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Total verrückt! •
Citroën Oli

STREETLIFE testet das Auto aus Karton

Der Citroën Oli ist ein rollendes Versuchslabor. Der französische Autobauer testet verschiedene Ideen und Technologien, um ein günstiges Elektroauto mit 400 Kilometer Reichweite für Familien zu bauen. Das will Citroën mit einem Auto aus Karton erreichen. STREETLIFE konnte den Oli in Zürich Oerlikon fahren.

Dieser Citroën stellt Sportwagen wie Ferrari, Lamborghini oder McLaren in den Schatten. Am Marktplatz in Zürich Oerlikon steht das französische Konzeptauto Oli am Strassenrand und bringt die Menschen dazu, ihre Augen für einen kurzen Moment von ihren Smartphones zu lösen.

Selbst, wer das Elektroauto nur aus dem Augenwinkel sieht, dreht sich nochmal um und versichert sich, dass einem die Augen keinen Streich gespielt haben. Nach einer kurzen Inspektion muss das Smartphone wieder her. Mit Fotos und Videos halten die Passanten die ungewöhnliche Begegnung fest, denn sonst glaubt das ja niemand!

Und es bleibt wohl ein einmaliger Moment, denn der Oli kommt wahrscheinlich nie so auf die Strasse. Für Citroën ist er ein Versuchslabor auf Rädern. Der französische Autobauer probierte darin zahlreiche neue Technologien aus, mit dem Ziel, ein günstiges Elektroauto für Familien mit genügend Reichweite zu entwickeln.

Citroëns Hauptansatz dafür ist, Gewicht zu sparen. Schwer zu glauben, bei dem massigen Anblick des Oli. Aber der erste Blick täuscht. Das Konzeptauto wiegt nur 1000 Kilogramm. Vergleichbare Elektroautos sind doppelt so schwer. Das ist schlecht für die Reichweite, weiss Citroën-Produktmanager Vittorio Bozzoli: «Es geht nicht um eine grössere Batterie. Je leichter das Auto, desto geringer der Verbrauch und umso weiter fährt es.»

Gewicht sparen mit Karton

Leichter gesagt als getan. Zumindest, wenn das Elektroauto günstig bleiben soll. Denn leichte und gleichzeitig robuste Materialien sind selten preiswert. Deshalb hat sich Citroën an ein Material getraut, welches wohl niemand mit einem echten Auto in Verbindung bringen würde: Karton! Und das soll stabil sein? Gerade bei Regen wird Karton doch zu einer matschigen Pampe und die Franzosen haben Motorhaube, Dach und Ladefläche damit hergestellt. Ausgerechnet  Flächen also, die dem Wetter am meisten ausgesetzt sind.

Natürlich ist es nicht nur Karton. Er steckt als Wabenstruktur zwischen zwei Glasfaserplatten, die zusätzlich mit Polyurethanharz, einem Kunststoff, beschichtet sind. Dafür hat Citroën mit dem deutschen Chemiekonzern BASF zusammengespannt. Das Resultat ist sehr hart, sodass sogar bis zu 100 Kilogramm schwere Menschen auf dem Dach stehen können. Dazu hat der Karton einen positiven Nebeneffekt: Er isoliert. Der Oli steht über Mittag in der prallen Sonne, um zu laden. Als STREETLIFE am Nachmittag zur Testfahrt aufbricht, ist es im Konzeptauto angenehm kühl, obwohl die Klimaanlage nicht läuft.

Cooler kommt weiter

Dabei soll die senkrechte Windschutzscheibe helfen, wegen welcher der Oli etwas an ein Militärfahrzeug erinnert. «Die steile Windschutzscheibe ist zwar nicht sehr aerodynamisch», räumt Bozzoli ein, «aber sie reduziert die Sonneneinstrahlung, wodurch sich der Innenraum weniger aufwärmt. So konnten wir eine kleinere Klimaanlage einbauen, die weniger Strom verbraucht.» Was sich wiederum positiv auf die Reichweite auswirkt. Für den Oli beziehungsweise ein künftiges Familienelektroauto für um die 30'000 Franken hat sich Citroën eine Reichweite von 400 Kilometern als Ziel gesetzt.

