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Verkehr •
Verkehrspsychologin erklärt

Ärger wegen Reissverschlussprinzip: «Wir sind ein Volk von Egomanen»

Seit dem 1. Januar 2021 ist in der Schweiz das Reissverschlussprinzip obligatorisch. Doch das neue Gesetz bringt bei vielen Autolenkenden regelmässig das Blut zum Kochen. STREETLIFE hat mit einer Verkehrspsychologin über die Gründe gesprochen.

Wer kennt das nicht: Du sitzt im Auto und bist auf dem Nachhauseweg. Die Fahrzeuge auf der Autobahn kommen nur schleppend voran und ausgerechnet jetzt wird wegen Bauarbeiten der Verkehr auf nur noch eine Spur umgeleitet. Die Folge: Während du im Stau stehst, fährt ein Auto nach dem anderen links an dir vorbei, damit es sich weiter vorne in deine Spur einfädeln kann. Zunächst trägst du dieses ausgebremst sein mit Fassung. Doch je länger es andauert, steigt die Wut in dir hoch.

Betrachtet man die Gesetzeslage, ist dieser Ärger komplett unbegründet. Seit dem 1. Januar 2021 ist das sogenannte Reissverschlussprinzip in der Verkehrsregelnverordnung VRV unter Art. 8 Abs. 5 eindeutig geregelt. So gilt:

«…endet ein Fahrstreifen, so ist unmittelbar vor Beginn der Verengung den am Weiterfahren gehinderten Fahrzeugen abwechslungsweise der Übergang auf den benachbarten Fahrstreifen zu ermöglichen. »

Autofahrerinnen und -fahrer müssen also andere Verkehrsteilnehmende in den Verkehr einfädeln lassen. Doch warum reagieren wir in solchen Situationen zuweilen aggressiv und missachten sogar das Gesetz, um dem anderen Verkehrsteilnehmenden einfach nicht den Vortritt zu gewähren? 

Zu wenig «gemeinsam Verkehr»

Dr. Charlotte Wunsch, Psychotherapeutin und Verkehrspsychologin aus Baden AG und Zürich, erklärt das Phänomen mit einem fehlenden Gemeinschaftsgefühl im Verkehr: «Wir sind in der Schweiz ein Volk von Egomanen und Individualisten. Alles ist individualisiert, Individualität wird als sehr wichtig erachtet.» Wunsch fügt an: «Dabei geht es im Verkehr um ein Wir. Wir machen zusammen Verkehr. Man muss sich in die Gemeinschaft einordnen.» 

Weiter fehle es den Leuten an Teamarbeit, Rücksicht, Umsicht, Respekt und Toleranz. «Alle wollen schnell irgendwohin, aber keiner ist wichtiger als der andere – ausser die Blaulichtbeamten.» Darüber hinaus sei noch ein weiterer Punkt entscheidend: «Wir Menschen leiden wie Tiere auch unter Dichtestress. Wenn es zu viele von uns an einem Ort hat, dann werden wir aggressiv.»

Viel Zeit einberechnen

Als Prävention gegen aufsteigende Wut und zusätzlichen Stress rät die Ärztin, viel Zeit in den Verkehrsalltag einzuplanen. «Heute gibt es dauernd Stau, irgendwo wird man immer aufgehalten.» Wunsch ergänzt, würde man gemeinsam, als Wir den Verkehr gestalten, dann gäbe es weniger Stau, weniger Drängler, weniger gefährliche Situationen. Und schliesslich wäre alles viel gelassener: «Mit mehr Zeit hat man weniger Stress, mit weniger Stress ist man weniger aggressiv, dann hat man Zeit, nett zu anderen Verkehrsteilnehmenden zu sein und kommt rechtzeitig und entspannt am Zielort an.»

So fährst du nach dem Reissverschlussprinzip richtig

Das obligatorische Reissverschlussprinzip sieht vor, dass man auf der Spur bis ganz nach vorne fährt. Auf den früheren Spurwechsel soll verzichtet werden, da es so zu unnötigen Stockungen kommt. Das System soll dabei helfen, den Verkehr flüssiger zu gestalten und Rückstau zu verhindern. Wichtig ist: Der Autofahrende, der sich in die neue Spur einfädelt, ist nicht vortrittsberechtigt, er darf deshalb das Einspuren nicht erzwingen. Das Reissverschlussprinzip gilt übrigens auch an Autobahneinfahrten. Wer sich nicht an das Obligatorium hält, kann mit einer Ordnungsbusse von 100 Franken bestraft werden.

 

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