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VW Tiguan – zu freundlich für einen SUV?
SUV sind die beliebtesten Autos der Schweiz. Den Beweis dafür liefern die Verkaufszahlen von VW. Der teure Tiguan hat den günstigeren Golf als meistverkauftes Modell abgelöst. Die STREETLIFE-Autochecker streiten darüber, ob das verdient ist.
Bartholdi: Bullige Autos dominieren das aktuelle Strassenbild. Der Grund dafür ist der SUV-Boom. Diese hochgebockten Crossover sollen mächtig und kraftvoll erscheinen. Dazu stellen die neuen VW einen Gegenpool dar. Mit den elektrischen ID-Modellen startete eine neue Design-Sprache, welche die Front sehr freundlich aussehen lässt. Inspiriert wurden sie von den zwei Ikonen VW Käfer und Bulli. Während das einem ID.Buzz, einem Passat oder auch einen ID.4 gut steht, passt es nicht zum neuen Tiguan. Dem Bestseller fehlt der markante Auftritt seines Vorgängers. Und trotz des freundlichen Gesichts sieht er austauschbar aus. Aber ich bin sicher, SUV-Fan Aellig findet einen Weg, sich den Tiguan schönzureden.
Aellig: Die erhöhte Sitzposition der SUVs steigern das Selbstwertgefühl der Menschen, welche hinter dem Steuer sitzen. Zudem sorgen mehr Masse und mehr Gewicht für mehr Sicherheit. Kein Wunder, nimmt der Siegeszug der SUVs kein Ende. Meister des durchschnittlichen, gefälligen SUV ist der ewige Bestseller VW Tiguan. Auch der Tiguan der dritten Generation wird sich wieder blendend verkaufen. Weshalb? Weil der neue Tiguan optisch voll gelungen ist. Smarte Linien, stimmige Proportionen. Der dritte Tiguan muss sich designmässig weder vor BMW noch vor Mercedes verstecken. Passat oder ID.4 sind langweilige Dutzendware. Der neue Tiguan hingegen verschönert das Strassenbild. Im wunderschönen Cipressino-Metallic-Grün nimmt der von uns getestete Tiguan zudem Rücksicht auf Bartholdis Abneigung gegen weisse und graue Autos.
Von C&A-Pullis und Lavalampen
Bartholdi: Geschätzter Kollege, in einem Land, in dem fast nur weisse und graue Autos herumfahren, sind hohe Absatzzahlen nicht gerade ein Beweis für schönes Design. Das spricht eher für unauffällige Massenware wie Pullover von C&A. Im mehrheitlich schwarzen Innenraum sorgt immerhin eine Ambientebeleuchtung für Abwechslung und etwas Farbe. Aber das dürfte Aellig schon wieder zu knallig sein.
Aellig: Kollege Bartholdi trifft exakt einer der wenigen, wunden Punkte des neuen Tiguans. Den Designer der peinlichen Ambientebeleuchtung würde ich entlassen oder zumindest den Lohn kürzen. Dieses illuminierende Strichdesign in Armaturen und Türen erinnert an die Inneneinrichtung einer italienischen Disco aus den 70er-Jahren. Immerhin verbaut VW keine Lavalampen im neuen Tiguan. Aber sonst wirkt das Cockpit sehr intuitiv und gestylt.
Pentti Aellig
Schon als Kind begeisterte ich mich für Autos. Mit 12 fuhr ich (unerlaubterweise) bereits mit dem elterlichen Citroën 2CV herum. Mit 15 reiste ich alleine an ein Formel-1-Rennen in Monza. Und mit 22 kaufte ich mir einen Peugeot 205 GTI. Die Liebe zu dynamischen Hot Hatches ist geblieben: Als jahrelanger Porsche 911-Fahrer bin ich im Zeitalter der Klimaproteste auf einen unauffälligen Toyota GR Yaris umgestiegen. Die vielen neu erscheinenden Steckerautos verfolge ich neugierig, aber die Entwicklung ökologisch verbesserter Verbrennermotoren schreibe ich noch nicht ab.