Am Oli-Steuer

Also einsteigen und schauen, was der Oli zu bieten hat. Die Türen öffnen sich gegenläufig, sprich die Hintertüren schwingen nach hinten auf. Das erleichtert den Zugang zu den Rücksitzen. Die futuristischen Sitze sind erstaunlich bequem. Sie stammen aus einem 3D-Drucker. Anders liesse sich ihre filigrane Struktur nicht herstellen. Sie muss leicht, stabil und gleichzeitig bequem sein. Es gibt nur ein Problem, sagt Bozzoli: «Die Technik ist noch nicht bereit für die Grossproduktion. Einen Sitz zu drucken dauert zwei bis drei Tage.» Bis es solche leichten Sitze aus nur acht Teilen (heutige Auto-Sitze bestehen aus 37 Komponenten) dauert es also noch.

Die digitalen Anzeigen befinden sich in einem feinen Streifen am unteren Rand der Windschutzscheibe. Die Tempoanzeige zählt nicht einfach hoch, sondern dreht sich wie die Ziffern bei einem Zahlenschloss, beispielsweise an einem Aktenkoffer. Zudem werden mir rund 240 Kilometer Reichweite angezeigt. Aber das kann auch nur eine fiktive Zahl sein, denn in solchen Konzeptautos können die Hersteller auf den Armaturen anzeigen, was sie wollen. Witzig hingegen: Vorwärts- oder Rückwärtsgang lege ich über einen Hebel am Lenkrad ein und ein Teil der Lenksäule bewegt sich gleich mit. Schlecht hingegen ist, dass ich den rechten Seitenspiegel kaum sehe, weil er von der A-Säule verdeckt wird. Das muss Citroën verbessern, sollte der Oli jemals gebaut werden.

Unterwegs im Konzept

Zum Fahren machte er aber Spass. Er beschleunigt nicht so unvermittelt wie andere Elektroautos. Diese Abstimmung darf Citroën für Familienautos gerne übernehmen. Um geradeaus zu fahren, muss ich aber das Lenkrad schräg halten. Solche Ungereimtheiten sind jedoch normal für ein von Hand gebautes Konzeptauto. Das gilt auch für knirschenden Geräusche, die ich während der Fahrt höre. Das ist auch auf die Karton-Harz-Elemente zurückzuführen. Deren Integration und Verbindung zur Karosserie muss für die Serienproduktion noch verbessert werden. Das kann aber noch etwas dauern, auch wenn BASF die Elemente schon in grossen Mengen produzieren kann. Trotzdem sollen erste Ideen aus dem Oli noch dieses Jahr in einem Citroën realisiert werden: und zwar in der Ende 2023 vorgestellten Neuauflage des Kleinwagens C3.

Weitere Oli-Ideen

  • Front- und Heckstossstange sind identisch und austauschbar. Vorteil: günstiger in der Produktion und zu reparieren. Chance für Serie hoch, da beim Ami schon umgesetzt.
  • Bis auf Türgriffe identische Türen. Vorteil: günstiger in der Produktion. Chance für Serie ebenfalls hoch, da beim Ami schon umgesetzt.
  • Seitenfenster manuell bedienbar. Vorteil: ist günstiger, weil keine Elektronik in den Türen steckt. Das ist für die Serie problemlos realisierbar, aber es stellt sich die Fragen, ob Kundinnen und Kunden auf den Komfort elektrischer Fensterheber verzichten wollen.
  • Boom Boxen statt fester Lautsprecher. Vorteil: günstiger, weil kein Soundsystem verbaut werden muss, und spart Gewicht. Chance für Serie offen. Das hängt von Kundenrückmeldungen ab und für diese stellt sich die Frage, ob die externen Boxen zum Lieferumfang des Autos gehören würden oder nicht.
  • Das eigene Smartphone ersetzt Navi und Radio. Vorteil: Citroën spart Entwicklungskosten für die Software eines Multimediasystems. Abgesehen davon sind die Systeme der Tech-Konzerne sowieso besser und von den meisten Kundinnen und Kunden akzeptiert. Chance für Serie hoch, da einige Hersteller sowieso schon auf Apple- oder Google-Betriebssysteme setzen.
  • Das Smartphone wird in einen Schlitz gesteckt und auf ein Head-up-Display am unteren Rand der Scheibe gespiegelt. Chance auf Serie für Head-up-Display hoch, da diese beim Fahren weniger ablenken als Bildschirme. Die Schlitzlösung dürfte aber kaum realisiert werden, da die Smartphones dafür zu unterschiedlich sind. 
  • Bodenmatten aus thermoplastischem Polyurethan, ähnlich den Sohlen von Sneakern. Das ist sehr leicht. Chance für Serie offen. Hängt von den Kosten ab.

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