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Warum Städte und Autofahrende wieder zusammenfinden müssen
Tempo 30, Quartiersperren und Regulierungen prägen die Verkehrspolitik vieler Schweizer Städte. Donato Bochicchio, Vizepräsident von auto-schweiz, zeigt auf, warum das Auto trotz Klimazielen eine zentrale Rolle in Städten behalten wird – und weshalb die Zukunft der Mobilität vor allem eines braucht: mehr Miteinander.
Wer in Schweizer Städten ein Auto besitzt, hat es nicht leicht. Im Gegenteil: In den vergangenen Monaten ist eine deutliche Dynamik gegen den motorisierten Individualverkehr zu beobachten – vor allem in den Städten. In Zürich, Luzern und Lugano werden Projekte angedacht und umgesetzt, die den Autoverkehr reduzieren, verlangsamen oder lokal verlagern sollen. Beispiele wie die Tempo-30-Zonen rund um den Hauptbahnhof in Zürich, die Initiative «Strassenräume für alle», die eine weitgehend autofreie Zürcher Innenstadt fordert, sowie der Netto-Null-Fahrplan per 2040 markieren nur die Spitze dieser Bewegung.
Donato Bochicchio, Vizepräsident von auto-schweiz, ordnet diese Entwicklung für STREETLIFE ein. Ihn stört vor allem etwas: «Diejenigen, welche das Auto nicht benutzen wollen, entscheiden heute bei Abstimmungen über die Mobilität von morgen. Daraus entsteht ein heikles Gegeneinander. Wir sollten aber wieder zurückfinden zum Miteinander zwischen Pendlern, Gewerbe, ÖV und Stadtplanung.»
Gut gemeint, aber...
Seiner Einschätzung nach seien viele städtische Vorstösse durchaus gut gemeint. Sie hätten aber oft praktische und wirtschaftliche Konsequenzen, die vielen nicht bewusst sind – und die in der öffentlichen Debatte auch kaum thematisiert werden. «Netto Null beispielsweise ist ein ambitioniertes Ziel. Aber es erfordert massive Einschränkungen der persönlichen Freiheit», sagt er. Drei Viertel aller Personenkilometer würden in der Schweiz mit dem Auto zurückgelegt. Ignoriert man das, entstehen Probleme für Haushalte und Unternehmen: «Die Leidtragenden sind private Haushalte und Gewerbler. Zumal Dienstleistungen verteuert werden und die Lebensqualität leidet.»
Auch in Luzern zeigte sich vor nicht allzu langer Zeit, wie lokalpolitische Verkehrsvorstösse diskutiert werden. Eine Initiative für autofreie Zonen – die Sperrungen in vier Quartieren vorsah – wurde von der Bevölkerung zwar mit deutlichem Nein abgelehnt. Der politische Diskurs über mögliche Verkehrsberuhigungen läuft jedoch weiter. Bochicchio kommentiert dazu: «Solche Diskussionen zeigen, wie wichtig es ist, dass Verkehrsplanung praktikabel bleibt und alle Verkehrsteilnehmer berücksichtigt werden. Wenn Hauptachsen blockiert werden, haben Pendler, Gewerbe und Rettungsdienste Nachteile.»
Klare nationale Leitplanken
In Lugano zeigte sich, wie deutlich die Bevölkerung auf Eingriffe in den Verkehrsfluss reagiert. Der Stadtrat hatte Anfang 2025 vorgeschlagen, zusätzliche 30er-Zonen einzuführen und zwei Begegnungszonen mit Tempo 20 zu schaffen. Diese Massnahmen wären Teil eines breiteren Verkehrskonzepts gewesen, das rund 38 Kilometer städtischer Strassen betroffen hätte. Ende September lehnte die Bevölkerung das Paket jedoch mit deutlicher Mehrheit ab. Für Donato Bochicchio bestätigt dieses Resultat, «dass viele Menschen spüren, wie wichtig funktionierende Verkehrsachsen im Alltag sind. Man kann über Temporeduktionen diskutieren, aber sie müssen sinnvoll sein, die Mobilität nicht behindern und von der Bevölkerung mitgetragen werden.» Zumal oft völlig ausgeblendet würde, dass Strassen auch für den Gütertransport da seien.
