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Unfallzahlen ausgewertet

Sind Senioren wirklich eine Gefahr im Strassenverkehr?

In den letzten Wochen häuften sich in Polizeimeldungen Berichte über Verkehrsunfälle, an denen ältere Autofahrerinnen und Autofahrer beteiligt waren. Nun stellt sich die Frage: Fahren Seniorinnen und Senioren tatsächlich schlechter? STREETLIFE hat die Unfallstatistiken genauer unter die Lupe genommen.

«Seniorin kracht in Scheune.» – «Senioren stürzt mit Auto in Bach.» – «Senior prallt gegen Mauer.» – seit Anfang Jahr ist es immer wieder zu solchen und ähnlichen Verkehrsunfällen gekommen. Gemeinsam haben sie, dass eine ältere Person als Unfallverursachende am Steuer sass. Doch was bedeutet diese Häufung an Unfallmeldungen? Ist das Zufall – oder Anzeichen dafür, dass ältere Menschen nicht mehr fit genug für den Strassenverkehr sind?

Ein erster Blick scheint zu bestätigen, dass Seniorinnen und Senioren eine Gefährdung für den Strassenverkehr sind. Seit 2014 ist die Anzahl an Verkehrsunfällen mit verletzten oder getöteten Menschen, die von älteren Menschen am Steuer eines Fahrzeuges verursacht wurden, von 447 auf 580 gestiegen. Das entspricht einer Zunahme von 29,8 Prozent.

Ärztliche Untersuchung kostet Führerausweis

Die kürzlich veröffentlichte Führerausweis-Statistik lässt ebenfalls daran zweifeln, ob Menschen ab einem gewissen Alter noch Autofahren sollten. Wegen der sogenannten «Nichteignung aufgrund von Krankheit und Gebrechen» wurden im letzten Jahr so viele Führerausweise eingezogen wie noch nie. 7413 waren es an der Zahl. Davon war vor allem die Altersgruppe Ü75 betroffen, in der die Anzahl Ausweisentzüge wegen Nichteignung um 39 Prozent gestiegen ist.

Doch beide Zahlen zeigen nur die halbe Wahrheit. Bei den Ausweisentzügen gibt es beispielsweise ausserordentliche Einflüsse infolge einer Gesetzesänderung. Seit 2019 müssen älter Menschen nicht schon im Alter von 70, sondern erst mit 75 Jahren zum verkehrsmedizinischen Untersuch. Das bedeutet: Alle, die letztes Jahr 75 Jahre wurde, mussten zum allerersten Mal ihre Fahrtauglichkeit von einem Arzt bestätigen lassen. Entsprechend konnte es erstmals passieren, dass sie den Ausweis abgeben mussten, weil der Arzt sie für fahruntauglich hielt.

Mehr ältere Frauen am Steuer

Gemäss Bundesamt für Strassen ASTRA ist das aber nicht der einzige Grund, wieso die Anzahl Ausweisentzüge bei den Ü75-Jährigen gestiegen ist. «Diese Altersgruppe verzeichnet ein grosses Bevölkerungswachstum», sagt ASTRA-Sprecher Thomas Rohrbach gegenüber STREETLIFE. «Weiter haben auch immer mehr Menschen in diesem Alter einen Führerausweis. Vor allem der Anteil der Frauen mit Führerausweis steigt in dieser Altersgruppe stark an.» Wenn es mehr Ausweise gebe, sei auch zu erwarten, dass mehr Ausweise eingezogen würden.

