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«Autofahrende dürfen nicht zum Umsteigen gezwungen werden»
Es soll schneller und ohne Stau in die Stadt gehen. Dieses Ziel will der Bund mit sogenannten Verkehrsdrehscheiben erreichen. Sie sollen den Verkehrsfluss zwischen Stadt und Land verbessern – und zum Umsteigen auf den Zug motivieren. Ist das nur ein neuer Anlauf, um die Autos aus der Stadt zu bringen? STREETLIFE hat nachgefragt.
Es hört sich auf den ersten Blick gut an. Es soll schneller in die Stadt gehen. Dafür sollen sogenannte Verkehrsdrehscheiben sorgen. Die Beschreibung erinnert an ein bereits bekanntes Modell: An diesen Hubs sollen verschiedene Verkehrsmittel wie Züge, Busse oder Autos zusammenkommen. Die Reisenden können dort einfach vom Auto auf den Zug oder Bus wechseln
Nur ein neuer Name?
«Das ist nur ein anderer Name für das Park+Rail-Modell», ärgert sich Lucian Schneider, Co-Präsident der Jungen SVP Luzern und Urheber der Luzerner Antistau-Initiative gegenüber STREETLIFE. Park+Rail sind reservierte Parkplätze für Bahnreisende an ländlichen Bahnhöfen. «Aus meiner Sicht ist es nur ein weiterer Versuch, das Auto unattraktiv zu machen und aus der Stadt fernzuhalten. Das finde ich nicht richtig.»
Die Expertin für das Programm Verkehrsdrehscheiben beim Bundesamt für Raumentwicklung ARE, Helene Bisang widerspricht. «Bei den Verkehrsdrehscheiben geht es nicht nur darum, das Auto auf einem P&R abzustellen und von dort schnell ans Ziel zu gelangen. Sie sind auch für die Abstimmung der Siedlungs- und Verkehrsentwicklung relevant. Sie sollen dort ausgebaut werden, wo die Entwicklungsschwerpunkte für Wohnen und Arbeiten liegen, damit die Verkehrsanbindung mit dem Bevölkerungswachstum mithalten kann.»
Diese Drehscheiben gibt es
Das ARE hat beim Bund die Federführung beim Thema Verkehrsdrehscheiben. Dazu sind die Bundesämter für Strassen ASTRA und Verkehr BAV, der Schweizerische Städte- und der Gemeindeverband sowie die Regierungskonferenzen für öffentlichen Verkehr KÖV und Bau, Planung und Umwelt BPUK involviert. Eine Broschüre soll aufzeigen, wie die Bevölkerung dank dieser Drehscheiben schnell und bequem ans Ziel kommen soll. Darin werden fünf Typen von Drehscheiben beschrieben und konkrete Beispiele genannt.
1. Zentrale Drehscheiben
Beschreibung: Bahnhöfe im Zentrum von mittleren und kleinen Agglomerationen
Rolle des Autos: können allenfalls angefahren werden
Beispiele: Bellinzona oder Delémont
2. Regionaler Knoten
Beschreibung: Bahnhöfe ausserhalb der Agglomeration, die den Regional- mit dem Ortsverkehr verbinden
Rolle des Autos:Kann teilweise für Anreise genutzt werden
Beispiele: Rolle VD, Biasca TI und Zernez GR
3. Drehscheiben zur Bündelung des MIV
Beschreibung: Gut erschlossenen Ortschaften im ländlichen Raum mit einer schnellen ÖV-Verbindung ins Zentrum
Rolle des Autos: Zubringer von Reisenden, damit diese auf den ÖV umsteigen
Beispiele: Bern-Neufeld, Lausanne-Vennes und Mellingen-Heitersberg AG
ÖV-Zwang?
Den Vorwurf des jungen SVP-Politiker Lucian Schneider, dass mit den Verkehrsdrehscheiben eine Umlagerung des Verkehrs auf die Schiene erzielt werden soll, verneinen die Verantwortlichen des Programms nicht vollständig. Raumplanungs-Expertin Helene Bisang: «Ja, insbesondere dort, wo die Strassen überlastet sind, fördern die Verkehrsdrehscheiben, dass die Menschen auf öffentliche Verkehrsmittel, Fuss- und Veloverkehr oder Sharing-Angebote umsteigen. In den meisten Schweizer Städten sind die Zufahrtsachsen überlastet.» Ganz ohne Autos müssen gemäss Bisang aber auch die zentralen Drehscheiben in den Städten und Agglomerationen nicht auskommen. «Es wird immer Plätze für Taxis oder auch Kiss and Ride geben, um jemanden ein- oder aussteigen zu lassen.»
Kein Verkehrsmittel bevorzugen
Trotz seiner Kritik kann der Co-Präsident der Jungen SVP Luzern der Idee des kombinierten Verkehrs auch positive Aspekte abgewinnen. «Gerade Park+Rail hat dafür gesorgt, dass Menschen in ländlichen Regionen die Vorteile des öffentlichen Verkehrs nutzen können.» Aber es braucht das Auto, auch um finanzielle und ökologische Nachteile des ÖV auszugleichen. «Es ist nicht wirtschaftlich, jedes Dorf mit einem Bahnhof oder Bus zu erschliessen. Wir erhalten wegen des Service Public unwirtschaftliche Buslinien, wo die Busse meistens leer fahren. Das ist auch schlecht für die Umwelt.»
Für ihn ist einfach eines wichtig: Schneider spricht sich stattdessen für ein Nebeneinander aller Verkehrsmittel aus: «Es braucht mehr Kapazitäten, um unsere Mobilitätsbedürfnisse zu bewältigen. Und zwar auf der Schiene und der Strasse!» Er fordert deshalb: «Die Menschen dürfen nicht gezwungen werden, auf den ÖV umzusteigen. Alle sollen ihr Verkehrsmittel frei wählen.»

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