Bochicchio betont mehrfach, dass die Strasse ein gemeinsamer Raum sei. «Früher galt ein klares Prinzip: Kooperation statt Schikanen. Heute werden Parkplätze reduziert, Verkehrsflüsse künstlich gebremst, und oft wirkt alles ideologisch getrieben.» Aus seiner Sicht brauchen Städte und Gemeinden klare nationale Leitplanken. Quartierstrassen sollten verkehrsberuhigt sein, Hauptachsen aber funktionsfähig bleiben – für Pendler und Gewerbe. Bochicchio: «Wir wissen aus unserer diesjährigen Umfrage «Mobilitätsmonitor», dass die Schweizer Bevölkerung in grosser Mehrheit aufs Auto im Alltag und bezahlbare Mobilität angewiesen ist.» Doch die aktuelle Stimmungslage und die politische Windrichtung spiegeln diese Realität aus seiner Sicht immer weniger wider.
«Mobilität für alle» – ein wichtiges Signal
Auch die Ablehnung des Nationalstrassenausbaus vor einem Jahr sieht Bochicchio als verpasste Chance: Sechs Teilprojekte hätten Engpässe beseitigt, den Verkehrsfluss verbessert und Städte entlastet. Die Finanzierung war gesichert, trotzdem wurde abgelehnt: «Die Folge ist: Staus belasten KMUs, Pendler und die Volkswirtschaft.»
Vor diesem Hintergrund gewinnt die Abstimmung «Mobilität für alle» vom kommenden Wochenende erst recht eine besondere Bedeutung. Die kantonale Initiative in Zürich sieht Tempo 50 auf Hauptachsen als Regel vor, Ausnahmen bleiben möglich. Bocchicchio: «In Zürich und Winterthur wird Tempo 30 ideologisch eingesetzt, um Autos aus der Stadt zu verdrängen. Diese Initiative sorgt dafür, dass Hauptachsen weiterhin funktionieren – für alle Verkehrsteilnehmer.» Laut dem Vizepräsidenten von auto-schweiz ist es deshalb wichtig, dass Autofahrende hier ein Zeichen setzen: «Das Resultat kann den Trend bestärken – oder ihn im besten Fall bremsen.»
Seine Perspektive bleibt dabei konstruktiv: «Die Schweiz muss weniger Ideologie, dafür mehr Miteinander in der Verkehrspolitik leben. Auto, ÖV, Fahrrad, Lieferverkehr – alles muss zusammen funktionieren.» Und er verweist auf die wirtschaftliche Bedeutung des Autos: «Die Schweiz ist ein Pendlerland. Vier von fünf Menschen pendeln täglich, mehr als die Hälfte davon mit dem Auto. Diese Realität lässt sich nicht wegregulieren.»
Fortschritte zu wenig beachtet
Letztlich betont Bochicchio auch die Fortschritte der Branche, die in der öffentlichen Debatte gern und oft übersehen werden: «Trotz wachsendem Fahrzeugbestand sind die CO₂-Emissionen massiv gesunken. Unsere Industrie arbeitet effizient und innovativ. Auch das muss anerkannt werden.» Für ihn gilt: Klimaziele und eine Mobilität, die für alle stimmt, können nur erreicht werden, wenn Politik, Wirtschaft und Bevölkerung zusammenarbeiten.
Sein Appell lautet denn auch: «In Zürich und anderen Städten bekommt man den Eindruck, dass die Stadt den Autofahrern den Kampf angesagt hat. Früher war aber allen klar, dass auf der Strasse ein Miteinander gilt. Wir müssen wieder mehr in diese Richtung – nicht nur, aber vor allem auch in den Städten.»

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