Was heisst das also für die Unfallzahlen? Sind sie stärker als die Ü80-Bevölkerung gestiegen oder nicht? Nein. Der direkte Vergleich zeigt, dass die Unfallzahlen im Vergleich zur Bevölkerung in den letzten zehn Jahren konstant geblieben sind. Es haben immer etwa 0,1 Prozent aller über 80-Jährigen in der Schweiz einen Verkehrsunfall verursacht. Die Anzahl Personen Ü80 mit Führerausweis ist sogar stärker gestiegen als die Bevölkerung. Das heisst, im Vergleich zu den Personen, die einen Führausweis haben sind die Unfallzahlen sogar zurückgegangen. Haben 2016 noch 0,33 Prozent aller Ü80-Jährigen mit einem Ausweis einen Unfall verursacht, waren es 2023 noch 0,25 Prozent. Sprich – obwohl die autofahrende Bevölkerung über 80 Jahre steigt, verursacht sie im Verhältnis weniger Unfälle.

Erfolgreiche Senioren-Checks

Für SVP-Nationalrat Thomas Hurter ist das unter anderem auf eine grosse Erfahrung und Eigenverantwortung zurückzuführen. «Die verkehrsmedizinische Untersuchung trägt auch ihren Beitrag bei und führt dazu, dass sich die Personen mit Gedanken machen, ob sie noch fahren sollen», begründet der Vizepräsident der Verkehrskommission des Nationalrats. «Wie es auch andere Dinge gibt, die sie im Alter aufgeben, wie beispielsweise Ski fahren.» Es gäbe aber auch andere Gründe, wieso Seniorinnen und Senioren nicht viele Unfälle verursachen. «Ältere Menschen haben durch ihre Erfahrung ein besseres Risikobewusstsein als jüngere Menschen. Zudem ist man im Alter grundsätzlich etwas gemächlicher unterwegs.»

Grünen-Nationalrätin Marionna Schlatter hingegen will die Senioren-Checks ausbauen. Sie hat vor zwei Jahren einen Vorstoss eingereicht, um die ärztliche Untersuchung mit einer praktischen Fahrprüfung zu erweitern. «Mit zunehmenden Alter steigt das Gefahrenpotenzial von Autofahrenden», begründet Schlatter und vergleicht die Situation mit jungen Autofahrenden. «Auch Junglenkenden sind eine grössere Gefahr im Strassenverkehr, und der Bund hat Massnahmen ergriffen, um diese Gefahr zu minimieren. Deshalb finde ich: Wir sollten in Bezug auf Seniorinnen und Senioren am Steuer Massnahmen ergreifen und so die Verkehrssicherheit verbessern.»

Ausbau nötig?

Der Bundesrat empfiehlt dem Parlament Schlatters Vorstoss abzulehnen. Das aktuelle Gesetz sei ausreichend. Weiter vertraut der Bundesrat auf die Eigenverantwortung der Seniorinnen und Senioren. Im Gegensatz zum Bundesrat und Thomas Hurter ist Schlatter bei der Eigenverantwortung skeptischer. «Viele brauchen einen kleinen Anstoss und geben ihren Ausweis erst ab, wenn sie die Aufforderung für die verkehrsmedizinische Untersuchung erhalten. Ein Praxistest mit einem Experten könnte die Einsicht, auf das Fahrzeug zu verzichten, weiter fördern.» Oder das Selbstvertrauen der betroffenen Personen stärken, ergänzt Schlatter.

Hurter hingegen findet weitergehende Tests nur für eine bestimmte Altersgruppe nicht zielführend. «Gerade die fortschreitende Automatisierung und die zunehmende Verkehrsdichte fordert alle Automobilisten, egal in welchem Alter. Deshalb bieten auch Automobilclubs Weiterbildungen an, was absolut richtig ist.» Statt die Senioren-Checks auszubauen, sollte man sie verbessern. «Es gibt kantonale Unterschiede und teilweise Interpretationsspielraum. Das liesse sich mit einheitlichen Regelungen noch verbessern», sagt der SVP-Nationalrat. «Das schützt die anderen Verkehrsteilnehmenden und die betroffenen Personen.» Dass die in Relation gesetzten Unfallzahlen rückläufig sind, zeige: Das System mit den Senioren-Checks funktioniert.

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