Bartholdi: Beim Cockpit legen wir auf ähnliche Punkte wert. Ich stimme Aellig tatsächlich zu, dass dieses gelungen ist: aufgeräumt und übersichtlich. Mir gefallen die durchdachten Ablageflächen fürs Smartphone. Die zwei induktiven Ladeschalen in der Mittelkonsole haben einen Deckel, auf den sich das Telefon legen lässt, wenn es gerade nicht geladen werden soll. Beide Ablagen haben zusätzlich den Vorteil, dass das Telefon ans Kabel angeschlossen werden kann. Einen grossen Fortschritt hat auch das Multimediasystem gemacht. Es arbeitet im Tiguan viel schneller als in anderen VW-Modellen, die wir getestet haben. Sehr angenehm, nicht wahr, Aellig?
Aellig: Stimmt. VWs neuere Multimediasysteme werden schneller und besser. Beim Fahren stört mich hingegen etwas anderes: Der Gangwählhebel wurde aus der Mittelkonsole verbannt. Neu funktioniert die Gangwahl über einen kleinen Lenkstockhebel, welcher rechts dort platziert wurde, wo bisher der Scheibenwischerhebel sass. Der Scheibenwischer wanderte neu nach links. Da braucht es einige Kurven, bis die linken und rechten Hirnhälften die eingespielten Muster neu kalibriert hat.
Mit Diesel zur Einigkeit
Bartholdi: Dass VW gegen den Strom schwimmt, ist eher selten. Der grösste Autobauer Deutschlands setzt für gewöhnlich auf Massentauglichkeit. Doch beim Antrieb hält VW – neben den aktuell noch akzeptierten Benzin- und Hybrid-Motoren – auch am verschmähten Diesel fest. Wenige Autobauer trauen sich das noch, dabei passt der drehmomentstarke Antrieb am besten zu SUVs. Mit 193 PS und 400 Nm ist der allradgetriebene Tiguan gut gerüstet für alle Herausforderungen, die der Familien-Alltag bereithält. Mir gefällt der Antrieb mit Abstand am besten am Fahrzeug, mit seiner Laufruhe und dem kraftvollen Antritt. Eigentlich sind Aellig und ich in Sachen Antrieb offen, aber wenn mir etwas gefällt, stört er sich für gewöhnlich daran. Ich bin gespannt, ob er am Diesel im Bestseller etwas auszusetzen hat.
Aellig: Ich freue mich immer, wenn Bartholdi und ich ausnahmsweise generationenübergreifend einer Meinung sind. Der 4-Zylinder Turbodiesel passt tatsächlich perfekt zum Tiguan 3. Im Meister aller Durchschnitts-SUVs wirkt dieser drehmomentstarke und verbrauchsgünstige Diesel als das ideale Triebwerk. Klar, noch mehr Leistung hätte nicht geschadet. Die herrliche Laufruhe bei entspannter Fahrweise und das bewährte 7-Gang-Doppelkupplungsgetriebe aus dem Volkswagen-Regal überzeugen mich.
Martin A. Bartholdi
Mit dem Autofieber haben mich die Kult-TV-Serie «Knight Rider» und das Formel-1-Rennen in den Strassenschluchten von Monte Carlo infiziert. Noch heute zaubern mir US-Sportwagen mit langen Motorhauben wie der Ford Mustang und wendige Kurvenkratzer wie der Mazda MX-5 ein Lächeln ins Gesicht. Mit Kombis und vor allem SUVs kann ich allerdings nur wenig anfangen, dann doch lieber echte Geländewagen. Wohl die Schuld des Computerautos K.I.T.T. ist auch, dass ich gerne neue technische Spielereien ausprobiere, seien es Assistenten, Infotainment oder Vernetzung.
