer sowie der Öldruckbehälter unter der Fronthaube zeugen von einer Obsession der Chinesen fürs Detail. Wenn das so weiter geht, werden die Chinesen Europas Autoindustrie an die Wand spielen.

Unnötige Spielerei
Bartholdi: Vorerst spielen die Chinesen eher ihre Kunden an die Wand. Die meisten Autobesitzerinnen und -Besitzer sind schon zu faul, um im Cockpit den Sport-Modus mit einem Knopfdruck einzustellen. Ich wage zu bezweifeln, dass viel mehr als einer oder zwei der 270 BST-Kunden sich die Mühe machen wird, oft an diesen Rädchen zu drehen und die Dämpfer zu verstellen. Ja, Polestar hat die Verstellung im vorderen Kofferraum clever platziert. Wer laden musste und das Kabel verstauen will, kann gerade noch die Dämpfer für die Fahrt ins Büro etwas weicher oder für den Ausflug über den Pass etwas straffer einstellen. Cool auch, wie sich die Vorderräder je nach Einstellung ins Radhaus kauern – als hätten wir ihn selber tiefergelegt. Aber viel mehr als eine nette Spielerei ist es nicht.

Fazit Aellig
In 4,4 Sekunden beschleunigt der Polestar 2 BST Edition 270 auf 100 km/h. Alleine schon diese 4,4 Sekunden reichen aus, um meine langjährige Petrolhead-DNA zu zersetzen und mich mit dem reinen Elektroantrieb anzufreunden. Aber auch die moderne, nordische Designsprache, die nachhaltig ausgelegten Materialien sowie das angenehm straffe Fahrwerk überzeugen mich. Für mich Thors Preis-Leistungshammer.
Fazit Bartholdi
Für mich reichen diese 4,4 Sekunden nicht aus, damit sich der Polestar den Beinamen Beast verdient. Das Fahrwerk ist manchmal etwas biestig sowie ruppig und die unvermittelte Beschleunigung sowieso – was genau richtig ist für eine Sportversion. Schade nur wirkt der Polestar 2 BST Edition 270 optisch nicht wie ein Biest, sondern eher wie ein zahmes Haustier.
Polestar 2 BST Edition 270: Facts
- Motor: 2 Elektromotoren (Permanentmagnet-Synchronmaschine (PSM)), Systemleistung 476 PS (350 kW), 680 Nm
- Antrieb: 1-Gang-Getriebe, Allradantrieb
- Batterie Brutto/Netto: 78 / 75 kWh= Reichweite 487 km, max. Ladeleistung 155 kW
- Fahrleistungen: 0 bis 100 km/h in 4,4 Sekunden
- Verbrauch (WLTP): 20.9 kWh/100 km
- Leergewicht: ab 2113 kg
- Preis: ab 76'900 Franken – aber die auf 270 limitierte BST-Edition war sofort ausverkauft.
- Der Polestar 2 wird in Volvos chinesischer Taizhou-Fabrik in Luqiao produziert.
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