Werbung
Verkehrschaos befürchtet – ACS und Gewerbe lancieren Widerstand
Die Gegenvorschläge zu den Klima-Initiativen sehen vor, dass 600'000 Quadratmeter der Zürcher Strassen in zehn Jahren nicht mehr durch das Auto genutzt werden können. Jetzt organisiert sich heftiger Widerstand seitens Gewerbe, Bürgerliche und ACS. Die Zürcher Stimmbevölkerung stimmt am 22. September über die Vorlagen ab.
Einerseits will der Gegenvorschlag zur Initiative für eine zukunftsfähige Mobilität (Zukunfts-Initiative), dass 462 000 Quadratmeter des Strassennetzes für ÖV, Velos und Fussgänger umgestaltet werden. Andererseits verlangt der Gegenentwurf zur Initiative für ein gesundes Stadtklima (Gute-Luft-Initiative), dass 145 000 Quadratmeter Strasse in Grünflächen und Flächen für Bäume verwandelt werden.
Die Gegenvorschläge verlangen also, dass dem motorisierten Individualverkehr in Zürich innerhalb von zehn Jahren rund 600'000 Quadratmeter Strasse entzogen werden.
Dagegen fomiert sich jetzt Widerstand. «Uns ist nicht ersichtlich, wo genau diese Fläche abgebaut werden soll, ohne dass es zum Verkehrschaos kommt», sagt Ruth Enzler, Präsidentin des Automobil Club der Schweiz (ACS) Sektion Zürich. Der ACS befürchtet gravierende Folgen, falls die Gegenvorschläge angenommen würden. Es werde zu Stau kommen, die Versorgung werde beeinträchtigt und die Kosten seien unkalkulierbar, schreibt der Club in seiner aktuellen Mitteilung.
Dabei herrschen in der Stadt schon heute enge Platzverhältnisse. Das kriegt allen voran das Gewerbe hart zu spüren. Nicole Barandun vom Gewerbeverband der Stadt Zürich sieht zwar Bestrebungen der Stadt für den Güterumschlag. Aber: «Es verschwinden zu viele Parkplätze», stellt die Verbandspräsidentin fest. «Das Gewerbe benötigt Parkings, auf denen es auch längere Zeit bleiben kann.» Andernfalls würden diese fehlen. Stand jetzt würden beispielseise zahlreiche Gärtnereien keine Aufträge in der Stadt mehr annehmen.
Streitpunkt Versorgung
Die Versorgung der Zürcherinnen und Zürcher müsse gesichert sein, betont die Gegnerschaft. Tatsächlich sieht der ACS Sektion Zürich bei einer Annahme der Gegenvorschläge die Grundversorgung aber gefährdet. «Es gibt schon heute zu wenig Umschlagplätze. Gleichzeitig muss eine wachsende Bevölkerung versorgt werden, zum Beispiel durch Lieferanten, Handwerker oder Notfahrzeuge», sagt Enzler.
Die Stadt Zürich hingegen hält die Grundversorgung dank effizienter Strassennutzung für gesichert und verweist auf Anfrage von STREETLIFE auf die Strategie «urbane Logistik und Gewerbeverkehr». Bereits heute würde Strassenraum zugunsten des Gewerbes umverteilt, so Nora Eichhorn, Kommunikationsfachfrau der Stadt Zürich. Davon würden lokale Geschäfte und Dienstleister besonders profitieren. Zudem sei es im Sinne der Dienstleister und jener Verkehrsteilnehmenden, die aufs Auto angewiesen seien, wenn mehr Menschen zu Fuss, mit dem Velo oder dem ÖV unterwegs seien. Eichhorn: «Sie finden leichter Parkplätze, wenn nur der notwendige Autoverkehr auf den Strassen unterwegs ist».
Widerstand gegen Strassenabbau
Der Kampf um die Strassen tobt währenddessen auch in anderen Schweizer Städten (STREETLIFE berichtete). Entsprechende Klima-Initiativen wurden vom Verein Umverkehr in unterschiedlichen Städten lanciert. Zuletzt wurden Gegenvorschläge in Winterthur angenommen. Dort werden nun 250’000 Quadratmeter Strasse neu gestaltet. Wird es in Zürich ähnlich sein? Klar ist: Der Widerstand in der Limmatstadt ist gross. Das zeigt die nach den Sommerferien ins Leben gerufene IG Stadtleben.
In dieser formieren sich die Gegner der Gegenvorschläge. Darunter Politiker von Mitte bis Rechts, der ACS Sektion Zürich und der Gewerbeverband der Stadt Zürich. Die IG rät zur Ablehnung und warnt vor einem Verkehrschaos, fehlenden Parkplätzen, Staub und Lärm. Und nicht zuletzt – vor den nicht absehbaren finanziellen Folgen der Klimavorlagen.
Der Verein Umverkehr, der die Klima-Initiativen initiiert hat, betont auf seiner Website indes, dass es mit den Gegenvorschlägen in Zürich mehr Bäume und Grünflächen sowie sichere Verkehrswege in den Quartieren geben werde. Auch AL, GLP, Grüne, SP empfehlen, die Gegenvorschläge anzunehmen. FDP, SVP, Die Mitte und EVP hingegen raten zur Ablehnung. Sie kritisieren die Machbarkeit, befürchten eine Zunahme an Baustellen, einen massiven Abbau von Quartierparkplätzen sowie einen Verlust an Lebensqualität in der Stadt.
Keine neuen Projekte
Doch wie steht es um die finanziellen Folge einer Annahme der Gegenvorschläge? Die Kosten würden nicht explodieren, da die meisten Massnahmen innerhalb anderer Projekte ergriffen würden, sagt die Stadt. «Die Annahme der beiden Gegenvorschläge führt deshalb nicht zu zusätzlichen Projekten. Vielmehr werden die Ziele weiterhin im Rahmen von regulären Strassenbauprojekten und deren Kostenbudgets umgesetzt», sagt Eichhorn. «Deshalb wird es weder zu Grossbaustellen, Verkehrschaos noch Kostenexplosionen kommen.»
Auch von einem Chaos will die Stadt nichts wissen. In den aktuellen Strassenbauprojekten würden die Forderungen der Initianten bereits heute integriert, so Eichhorn. Sie betont: «Die Gegenvorschläge entsprechen den Zielen der Richtplanung sowie der städtischen (Teil-)Strategien.»
Diese langfristige Perspektive vermisst Nicole Barandun. Sie sei wie die IG Stadtleben durchaus für Begrünung und Entsiegelung von Strassenflächen. Allerrdings scheint ihr der Plan der Klima-Initiativen zu kurzfristig: «Wir leben in einer gewachsenen Stadt. Es macht ökonomisch und ökologisch keinen Sinn, eine Fläche von 85 Fussballfeldern innerhalb von zehn Jahren komplett umzubauen».
Werbung