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Tempo 80 – wer wirklich auf die Bremse tritt
Alle reden über Tempo 80 auf Schweizer Autobahnen. Bundesrat Albert Rösti verteidigt die Massnahme, Kritiker dagegen wittern Willkür. Doch wer bestimmt eigentlich, wann auf der Autobahn runtergebremst werden muss? STREETLIFE hat beim Bundesamt für Strassen ASTRA nachgefragt.
Tempo 80 auf Scweizer Autobahnen ist derzeit in aller Munde. Denn: Um den Verkehrskollaps zu verhindern, will der Bund die Geschwindigkeit auf Teilstücken zu Stosszeiten drosseln (STREETLIFE berichtete). Die Reaktionen? Autofahrende stöhnen, Politiker diskutieren, die in der Presse wird spekuliert. Kürzlich musste sogar Bundesrat Albert Rösti an einem Podium zum Thema Mobilität der Zukunft in Zürich Stellung zum Thema beziehen.
Er winkte ab, als die Rede auf Gerüchte kam, das ASTRA würde das Tempolimit je nach Lust und Laune ändern. «Ich kann Ihnen versichern: Da schraubt keiner einfach an einem Knopf herum», sagte er mit einem Augenzwinkern. Im Gegenteil: Es sei ein «ausgeklügelter Algorithmus», der hier zum Zug kommen würde. Doch was heisst das genau? Wer entscheidet, wann auf Schweizer Autobahnen 120 km/h erlaubt ist – und wann auf 80 gebremst werden muss? STREETLIFE hat beim Bundesamt für Strassen ASTRA nachgefragt.
Das Nervensystem der Autobahn
Tatsächlich würde «niemand an einem Knopf drehen», bestätigt Thomas Rohrbach. Stattdessen überwachen intelligente Systeme den Verkehr in Echtzeit, so der ASTRA-Mediensprecher. Entlang der Nationalstrassen würden hunderte Sensoren stehen. Auf dynamischen Abschnitten – alle tausend Meter – messen sie, wie viele Fahrzeuge unterwegs sind, wie schnell diese fahren und um welche Fahrzeugtypen es sich handelt: LKW, Personenwagen, Transporter und so weiter.
Diese Daten fliessen im Minutentakt in ein zentrales System – konkret in das nationale Verkehrsmanagementzentrum in Emmen. Dort beobachten Fachleute auf grossen Monitoren, wie sich der Verkehr in Echtzeit entwickelt. Wird eine Anomalie erkannt, etwa dichter Lastwagenverkehr oder ein sich anbahnender Rückstau, greift die Software automatisch ein – lange bevor die ersten Bremslichter aufleuchten. Wenn der Verkehr dichter wird, fällt das Limit erst auf 100 km/h, bei weiter steigendem Druck auf Tempo 80. Nimmt das Verkehrsaufkommen wieder ab, wird das Tempo stufenweise erhöht.
Einheitlich und intelligent
«Die zugrunde liegende Logik – das Gehirn der Anlage – wird vom ASTRA einheitlich vorgegeben», sagt Rohrbach. Egal ob Zürich, Bern oder Tessin: Die Systeme arbeiten alle nach denselben Regeln. «Diese Anlagen beruhen auf ausgeklügelten Algorithmen, die Daten intelligent verarbeiten und selbständig Entscheidungen treffen», erklärt Rohrbach. Sekundenbruchteile entscheiden darüber, wann das Limit fällt – und wann es wieder steigt.
Rechtlich ist das abgesichert. Laut Strassenverkehrsgesetz darf der Bund die Geschwindigkeit anpassen, wenn es die Verkehrsverhältnisse verlangen. Dauerhafte 80er-Zonen braucht es dafür nicht – entscheidend ist, dass der Verkehr fliessen kann. Damit ist das ASTRA auch juristisch auf sicherem Asphalt unterwegs.
Ziel sei ein «vorhersehbarer, flüssiger Verkehr». Wer pendelt, weiss: Wenn es eng wird, senkt sich das Tempo – überall gleich. Gleichzeitig behalten Menschen die Kontrolle. In den Verkehrsleitstellen beobachten Fachleute den Verkehr und können bei Baustellen, Unfällen oder liegengebliebenen Fahrzeugen eingreifen. Dann wird das automatische System gezielt übersteuert.
Wenn Algorithmen Stau wittern
Doch wie erkennt das System, dass sich ein Stau bildet? Die Antwort ist erstaunlich simpel: Es misst die Fliessgeschwindigkeit. Sinkt sie unter einen bestimmten Wert und steigt gleichzeitig die Fahrzeugdichte, schlägt der Algorithmus Alarm. Die Tafeln zeigen dann tiefere Geschwindigkeiten an. Das Ziel ist es, den Verkehr zu bremsen, bevor er stockt. Denn bei Tempo 80 bewegen sich Autos zwar langsamer, aber auch gleichmässiger. Das reduziert die Stop-and-Go-Dynamik, Unfälle sowie ganz generell den Stress am Steuer.
Smarte Systeme mit Zukunft
Laut Bund sind per Ende 2024 bereits 507 Kilometer der Schweizer Autobahnen mit Anlagen ausgerüstet, mit deren Hilfe bei Bedarf die Signalisation der Höchstgeschwindigkeit angepasst werden kann. In den nächsten Jahren soll rund 600 weitere Kilometer dazukommen.
Noch steckt die künstliche Intelligenz im ASTRA-System in den Anfängen. Bisher steuern klassische Algorithmen die Temporeduktionen – sie reagieren, sobald bestimmte Schwellenwerte erreicht sind. Mit wachsender Datenmenge und neuen Modellen soll das System aber lernfähiger werden. Künftig könnte KI erkennen, wann sich ein Stau bildet, noch bevor er sichtbar wird – und die Geschwindigkeit präventiv senken. So wird aus Reaktion allmählich Vorausschau.
Tempo 80 ist also mehr als eine Zahl auf einem Schild. Es ist das sichtbare Zeichen eines digitalen Nervensystems, das den Verkehr auf Schweizer Autobahnen steuert – und im richtigen Moment auf die Bremse tritt.

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