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Verkehr •
Paare im Auto

Am Steuer gibt es noch keine Gleichberechtigung

Ein Blick in die Autos auf den Schweizer Strassen zeigt: Meistens fährt der Mann. STREETLIFE geht der Frage nach, ob die Gleichberechtigung am Steuer aufhört und versucht die Gründe für dieses veraltete Frauenbild zu finden.

Am Sonntag füllen sich die Autos. Bei vielen Familien immer noch Tradition: Der Sonntagsausflug im Auto. Beim Blick in die Autos zeigt sich ein sehr konservatives und veraltetes Familienbild auf den beiden Vordersitzen. In den meisten Fällen sitzt der Mann am Steuer und die Frau auf dem Beifahrersitz.

Technik als Grund

Die Psychologin und Fahrlehrerin Renate Siegenthaler bestätigt diese Beobachtung. Sie sieht den Grund dafür in der Vergangenheit. «Früher war Autofahren sehr technisch. Es brauchte mehr Verständnis über die Funktionsweise, weil es normal war, auch mal etwas am Strassenrand selbst reparieren zu müssen.» Beispielsweise Reifen oder Zündkerzen wechseln, aber auch einen Keilriemen anziehen. «Früher waren die Autos auch noch nicht so leicht zu fahren. Lenken oder Bremsen brauchte viel Kraft, und vor einer Kreuzung musste man frühzeitig herunterschalten und Zwischengas geben», so Siegenthaler.

Selbstverständlich konnten Frauen auch schon damals die Technik verstehen. Nur passte das nicht ins Weltbild. Zudem galt der Mann als Familienoberhaupt, weshalb ihm das Fahren oblag. Heute ist Autofahren für beide Geschlechter viel einfacher, und es braucht kaum noch technisches Verständnis. Davon profitieren auch Männer, die mit Technik nicht viel anfangen können. Die Servolenkung unterstützt beim Lenken, und die meisten Neuwagen werden heutzutage mit Automatikgetriebe verkauft.

Konservatives Familienbild

Trotzdem: Am Fahrverhalten in Familien hat sich kaum etwas geändert. «Eine solche Rollenverteilung schauen die Menschen oft im Elternhaus ab und übernehmen sie eher unbewusst», erklärt Siegenthaler. «Wer damit aufgewachsen ist, dass der Vater immer fährt, lässt auch in seiner Familie eher den Vater fahren.» Abgesehen davon herrsche in der Schweiz immer noch ein sehr konservatives Familienbild: «Sobald ein Paar Kinder bekommt, ist es die Frau, die reduziert oder zuhause bleibt. Der Mann gilt immer noch als Ernährer. Diese Rolle behält er im Auto.»

Das führt zu einem weiteren Grund, wieso immer noch vor allem Männer fahren: die Fahrpraxis. «Die Frauen fahren nicht mehr so oft. Wenn ihnen dann der Mann vom Beifahrersitz aus auf die Finger schaut und es sein Auto ist, kann das stressig sein», weiss Siegenthaler aus Erfahrung. Sie hilft Menschen, Fahrangst zu überwinden, die aus solchen Situationen oder langen Fahrpausen entstehen kann. «Die Frauen verzichten dann freiwillig darauf zu fahren und entspannen als Beifahrerin.»

Männer benehmen sich schlecht

Oftmals spielt es auch eine Rolle, wessen Fahrzeug es ist. Bei einem Familienausflug wird das grosse Familienauto gewählt. «Und oft gehört das grosse Auto dem Mann und das kleinere der Frau», ordnet Siegenthaler ein. «Viele Frauen fühlen sich im kleineren Auto wohler und wollen das grosse gar nicht fahren.» Wobei das manchmal auch daran liegt, wie Männer ihre Wagen verherrlichen. «Ich hatte schon Frauen, die mir erzählten, sie hätten einen Randstein touchiert, und ihre Partner seien deswegen ausgerastet. Danach fuhren die Frauen in der Mitte der Strassen und riskieren lieber eine Streifkollision mit einem entgegenkommenden Fahrzeug, als nochmal einen Randstein zu touchieren.»

Kommt dazu: «Sehr viele Männer sind schlechte Beifahrer. Sie regen sich über alles auf, und einige denken, ihre Frau müsse so fahren wie sie», weiss die Psychologin. Sie würde es begrüssen, wenn die Frauen mehr am Steuer sitzen würden. «Ich bin überzeugt, dass Frauen die besseren Lenkerinnen sind, weil sie besonnener sind.» Männer hingegen würden aggressiver fahren «und provozieren. Aber mich hat noch nie jemand provoziert oder auf der Autobahn zu Spielchen herausgefordert. Die Männer wissen, dass Frauen darauf nicht reagieren.»

Automatismen durchbrechen

Damit die Gleichberechtigung ihren Weg auch bei Familien ins Auto findet, brauche es Geduld. Denn wenn sich ein Paar erst angewöhnt hat, dass der Mann fährt, werde es zu einem Automatismus, sagt Siegenthaler. «Der Mann läuft immer direkt zur Fahrerseite und die Frau zur Beifahrerseite.» Solche Gewohnheiten aufzubrechen, brauche ein Bewusstsein für die Situation – und vor allem viel Zeit.

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