Bartholdi: Neben dem Antrieb ist der Tiguan ein typischer VW und sticht in keiner Fahr-Disziplin aus der Masse heraus. Das Fahrwerk ist weder besonders weich noch besonders hart. Die Lenkung gibt gerade genug Rückmeldung, um nicht schwammig zu sein, wirkt aber auch nicht hypersensibel auf jede feinste Berührung des Lenkrades. Alles in allem könnte man sagen, dass der Tiguan pures Mittelmass ist und völlig unaufgeregt fährt. Genau das ist das Geheimnis seines Erfolgs und deshalb ein Kompliment für den Bestseller.
Aellig: Die Meinungen der STREETLIFE-Auto-Checker driften nur leicht auseinander. Das Fahrwerk, welches sich in der Härte über 24 Stufen von butterweich bis zu sportiv manuell einstellen lässt, sticht positiv aus der Masse der Mittelklasse-SUVs heraus. Auch das Design verlässt das WV-typische, solide Mittelmass. An einer Veranstaltung platziere ich den neuen Tiguan direkt beim Eingang. Während der Pause studieren zwei Dutzend Besucher Volkswagens neuster SUV und geben ihm Höchstnoten beim Aussehen.
Unser Schlusswort
Bartholdi: Der Tiguan ist ein tadelloses Fahrzeug und gönnt sich keine Schwächen. Mich überzeugt der Antrieb am meisten, aber da ich kein SUV-Fan bin, würde ich ihn wohl im Passat wählen. Dem Familien-Kombi steht auch das neue freundliche VW-Gesicht besser. Am meisten erstaunt mich allerdings, dass sich der Tiguan bei dem stolzen Preis immer noch so gut verkauft. Fast 75'000 Franken ist viel Geld für einen Volkswagen, das auch in der Schweiz nicht mehr alle Familien bezahlen könne. Und wer das Geld hat, bekommt dafür eine Marke mit mehr Prestige.
Aellig: Privat bin ich zehn Jahre lang einen VW Tiguan 1 mit 2.0-Liter Diesel und Doppelkupplungsgetriebe gefahren. Dieses Auto war gutes, solides Mittelmass. Für den Schummeldiesel entschuldigte sich Volkswagen damals mit einem kleinen Sackmesser als Werbegeschenk. Mit dem Tiguan 3 durchbricht VW nun das Mittelmass und strebt Richtung vorbildliche Klasse: Ein optisch wunderschönes Auto mit passender Motorisierung und guter Verarbeitung. Zwei kleine Kritikpunkte: Das fragwürdige Illuminations-Strichdesign und ein leichtes Quietschgeräusch in der Fahrersitzstütze bei Kälte.
VW Tiguan «R Line» 4Motion: Fakten
- Motor: 2.0-R4-Turbo-Diesel, 193 PS (142 kW), 400 Nm@1750/min
- Antrieb: 7-Gang-Doppelkupplungs-Automatik, 4x4
- Fahrleistung: 0-100 km/h in 7,7 s, Höchstgeschwindigkeit 220 km/h
- Verbrauch: Werk / Test: 6,6 / 6,8 l/100 km = 174 / 179 g CO₂/km, Energieeffizienz E
- Masse: Länge/Breite/Höhe: 4,54 m / 1,84 m / 1,66 m
- Laderaum: 652 bis 1650 l
- Leergewicht: 1893 kg, Anhängelast ungebremst/gebremst: 750 kg/2200 kg
- Preis: ab 59’500 Fr.; Testwagen mit Extras Infotainment (2390 Fr.), Lederausstattung (2220 Fr.), Panorama-Schiebedach (1560 Fr.), Anhängevorrichtung (1380 Fr.), u. a.: 74'331 Fr. (Basis: 1.5 TSI «Basis», Benzin, 130 PS, Automat, Front: 37'900 Fr.)
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